Ja, die Trends haben sich seit 2013 schon etwas verändert. Damals gab es noch weitaus mehr Gitarristen, die Modelling abgelehnt haben und für die nur Bares, äh Röhren Wahres waren. Modelling war damals auch schon nicht mehr neu, diese Technologie wurde schon seit den 90ern immer populärer und hat mit dem Line6 POD so richtig in den Mainstream gefunden. Allerdings hat sich seit dieser Zeit eine Menge geändert, die Chips wurden immer leistungsfähiger und der Sound immer "realistischer".
2009-2013 gab es auch schon sehr gute Modeller (das AxeFX Standard müsste so um 2006 herum rausgekommen sein), aber die Akzeptanz war meiner subjektiven Meinung nach noch weitaus geringer. Früher hieß es immer, eine Röhre macht mehr Druck als eine Transe, diese Aussage konnte man dann 1 zu 1 auf die digitalen Modeller übertragen.
Man muss sich dazu nur einmal die alten Foreneinträge ansehen: "Welcher Röhrenamp wird für Metal empfohlen, welche Box, welcher Speaker, welche Gitarre?" Es gab damals auch eine wirklich gute und große Auswahl. Jetzt, durch Corona und andere dumme Weltereignisse sieht es mit den Lieferzeiten und den Verfügbarkeiten schlechter aus, von Preisen, die auch schon vor Corona immer wieder gestiegen sind, mal abgesehen.
Röhren gibt es momentan auch nicht mehr in der Hülle und Fülle, wie noch vor einigen Jahren.
Unabhängig davon, konnte man aber schon seit längerer Zeit einen Sinneswandel bei den Gitarristen erkennen, besonders bei den jüngeren, die in einer digitalen Welt aufgewachsen sind. Viele können und wollen sich auch kein Halfstack ins Wohnzimmer stellen, weil sie es einfach nicht wirklich benutzen können, gutes Master-Volume hin oder her. Die kleinen sog. "Wohnzimmer-Röhrenamps", die 100 Watt-Fullstacksound bei Zimmerlautstärke versprechen helfen auch nur bedingt, die klingen entweder durch die kleinen Speaker "boxy" oder brauchen auch etwas Luft zum atmen, damit sie klingen. Durch Corona waren Bandproben und Liveauftritte auch nicht mehr so einfach oder gar nicht möglich.
Ich behaupte einfach mal, das der schon bereits stattfindene Wandel schneller vollzogen wurde. In den letzten Jahren scheint das Gitarrespielen immer mehr aus der Mode gekommen zu sein, was man auch gut hier im Forum beobachten kann. Immer weniger tuen sich zusammen und gründen eine Band, dafür gibt es immer mehr einsame Helden, die im Alleingang am Rechner ganze Alben produzieren, ohne je eine Bühne gesehen zu haben. Deren Giglocation heißt dann z.B. Youtube.
Social Media, Youtube usw. ist weitaus wichtiger für das Marketing, als noch vor ein paar Jahren und gerade bei den Anhängern der etwas "moderneren", härteren Stile konnte ich eine Affinität zu Modellern erkennen, egal ob physisch oder als Plug-In. Die alten Blueser oder Classic Rocker konnten noch nicht so schnell abgeholt werden. Ich habe das Gefühl, dass ein Großteil digitalen Equipments von Metallern getestet wird.
Man muss sich nur einmal die Produktpalette der Firmen ansehen. Die meisten haben anfangs Ampsims oder IRs für Metalsounds rausgebracht. Dabei muss aber erwähnt werden, dass das i.d.R. auch keine "modernen" Eigenkreationen sind, sondern Sims der alten Bekannten. Nahezu jeder hat eine 5150-Sim auf dem Markt oder etwas in die Mesa Rectifier-Richtung, ein JCM 800 ist auch immer noch ein Standard. Wobei man auch sagen muss, dass man mit einem Modeller, einen Amp bzw. Sound schon sehr stark verbiegen kann und auch ein alter Marshall dann mal schnell für modernen Metal fit gemacht werden kann. Heute gibt es aber selbst den edelsten Boutique-Cleanamp als Sim bzw. dessen Boxen als IR. Die Akzeptanz scheint also auch bei den alten Hasen und den Nicht-Metallern zu steigen.
Bei den Gitarren hat sich die Auswahl an Modellen mit mehr als 6 Saiten auch erhöht. Das ist u.a. auch den musikalischen Trends geschuldet. Tosin Abasi hat gezeigt, dass man auch mit 8 Saiten Musik machen kann. Meshuggah haben 2006 "Nothing" neu mit 8-Saitern aufgenommen (das war dann sogar vor 2009
). Multiscale ist toll, wenn man einen straffen Saitenzug auf den tiefen Saiten behalten möchte, die Tunings sind in den letzten Jahren auch immer tiefer geworden und nicht jeder möchte langsamen Stoner- oder Doom Metal spielen. Wobei die meisten (Metal-)Gitarristen anscheinend auch heute noch auf 6-Saiter mit geraden Frets zurückgreifen.
Amps, Boxen, Speaker, Gitarren, Pickups, Effekte usw. müssen auch entsprechend für diese Musik ausgelegt sein. Ein jahrzehntealter EMG 81 ist da aufgrund des Voicings (klarer Sound, Bässe beschnitten usw.) immer noch ein Werkzeug der Wahl, Fishman versucht momentan aggressiv Marktanteile abtzugreifen, wobei auch schon viele Gitarristen wieder davon weg sind (s. oben). Es gibt alle paar Jahre mal "die" Trendmarke. Der Mesa Boogie Rectifier ist gerade nicht so gefragt, wie noch vor 15 Jahren, von ENGL hört man auch nicht mehr so viel, wie noch vor 10 Jahren. Dafür gibt es heute Marken wie Revv oder Fortin. Der Peavey bzw. EVH 5150 scheint immer noch einer der Metalamps zu sein. Tubescreamer und Noisegate sind immer noch up-to-date, genauso wie die V30-Speaker. Ein Seymour Duncan SH-4 JB oder DiMarzio Super Distortion, zwei sehr oft verkaufte Humbucker, was Metalsounds angeht, sind dagegen immer weniger gefragt, da sie einfach nicht so gut mit den neuen Sounds zurecht kommen. Marshall hat m.M.n. schon seit langer Zeit verschlafen, seine Macht als Industriestandard für harte Sounds zu behaupten. Der Mode Four konnte nichts gegen Rectifier und Co. ausrichten und der JVM ist ein wirklich toller, flexibler Amp, aber da waren viele Gitarristen schon ganz woanders unterwegs.
In der letzten Dekade habe ich auch noch vermehrt über echte Amps gespielt, abends dann über den Rechner, aber mittlerweile gibt es halt immer bessere Produkte, die sehr vielseitig und überzeugend klingen. Es muss nicht gleich ein AxeFX oder Kemper sein. Mit einem Audiointerface, Monitoren und einem guten PlugIn zzgl. guter Impulse Responses erzeugt man heute ohne viel Aufwand sehr gute Sounds, die leise gut klingen und die man ohne Probleme recorden kann, ohne groß mit Mikros oder lauten Amps hantieren zu müssen.
Es gibt aber heute auch die ganz andere Fraktion junger Gitarristen, die Metal machen, aber einfach total auf die analoge Schiene abfahren. Da muss es dann ein fettes Orange-Topteil anstatt eines Kempers sein. Es kommt immer darauf an, was man unter "modernen" Metal versteht. Manche Gitarristen verbinden diese Musik auch mit Vintage-Gear und -Sounds.
Heute gibt es halt eine riesige Auswahl an Equipment. Der Metaller muss nicht mehr zwangsläufig einen Marshall JCM 800 mit BOSS SD-1 davor spielen. Es gibt unzählige Marken und Modelle, mal etwas gefragter, mal etwas "altbackener".
Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht, gerade in Bezug auf die momentan vorherrschende "Röhrenknappheit" (vielleicht ist die auch gefühlt schlimmer, als eigentlich in Realität). Nicht, dass ein Gitarrist noch gezwungen wird auf Kemper und Co. umzusteigen, weil er nicht mehr die passenden Röhren bekommt. Flatternde Hosenbeine machen aber auch 2022 noch sehr viel Spaß
und irgendwie gehört ein schönes Stack auch zu einem "gepflegten" Bühnenbild für die Metalshow
Das das Segment Digitaltechnik aber weiterhin zunehmen wird, sehe ich aber als gegeben an.