AUF DEM FRIEDHOF DER GUTEN ABSICHTEN

  • Ersteller Der_Blindschleicher
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Vielleicht, weil du in der Ich-Form schreibst, ohne die Rolle wirklich auszufüllen
Ja, evtl hab ich da "den Mund zu voll genommen", beim Versuch, eine Message um 5 Ecken herum rüber zu bringen. Gerade, wenn ich versuche, aus der Position eines anderen zu schreiben. Meine persönlichen Texte (wie "IN DEN STURM GEBOREN") sind zwar authentischer, aber auch kryptischer. Mal sehen ob ich bei meinem nächsten Text nicht daraus lerne, einfach den Worten Raum gebe und ich mich (und meine ungesunde Hybris) etwas zurücknehme und bessere Texte schreibe. Ich bin evtl zu impulsiv beim TEXTEN und gehe mir immer selber auf den leim.

deine texte sind mir Inspiration, einfach den worten raum zu geben und nicht zu offensiv auf Effekt aus sein. mal sehen wie mich das in zukuft beeinflussen wird ;)
 
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Ich sehe gerade auf der arte-Mediathek einen Beitrag über Femizide. Weiß nicht, warum mir das in diesem Zusammenhang plötzlich einfällt. Vielleicht, weil ich weg will von meinen "allgemeinen" Formulierungen. Hin zu einer konkreten Geschichte. :) So hat jeder seinen Pläne, siehste! ;)
 
Hi Blindschleicher und in die Runde,
aus meiner Sicht ist der Fortgang Deiner hier geposteten Variationen ambivalent: einige Stellen finde ich sprachlich besser, andere dafür schwächer; einige stringenter während andere assoziativer wirken; Du scheinst Konstruktionen (eine Stimme vs. mehrere Stimmen) auszuprobieren und darin liegt jeweils ein Reiz. In gewisser Weise scheinst Du das Thema (das ja an sich ein Großes und Ganzes ist) zu umkreisen in dem Versuch, einen Zugang zu finden. Allein zwingend finde ich die bisherigen Fassungen nicht. Vielleicht ergibt sich das erst, wenn Du Dich auf einen Zugang festgelegt - oder eben den für Dich geeigneten gefunden hast. Ich persönlich finde dieses heuristische Herangehen sehr spannend und nutze gerne dieses Forum, um dabei nicht auf mich alleine zurückgeworfen zu sein.

Es gibt etwas, das für mich funktioniert - auch im Sinne Deines Ziels, dass die Worte quasi von selbst fließen: die Hauptperson muss für mich authentisch, glaubhaft, ja wirklich sein - ich muss sie spüren können, sie muss in mir leben, sich bewegen und sich selbst äußern. Dann fließen bei mir auch die Worte - weil die Figur durch mich spricht. Hört sich vielleicht größer an als es gemeint ist - ist aber eine Erfahrung, die viele Autoren haben.

Das erkenne ich in keiner der Versionen derzeit: Ist das Lyrische Ich wirklich ein Zyniker? Ich benutze jetzt nur mal die männliche Form, das wird mir sonst zu umständlich - und by the way glaube ich auch, dass es ein Mann ist: ein alter weißer Mann, um genau zu sein: Aber da bin ich vielleicht schon auf dem Holzweg: Vielleicht ist es ja ein aufstrebender Mittdreißiger, der gerade seine Jugendträume - die er gehabt hat - abstreift, und - um kein schlechtes Gewissen dabei zu haben - sich diesen Zynikermantel umlegt. Also: Ist es nun ein natural born cynical man oder jemand, der es erst gelernt hat? Das heißt: kämpft er noch mit sich? Da wäre konsequent tatsächlich die Konstruktion der zwei Stimmen. Dann aber heißt es, diese Figur durchzuhalten. Und entweder konsequent die innere Zerrissenheit oder die schon gegen jeden äußeren und inneren Einfluss abgeschottete "Nach mir die Sintflut"-Figur in dieser Spur laufen zu lassen - und nicht einen Seitenweg zu nehmen, der durch übernommene Formulierungen oder das Liebäugeln mit einem Seitenaspekt oder einem liebgewordenen Bild herrührt.

