Man darf getrost davon ausgehen, dass die "Väter des Blues" zumindest musikalische Analphabeten waren. Alles wurde durch Zuhören, Mit- und Nachspielen weitergegeben.
Das stimmt nur teilweise, und wird den "alten" Bluesern nicht gerecht. Leute wie Lonnie Johnson, "Georgia Tom" Dorsey, Tampa Red (und es gibt noch Weitere...) wussten sehr genau, was sie da taten, und waren auch in der Lage mit Notation umzugehen. Gilt ebenso für viele Vertreter des "Hot Jazz", irgendwie musste es in der Band ja zusammenlaufen. Will sagen - das sich hartnäckig haltende Bild vom ungebildeten Landstreicher-Blueser ist romantisch, aber viele waren halt doch Vollprofis. Blues ist nicht so einfach, wie er oft hingestellt wird.
Auf der anderen Seite hast du natürlich vollkommen Recht, es gibt die Beispiele der "Analphabeten"! Gerade diejenigen, die akustischen "Country" Solo-Blues gespielt haben, waren eben wirklich sehr frei unterwegs. Blind Lemon ist wie genannt ein gutes Beispiel, aber auch der sehr fähige Robert Johnson hat mal 5 Viertel in einem Takt anstatt 4. In der Generation danach sind Lightnin' Hopkins und John Lee Hooker oder auch meinetwegen Mississippi Fred McDowell so Beispiele die sehr ihr "eigenes Ding" machen. Dann gibt es so Klassiker wie "Sittin' on Top Of the World" (9 Takte), Blues ohne Akkordwechsel, etc. - ich hatte das ja mal
aufgeschrieben, Blues ist halt nicht "so" oder "so", da gibt es ein weites Spektrum.
Notation von Popsongs ist immer so eine Sache. Wenn zu meiner Schulzeit so ein Song wie "California Dreaming" im Musikunterricht angestimmt werden sollte, hat sich bei mir immer alles zusammengezogen - ich hatte die Versionen von den Mamas&Papas im Ohr, oder noch besser die geniale von
Bobby Womack ... das ging nicht mit dem nach Notation gespielten "Beat", den der Musiklehrer vorgelegt und den die Noten vom Gesang verlangt haben. Findet sich heute nach wie vor bei Noten zu allen möglichen Pop-Songs ... die Gesangsnotation ist eine grobe Orientierung, mehr aber auch nicht.
Die Wissenschaft tut sich auch schwer - hier eine gute
Abhandlung zu Geeshie Wiley, schaut mal auf Seite 118 wie man versucht hat sich der Gesangslinie zu "Last Kind Words Blues" zu nähern.
Jetzt kann man lange drüber streiten, ob es sinnvoll ist, den Gesangspart möglichst korrekt auszunotieren. Vielleicht gibt gewissen Leuten eine gewisse Orientierung, aber gerade beim Akustik-Blues ersetzt
nichts das immerwährende Reinhören, Wiederhören und damit irgendwann Reinfühlen.
Zusammengefasst an den TE - JA es ist schwer, JA es ist oft nicht korrekt aufgeschrieben. Die Gegenfrage ist aber - was hast du davon, es möglichst genau zu notieren, bzw. was versprichst du dir davon?
Wenn es um besseres Verständnis bzw. Nachsingen geht... dann wage ich zu behaupten, dass nicht das Aufschreiben sondern das Mitsingen dich eher zum Ziel bringen.
Nachtrag - wo Nachfrage ist, da gibt's auch mehr. Bei "Robert Johnson - The New Transcriptions" ist die Gesangslinie halbwegs brauchbar ausnotiert: