Den Kern vom songtext sehe ich darin, dass der Adressat dessen, was sein soll, zuerst die eigene Person ist. Gemäß dem Motto: Sei Du die Veränderung, die Du Dir wünscht.
Das macht aus meiner Sicht auch Sinn, weil es die Veränderung ist, auf die ich am meisten Einfluss habe. Und die als Vorbild wirken kann. (ausgeschnittener Kalenderspruch an meinem Schreibtisch: "Die Welt ändert sich nicht durch Deine Meinung, sondern durch Dein Vorbild.") Da bin ich voll dabei, sozusagen.
(Das sehe ich aber nicht als Widerspruch dazu, auch andere Adressaten anzusprechen. In unserer demokratischen, arbeitsteiligen Welt, hat eben Politik die Aufgabe, die Rahmenbedingungen herzustellen für das Leben aller. Deswegen kann die durchaus auch Adressat sein. Das geht aber über den Text hinaus und ist nicht Thema diesen Textes.)
Inhaltliche Schwierigkeiten haben allerdings mit Lüge und Notlüge. Die Entlastung der Lüge (Lüge ist eine bewußte Verfälschung oder Ausblenden der Wahrheit) ist alleine subjektiv: ich entscheide, ob ich mich in einer Notlage befinde, die eine Notlüge gerechtfertigt. Es bleibt aber eine Lüge.
Fake news und news sind eine Kategorie darunter: Das geht es um Fakten. Und Fakten sind eindeutig und beziehen sich vorwiegend auf naturwissenschaftliche Informationen: Es regnet oder es regnet nicht. Das kann man überprüfen, indem man rausgeht oder zum Fenster rausschaut.
Wenn es regnet und ich als Vater zu meinen Kindern sage, dass es nicht regnet, ist das eine Lüge.
Wenn ich das tue, um den gemeinsamen Familienwanderausflug nicht zu gefährden, mag das aus meiner Sicht eine Notlüge sein, aber es bleibt eine Lüge und ich alleine entscheide darüber, ob sie gerechtfertigt ist oder nicht.
Etwas ganz anderes ist es, ob man moralische Regeln für allgemeingültig hält oder nicht. Etwas ganz anderes ist es auch, dass es unterschiedliche Einstellungen und Meinungen über Fakten habe - Weltbilder und moralische Haltungen oder grundlegende Überzeugungen sind nicht faktisch im Sinne von: es läßt sich eindeutig entscheiden, ob sie stimmen.
Wenn das aber so ist: Wo ist denn da Platz für eine Notlüge? Es geht ja gar nicht um Wahrheit auf der Faktenebene.
Kurz: ich halte es für sehr wohlfeil, sich selbst die Absolution für Notlügen zu erteilen, aber von anderen zu erwarten, dass sie in einem Gespräch mit mir ehrlich bin. Wieso sollte ich das erwarten dürfen? Ich bin doch selbst auch nicht ehrlich. Ehrlich meine ich im Sinne von aufrichtig. Aufrichtig in dem Beispiel oben wäre, wenn der Vater sagen würde: Also ehrlich gesagt: es regnet. Aber ich bin trotzdem dafür, dass wir den Familienwanderausflug machen.
Für mich bleibt eine Notlüge (es sei denn, sie findet unter Gefahr von Leib und Leben statt oder unter Folter) ein Ausweichen vor relevanten Beweggründen, die nicht offen gelegt, sonder verschwiegen werden. Und die eine zeitlang funktionieren können (das ist ja der Charme von ihnen), aber auf Dauer die Beziehungen und die Kommunkation nachhaltig schädigen und nie zu einer Problemlösung führen (weil sie das wirkliche Problem ja nicht offen legen), sondern immer dazu führen, dass sie Teil des Problems werden und dieses mehren.
Herzliche Grüße
x-Riff