Hast Du ein Bild von Deinem Lyrischen Ich? Kannst Du es beschreiben: Wie alt, welches Geschlecht, wie sieht die Person aus, wie hält sie sich und wie bewegt sie sich, wie spricht sie und welche Wörter benutzt sie: die eines Kaufmanns oder Buchhalters, die eines Gefühlsmenschen, die eines Dozenten, eines Taxifahrers? Wie verbringt die Hauptfigur ihren Tag? Ist sie zufrieden oder abgekämpft, energisch oder niedergeschlagen, freudefähig oder trist? Hat sie tatsächlich Kinder und ist sie tatsächlich der Überzeugung, deren Zukunft seien ihm egal? Oder sind das imaginierte Kinder - ist er vielleicht ein geschiedener Mann, der eh nur noch sich, seine Arbeit und die Illusion einer Welt, in der man sich alles kaufen kann, hat? Oder doch der erfolgreiche SUV-fahrende Unternehmer, der sich gar nichts anderes mehr vorstellen kann als eine Welt, die sich um das ewige höher, weiter, schneller dreht - und er dreht sich eher gezwungenermaßen mit? Oder ist er einer derer, die das Schwungrad drehen und daraus seinen Selbstwert ableitet? Diese Figur muss im Übrigen nicht selbst geschildert werden - es reicht oft, wenn sie durchschimmert bzw. aus einem konsistenten Bild herrühren, um die Wirkung der Stimmigkeit zu erzeugen.

Für mich ist diese Glaubwürdigkeit, diese Stimmigkeit ein wesentlicher Scheideweg von Texten unterschiedlicher Qualität - oder doch zumindest der Unterschied von Texten, die mich ansprechen und Texten, die das nicht tun - und das hängt (für mich) wesentlich an der Erzählfigur. Ein Text kann kryptisch sein und für mich stimmig. Oder das Gegenteil - und auch stimmig. Aber wie ist Deine Figur - und wie ist die Konstruktion? Letztlich könntest Du die gleichen Inhalte durch den Mund eines dem Wahnsinn nahe seienden, einsamen Rufers in der Wüste sprechen lassen: dessen Rede wäre kryptisch - aber sie wäre stimmig. Wen läßt Du sprechen?

Vielleicht hilft es, sich erst über den Rahmen, über die Konstruktion eines Textes klar zu werden, bevor die Worte fließen können. Bei mir ist das oft der Fall.

Herzliche Grüße

x-Riff
 
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Ich finde es auch toll, dass Du uns am Entstehungsprozess dieses Werks teilhaben lässt :)
Andererseits musst Du Dich auch nicht von den anderen Meinungen übermäßig beeinflussen lassen (schon gar nicht von meiner!).
Wenn Du in dem Text ein Zwiegespräch führen möchtest, dann ist das völlig okay - ich hatte nur bisher den Ansatz bzw. die Richtung nicht ganz verstanden, dachte erst an mahnende Worte, die mit bitteren Zynismus gewürzt werden (was mir persönlich gefällt, immer ordentlich Salz in die Wunde, har har har) aber ein lyrisch-kryptischer Konflikt mit dem "inneren Schweinehund" hat auch was. Bin gespannt, was dann am Ende als
conclusio herauskommt? Momentan scheint das Ende offen zu sein? Wird das lyrische Ich obsiegen oder ist ihm am Ende alles egal und es gibt sich selbst auf? :)
Also das hat schon Potential - vor allem, wenn dann ein Song daraus entsteht :m_sing:
 
Hallo Leute,

zunächst mal, danke an UWI1976 & x-Riff und auch TEESTUNDE für die ausführlichen, hilfreichen Feedbacks.

Tja, x-Riff und Teestunde haben das primäre Problem der fehlenden Authentizität des Ich-Erzählers erkannt und analysiert. Ich habe mich gefragt, woran das wohl liegen kann, dass mir der Schuh des zynischen Ich-Erzählers (noch nicht) so richtig passt. Möglicherweise ist das Bild nicht stimmig, da ich selbst kein Zyniker (mehr) bin.

Die Ur-Fassung war ja von einem auktorialen Erzähler aus einer religiösen, anklagenden Perspektive geschrieben. Diese überhebliche schwarz/ weiß Malerei wurde natürlich zu Recht bemängelt. Da war ich zunächst auch etwas "betriebsblind". Atheisten pauschal durch das Wort "gottlos" (im Kontext des Textes) zu beleidigen liegt mir natürlich fern und ist auch nicht im Sinne meines Glaubens.

