Ich vermute das ist wie Radfahren, ich kann es, kann aber nicht sagen warum.
Und wenn mir ein Physiker erklärt warum ich fahren kann, fahre ich dadurch nicht zwangsläufig besser.
Da hast du sicher recht, der Vergleich trifft aber glaube ich nicht wirklich zu.
Klar, so gut wie alles ist irgendwo Physik, aber Radfahren bedient sich einem elementaren Organ, für den Gleichgewichtssinn haben wir ja da in doppelter Ausführung sozusagen ein Gyroskop "eingebaut" und ich würde das eher physiologisch erklären. Im Gegensatz zum Greifen auf einem Griffbrett üben wir es quasi ab unserer Geburt, im Stehen nicht umzufallen. Tatsächlich kippt man beim Radfahren immer leicht in eine Richtung, fährt aber gleichzeitig eine minimale Schlangenlinie. Wenn man ganz leicht nach rechts kippt fährt man minimal so weit nach rechts , dass man beginnt, nach links zu kippen (man überholt sozusagen sein eigenes Kippen) - sobald das links-rechts im Wechselspiel funktioniert kann man Fahrradfahren. Deswegen ist es ja auch stehend so viel schwieriger, nicht umzufallen, fahrend macht man automatisch eine so minimale Ausgleichskurve, die man gar nicht merkt, stehend kippt man einfach immer weiter und immer schneller.
Aber, darauf sind wir eben von Natur aus getrimmt, immer irgendwie aufrecht zu bleiben, wenn du normal auf 2 Beinen stehst machst du auch die ganze Zeit intuitiv ganz leichte Ausgleichsbewegungen, um nicht umzufallen.
(Kl. Experiment dazu: Wenn man sich barfuß auf ein Bein stellt spürt man es ein wenig in der Fußsohle, wie man eigentlich total unwillkürlich mal am gr. Zeh, mal im Mittelfuß, mal aus der Ferse usw. sich gegen das Umkippen drückt obwohl man eigentlich gar nicht festmachen kann, gegen welche Kippbewegung man sich gerade "wehrt")
Wo du natürlich recht hast ist, würdest du Fahrrad fahren lernen wollen brächte dir derlei Informationen herzlich wenig. Aber, und da ist der feine Unterschied: Beim Fahrrad kann man dich draufsetzen und sagen "mach einfach bis es geht", ohne irgendeinem abstrakten Gedanken, ohne sich irgendetwas merken zu müssen. Gib mal jemanden, der keine Ahnung von irgendwas hat eine Gitarre in die Hand und sag "Mach einfach bis es geht" - im Gegensatz zum Gleichgewichtssinn, der dich mit etwas Übung herrlich auf einem Fahrrad halten kann haben wir zum Sortieren der Finger auf einem Griffbrett kein eigenes Organ eingebaut.
Mir geht es jetzt darum ob man im Kopf hat die Bewegung mit dem kleinen Finger,oder die Ableitung des A7 Akkord um eine gewisse Klangfarbe zu erreichen.
Erkennst du einen "normalen" Dur/Mollakkord als solchen (hörend, nicht am Papier)?
Zuerst muss das mal funktionieren, dann hört man darauf aufbauend auch immer feinere Unterschiede, etwa ob eine große oder kleine Septime noch dabei ist.
Ich kann mich halt leider nicht ganz in deine Lage versetzen, ich hab vorher Posaune gespielt und bin halt schon mit der konkreten Vorstellung, welche Töne es gibt und wie die zueinander stehen zur Gitarre gekommen. Ich wollte die Gitarre zuerst auch quasi "ganz normal" nach Noten spielen, weil ich es bis dahin eben nur so kannte (was nicht sonderlich erfolgreich war
), davon ist aber immerhin übriggeblieben, dass ich von Anfang an jeder einzelnen Griffposition eine konkrete Note zugeordnet habe.
Und, was dann zum Zurecht finden in dem "OhMeinGottesgibtjaDreiMilliardenverschiedeneAkkorde"-Wirrwarr Gold wert war, ich musste auch Intervalle schon vorher schlicht deswegen erkennen und singen können, weil man ohne ganz konkreter Vorstellung derselben die Töne niemals mit einem stufenlos verstellbaren Posaunenzug treffen kann. Und Intervalle sind quasi das Alphabet der Musik, jeder Melodieschritt/Sprung oder auch jeder Akkord, ja jedes konkrete Voicing ist eine Abfolge von Intervallen.
Aber, wo du natürlich recht hast: Das ist alles schön und gut, ersetzt aber Üben in keiner Weise, schlussendlich arbeite auch ich nur immer besser eintrainierte Bewegungsmuster hinunter.
Nur, wenn du mir einen Begriff wie "A7" hinwirfst hab ich auch einerseits eine konkrete Idee, wie das klingt, weiß ich die Tonart dazu auch, wie es sich anfühlen müsste und ich weiß, wo die Töne A,C#,E und G überall am Griffbrett sind (also im Standardtuning, bei open Tunings denke ich auch "ums Eck"). Dadurch spiele ich ihn sicher nicht besser oder schöner, aber wäre in deiner Situation mit eine neuen Tuning in der Lage, die Gitarre zu nehmen, wohl kurz nachzudenken und aus Gewohnheit wohl ein paar mal falsch zu greifen, aber prinzipiell einfach einen A7 zu spielen. Und genau da liegt ja der Benefit: Gerade bei neuen Sachen habe ich dadurch mehr Zeit, tatsächlich zu üben/spielen (und im MB ellenlange Beiträge zu schreiben
) anstatt mich mit dem "wie soll ich überhaupt...." herumzuschlagen und ich merke mir dann wohl auch um einiges nachhaltiger, was ich da eigentlich gemacht habe.
LG