Dann der 180° Turn und die Textfassung, aus der Sicht des moralisch orientierungslosen Zynikers. Einer, der halt alles mitnimmt, ohne Rücksicht auf andere. In den 80ger Jahren hat man solche Leute Yuppies genannt. So stelle ich mir den Ich-Erzähler vor. Ein Mittdreiziger ohne Familie, ohne WIRKLICHE Freunde, soziale Kontakte aufs Geschäft beschränkt. Tatsächlich einen SUV rücksichtslos durch Großstadtstrassen fahrend. (Und ja, es gibt auch Gutmenschen die SUV fahren) Solche Jungs gibt's ja heute auch noch. Nur dass man keine besondere Bezeichnung mehr dafür gibt, da die rücksichtslose Erfolgsorientierung zum allgemeinen Standartmodell geworden ist.

Meine persönliche Entwicklung verlief genau entgegengesetzt zur Entwicklung der Textfassungen. Kann ich den Zyniker nicht mehr wirklich spielen, weil ich keiner mehr bin?

Ich will den Text hinkriegen! Ich will das schaffen. Und jetzt kommt so richtig Fahrt auf und die Sache macht Spaß. Darüber reflektieren, mit unterschiedlichsten Versionen und Ansätzen spielen, das kann man halt allein nur beschränkt. Darum bin ich für dieses Forum so dankbar.

So wäre ich auch schon beim nächsten Aspekt des Textens. Würde ich im Rahmen einer/ oder für eine Band texten, dann gäbe es auch Diskussionen und einen Entwicklungsprozess des Textes. In so fern ist das Forum ein wenig wie ein Praxistest.

Als nächstes werde ich demnächst mal versuchen, den Text neu aufzubauen, aus einer wirklich zynischen Sichtweise. Method Acting sozusagen. Vielleicht schreibe ich auch zwei Versionen, die zweite Version aus der Sicht des religiösen Fanatikers. Das ist zwar dann auch wieder schwarz weiß, aber künstlerisch kreativ getrennt voneinander. Friedhof Part I und Part II. Wie bei den guten alten Konzeptalben.

Gerne kann auch, wer will, den Text umschreiben, nach eigenem Gusto und Vorstellungen. Dann entsteht der Text eben im Kollektiv oder Kombinat. Wäre ein sehr interessantes Experiment auch die verschiedensten Versionen aus den verschiedensten Köpfen hier zu lesen. Quasi eine Remix-Kompetition in Textform, oder ein Songtext als Assoziationskette.

Auf jeden Fall gibt's aber demnächst eine neue reduziertere Version ggfls mit neuen Worten aufgebaut und hoffentlich authentischer.

Bis dann...

Gruß
Blindschleicher
 
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Na, ich finde das jedenfalls spannend, solch eine Textentwicklung mitzuverfolgen und begrüße es, dass du dranbleiben willst. (y)

Es gibt ja neben einer zynischen und einer religiös-fanatischen Sichtweise noch viel mehr Sichtweisen, genaugenommen ja so viele, wie es Menschen gibt....
Vielleicht ginge ja auch - nur um mal ein Beispiel zu nennen bzw. als Ideenanregung - die Sichtweise eines verzweifelten Beobachters, der unsere aktuellen Probleme recht scharf / bitter reflektiert und dem das Schmerzen verursacht, der also drunter leidet, und der im Refrain (sozusagen als dynamischer Kontrapunkt) eigene Träume, eigene Visionen hat oder konkret eigene Alternativen versucht umzusetzen oder wie auch immer. Ob er damit Erfolg hat oder nicht könnte man ja offen lassen.
 
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Hallo an alle,

zunächst, mein Dank an Dich Primut! Danke für deine befreiende Idee, den Text weder zynisch noch religiös zu betrachten! Da mach ich auch eine Version draus!

Aber hier erstmal eine neue Version aus der Sicht des desillusionierten Egoisten. Frühere Versionen waren einfach zu weitschweifige Rundumschläge, ohne einen wirklichen Fokus.

Hab jetzt den Text reduziert auf die Schändung von Mutter Natur. Jetzt hat das Ganze einen Fokus und ein Thema. Dazu hab ich natürlich neue Worte gebraucht.

Ausserdenm: Da ich mir denke, dass sich das Wort "Absichten" am Ende der Zeile vertrackt singen lässt, habe ich es mit einem Trick an den Anfang der darauf folgenden Zeile gesetzt. Da wirkt es nicht so "kantig".

Bin mal gespannt, wie es ankommt. Ist auch wieder nur eine Option.

Grüße und schönes Restwochenende an alle!


DER FRIEDHOF DER GUTEN ABSICHTEN (FASSUNNG 5)


Mutter Natur, ich weiß, ich tu` dir nicht gut.
Ich zünd` dir dein Kleid an, piss Benzin in die Glut.
Ich rasier` deinen Wald, ich höhle dich aus.
Ich hol nur das Beste aus dir heraus.

Ich mache Kohle zur Kohle,
hüll` dich in vergifteten Atem ein.
Ich hol mir dein Gold und dein Erz
und stopfe Atommüll in dich hinein.

Nichts wird wieder so, wie`s niemals war.
Kämm` dir die Illusion aus dem zerzausten Haar!
Ich weiß von nichts. Selbst wenn ich`s besser wüsst`...
Ich bin nicht der, der dir die Wunden küsst.

Mutter Natur, wo ist mein Vater nur?
Und guck nicht so, guck nicht ständig auf die Uhr.
Fünf nach Zwölf. Ich weiß. Lass mich doch in Ruh!
Ich will nur Überleben. Dumme Kuh!

Mutter Natur, ich will was von meiner Zeit haben.
Danach kannst du mich. Kannst du mich begraben...
...auf dem Friedhof der guten...

...Absichten hatte ich gute und viele.
So richtig penetrant edle und noble Ziele.
Doch davon konnte oder wollt` ich nicht leben.
Ich bin Fleisch, ich bin Sünde. So bin ich eben!

Ich habe einst Blumen gegessen und Wale gerettet
Hab deinen stinkenden Leichnam auf Rosen gebettet.
Ich war`s nicht. Ich hab` dich nicht so versaut.
Du warst schon kaputt, als ich kam.
Ich hab nur meinen Palast auf deinem Grab gebaut.

Ich bin hier, ich bin jetzt, ich bin krass drauf.
Aber so bin ich eben.
Ich will, ich bezahl, ich geh` über dich weg.
Ist nur ein Instinkt. Ich hab nur ein Leben!

Mutter Natur, ich will was von meiner Zeit haben.
Danach kannst du mich. Kannst du mich begraben...
...auf dem Friedhof der guten...

...Absichten hatte ich gute und viele.
So richtig penetrant edle und noble Ziele.
Doch davon konnte oder wollt` ich nicht leben.
Ich bin Fleisch, ich bin Sünde. So bin ich eben!
 
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Mir ist es zuviel. Lies mal Gundermanns "Grüne Armee". Das sind nur wenige Zeilen, aber es haut rein. :) Oder besser noch den Text "Halte durch" vom selben Autor. :) Ich will dich nicht kränken, aber ich habe das Gefühl, dass du eigentlich eher zur Lyrik tendierst. Du lädst dir viel zu viel auf. Schade, dass ich dir das nicht besser sagen kann.

 
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Würde ich im Rahmen einer/ oder für eine Band texten, dann gäbe es auch Diskussionen ...

... ganz pragmatischer Natur - weil Texte, die mehr oder weniger auch als Songtexte gedacht sind, ein Mindestmaß an musikalisch verwertbarem Potential haben sollten.
Dieses Potential ist von der "Botschaft" zunächst unabhängig und betrifft überwiegend die technischen Aspekte des Metiers, wie Form, Metrum, Rhythmus, Reimschema und Sprachklang.

Musiker sind zunächst einmal Musiker, daher muss ein Songwriter auch in musikalischen Kategorien denken können, sonst wird niemand sonderliches Interesse daran haben, sich mit seinen Elaboraten zu beschäftigen. Über Inhalte und Formulierungen kann man diskutieren, nicht aber über die teilweise gravierenden handwerklichen Mängel, wie sie deine Texte leider offenbaren.
Denn wie soll man ein formal amorphes Konglumerat aus Drei-, Vier- und Fünfzeilern mit uneinheitlichen Kurz- und Langzeilen vertonen - die zudem in fast jeder Zeile metrisch und rhythmisch über die eigenen Füsse stolpern? Was taugt als "Hook", was als Chorus, was als Vers? Gibt es ein sprachmetrisches Schema, das auch als musikalisches Metrum wirksam werden kann? Lassen sich Sprachrhythmus und musikalischer Takt so synchronisieren, dass eine abwechslungsreiche, aber keine bemühte und "holprige", oder gar sinnentstellende Phrasierung entsteht? Und - last not least - ist das Klangbild der Sprache (Vokal- und Konsonantendistribution) so, dass der Text überhaupt "sangbar" ist?

Es geht mir hier nicht um ein Plädoyer für klischeehafte Form-Modelle und monotone Schlager-Metrik mit Herz-Schmerz-Reimschematas, aber eine Diskussion über sprachliche Inhalte ist müßig, wenn nicht zugleich auch handwerkliche Fragen thematisiert werden. Bei "Pfusch am Bau" ist und bleibt selbst das ständige Umstreichen und Neutapezieren von Wänden reine Kosmetik, die an der fehlenden Substanz der Basis nichts mehr zu retten vermag.
 
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Dieses Potential ist von der "Botschaft" zunächst unabhängig und betrifft überwiegend die technischen Aspekte des Metiers, wie Form, Metrum, Rhythmus, Reimschema und Sprachklang.
Danke! Jetzt weiß ich, was ich als Nächstes zu tun hab.

Grüße
 
Jetzt weiß ich, was ich als Nächstes zu tun hab.

Dann mal frohes Schaffen!

Letztlich ist es dir überlassen, wie du vorgehst, ich würde dir allerdings raten, dir zunächst eine Einführung in die deutsche Verslehre zu besorgen, damit du für eigene und für fremde Werke über ein normiertes Begriffs- und Analyserepertoire verfügst. Insbesonders letzteres ist wichtig, weil man durch die Analyse fremder Werke enorm viel für die eigene Produktion lernen kann.

Weiterhin solltest du dir eine effiziente, vorausschauende Arbeitstechnik angewöhnen. Also nicht sofort alles verwerfen, in die Tonne hauen oder neu formulieren, sondern jede einigermaßen gelungene Textzeile abspeichern und zur späteren Verwendung katalogisieren.
Bei einer solchen fragmentierenden "Dekomposition" merkst du auch schnell, dass du momentan noch stark zu austauschbaren, im Prinzip also inhaltsleeren Allgemeinplätzen neigst. Das läßt sich aber ins Positive wenden, weil dadurch nach und nach ein Grundbestand an Textbausteinen entsteht, der sich in andere Kontexte einbinden läßt.

So sind mir in deiner "letzten Fassung (#27)" direkt ein paar Zeilen aufgefallen, die sich aus dem ursprünglichen, etwas sehr bemüht wirkenden Zusammenhang herauslösen und neu anordnen lassen, so dass eine ausbaufähige "Keimzelle" entsteht, die inhaltlich aber in eine ganz andere Richtung geht:

"Ich zünd` dir dein Kleid an, piss Benzin ich piss' in die Glut.
Ich bin Fleisch, ich bin Sünde, ich tu` dir nicht gut.
Kämm` dir die Illusion Träume aus dem zerzausten deinem Haar,
Nichts wird wieder so kann wieder werden, wie es niemals dereinst es war."


Nix mehr mit Öko, sondern "Szenen einer Ehe" in bester Rammstein-Diktion - einschließlich des obligatorischen "Feuerwerks" in der ersten Zeile!

Korrekturen: "Illusion" entstammt einer gehobeneren Sprachebene, die hier nicht in den Kontext passt - ein stilistischer Fehler, der dir öfter unterläuft.
Die restlichen Korrekturen sind metrisch und rhythmisch bedingt, bzw. klanglich motiviert. Dabei habe ich ganz bewußt die Assoziation "Rammstein" genutzt, und darauf geachtet, möglichst viele "rollende Rs" und harte Verschlusslaute ("Trrräume / wie-derrr werrr-den / derrr-einst es warrr") einzubauen. Es kann also durchaus hilfreich sein, beim Texten eine ganz konkrete Stimme vor dem inneren Ohr zu haben!

Apropos Rammstein: Was man tunlichst vermeiden sollte, ist die Übernahme allzu individueller Metaphern, wie z.B. in einem anderen deiner Texte. Originelle Bilder, wie der "Mund voll Asche" (Rammstein: Asche zu Asche) sind eben nicht nur originell, sondern auch bezüglich ihrer Herkunft leicht identifizierbar, womit man schnell in die Nähe des Plagiats, oder zumindest des unkreativen Epigonentums gerät. Allgemeinplätze (wie "Asche auf mein Haupt") sind natürlich zulässig.
 
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Danke an Ockhams Razor für die Tipps und die konkreten Beispiele!
 
Falls noch nicht geschehen hier mal der Hinweis auf einen workshop in Form einer PDF-Sammlung von Autor*innen hier auf dem Board zu unterschiedlichen Aspekten beim Schreiben von songtexten, link in meiner Signatur.

Vor allem eine Auswahl unterschiedlicher, eher pragmatischer Hinweise, Zugänge und Methoden, keine allumfassende Einführung, Analyse oder Systematik.

Ein Stöbern könnte lohnen.

Herzliche Grüße

x-Riff
 
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das mit dem SUV ist cool, auch wenn ich behaupte, mein SUV wird weniger die menschenmassen spalten, als sie eher unter sich begraben.
vorne ist so ein schräges schild, daß hindernisse - analog wie ein eisbrecher - nach unten unter das fahrzeug drückt.
deshalb empfehle ich meinen nachbarn immer, beim überqueren der straße einen arm auszustrecken, damit ich sie leichter unter dem auto hervorziehen kann.
 
wie soll man ein formal amorphes Konglumerat aus Drei-, Vier- und Fünfzeilern mit uneinheitlichen Kurz- und Langzeilen vertonen
Ich nehme mal an, dass Elaborate wie das "A Hard Rain's Gonna Fall" eines gewissen Herrn Zimmerman seinerzeit ähnliche Kommentare hervorgerufen haben, zumal sie in einer Art nuschelndem Sprechgesang vorgetragen wurden. Aber vielleicht hat's ja die Refrainzeile rausgerissen...

Grundsätzlich finde ich die Entwicklung des Texts von @Der_Blindschleicher sowohl interessant als auch positiv. Allerdings bin ich (auch) in der letzten Strophe nicht davon überzeugt, wie das LI sich selbst kommentiert. Um beim Beispiel Auto zu bleiben: Es ist offensichtlich, dass bei der Kaufentscheidung für ein Modell gerade bei Männern eine gehörige Portion Irrationalität im Spiel ist (die manchmal sogar in der Werbung thematisiert wird: klick. Das Nachdenken über verloren gegangene "edle und noble Ziele" ist eine ganz andere Baustelle.
 
Ich nehme mal an, dass Elaborate wie das "A Hard Rain's Gonna Fall" eines gewissen Herrn Zimmerman seinerzeit ähnliche Kommentare hervorgerufen haben ...

Dieses "Elaborat" ist aber nicht willkürlich "zusammengekloppt", sondern entspricht in der formalen Konstruktion dem Frage-Antwort-Prinzip schottisch-englischer Folk-Ballads (konkret "Lord Randal", Nr. 12 aus der Sammlung von Francis James Child: "O WHERE ha you been, Lord Randal, my son? And where ha you been, my handsome young man?"), und in den Einzelzeilen - die zudem klanglich oft durch Alliterationen zusammengehalten werden ("ten thousand talkers ...") - den Gegebenheiten der füllungsfreien englischen Metrik, die regelmäßige Akzentabstände favorisiert.

Die unregelmäßige Zeilenzahl zwischen Frage und Refrain entsteht durch Addition anaphorischer Phrasen (Where the people are many .../ Where the pellets of poison ... / Where the home in the valley ..."), wobei die höchste Zahl (12 Zeilen) nicht nur den abschließenden Höhepunkt bildet, sondern auch einen Bezug zur allerersten Zeile ("I’ve stumbled on the side of twelve misty mountains") erlaubt.

Das ist also schon durchaus kunstvoll gemacht - mal abgesehen von den inhaltlichen Deutungsmöglichkeiten, die der Text bietet.
Natürlich kann man auch ein (Eigenzitat) "formal amorphes Konglumerat aus Drei-, Vier- und Fünfzeilern mit uneinheitlichen Kurz- und Langzeilen vertonen", aber nicht jeder hat da so ein gutes Händchen, wie z.B. dereinst Kate Bush. Sowas muss man können, sonst holpert es nicht nur vorne und hinten, sondern auch mittendrin!
 
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