Hallo,
da es ja hier auch um die Entscheidung geht das Cantulia Sonatina 4bi instandzusetzen oder ein Neues zu kaufen sollte ich wohl auch meinen "Senf" dazu geben. Obwohl ich eindeutig ja ein Liebhaber der Cantulia Instrumente, speziell der Sonatinas, bin und diese ja auch restauriere, befürchte ich daß bei Deiner Sonatina das volle Programm nötig wäre. Ich kenne mich mit den Sonatinas wirklich gut aus und habe schon 7 in Gänze restauriert und noch mehr als Teilespender zerlegt. Du hast recht damit daß der Klang der Sonatina wohlgefällig und ausgeglichen, und die Sonatina 4bi, als relativ seltene Ausführung der Sonatina mit dem 4" Chor, auch recht universell ist. Zumeist wurde die 4bi dann auch noch mit dem Sonderverdeck mit den Plexiglasplatten verkauft welches eine weitere Variation des Klangs erlaubt. Doch ob das Deine ein solches Verdeck hat weiß ich nicht.
Alle Sonatinas und auch andere Cantulias der gleichen Bauzeit haben einerseits gewisse spezielle Probleme, andererseits zusätzlich die Gleichen wie jedes andere 70 Jahre alte Akkordeon auch. Selbst wenn das Instrument äußerlich sehr gut erhalten ist und auch innerlich keine wirklichen Schäden wie Rost an den Stimmzungen, oder ein beschädigter Registerautomat oder Bassmechanik etc. vorhanden sind, ist immer eine komplette Restaurierung fällig. Und diese Restaurierung/Instandsetzung bei einer Cantulia ist zudem in einigen Punkten etwas aufwändiger als bei anderen Instrumenten. Jede Komplett-Überholung einer Sonatina verschlingt minimum 50 Stunden an Arbeit und kann wenn auch Gehäusereparaturen anfallen bzw. dieses auch ein wenig wieder auf Vordermann gebracht wird auch gegen 80 Stunden gehen. Wenn es sich um das Sonderverdeck mit den Plexiglasplatten handelt fehlen diese meist, sind zerbrochen oder wenigstens angerissen. Eine Neuanfertigung der Plexiglasplatten schlägt alleine mit gut 20-30 Stunden zu Buche.
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Wenn das Instrument noch nicht im Laufe der Jahre schon einmal überarbeitet wurde ist ganz sicher daß alle Klappenbeläge auf der Bass- als auch Diskantseite zu erneuern sind. Daß manchmal Basstöne hängen zeigt das dort noch die alten Beläge verbaut sind. Dabei ist gar nicht mal das ungeeignete Material der Beläge auf der Bassseite das Problem sondern die Befestigung der Bassklappen mit dem Hebel. Cantulia benutzte einen Kleber der galertartig weich wird. Dies ist der Grund warum sich die Klappen lösen, verdrehen können und die Bassmechanik dann entweder blockieren bzw. Luft durchlassen weil die Klappe nicht mehr gut anliegt. Der Klappenbelag ist auf der Bassseite aus Moosgummi welches in der Regel sogar nach diesen 70 Jahren weich und elastisch ist. Doch auch dieses Moosgummi ist auf der Klappe mit dem selben "Mist"kleber befestigt. D.h. auf der Bassseite ist ein Austausch der Beläge nötig mit Allem was dazu gehört wie einer kompletten neuen Justierung der Mechanik und der Knöpfe. Alles andere wie provisorisches Befestigen der Klappen mit Heißkleber, Ponal etc. - alles was ich schon gesehen habe- ist Murks.
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Auf der Diskantseite sind widerum Klappenbeläge verbaut welche aus Schaumstoff mit Leder belegt bestehen. Das Schaumstoff zersetzt sich drückt sich zusammen un der Belag wird dadurch insgesamt dünner und fängt an zu kleben, im Extremfall löst sich dann das Leder. Das kann man in der Regel daran erkenn daß die Tasten viel zu weit aus dem Klaviaturrahmen heraustehen. Die Klappen sind genauso wie auf der Basseite wieder mit dem selben Kleber der weich geworden ist befestigt. Auch hier gibt es nur eines, alles zerlegen, Tasten demontieren, Klappen entfernen, alles säubern, neue Beläge auf den noch nicht montierten Klappen anbringen,Tasten neu ausrichten und dann die Klappen mit einem Tupfer Silikonkleber am Klavisheben neu befestigen.
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Nächster Punkt der immer fällig ist, ist der Austausch der Ventile auf den Stimmplatten. Bei Cantulia wurden immer "nur" Lederventile verwandt, als auch bei den "hohen" Tönen. Leder als Naturmaterial altert, trocknet aus und verhärtet. Dies ist um so aufffälliger bei den kleinen Ventilen der hohen Töne. Meist sind die Lederventile weit abstehend und erfüllen ihren Zweck nicht mehr. Zudem ist hier ein Kleber benutzt worden der versprödet (Knochenleim) so daß die Ventile bei leichter Berührung abfallen. Erschwerend für eine Überholung ist daß widerum die Stimmplatten bei Cantulia eingeklebt wurden, diesmal mit Helmithin einem Kleber der aber in der Regel noch sehr gut hält. Doch bedeutet dies daß die Stimmplatten nicht demontiert werden sollten/können um sie mit neuen Ventilen zu versehen bzw. einzuregulieren. Üblicherweise würde man alle Stimmplatten lösen, sie reinigen, ventilieren und neu einwachsen. Bei einem Cantulia geht das jedoch so nicht. Man muß sie in eingebautem Zustand säubern, die Zungen legen, und auch die Ventile anbringen, bei den innenliegenden Stimmzungen ist dies besonders aufwändig.
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Dann ist gerantiert eine komplett-Neustimmung fällig.
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Dies sind nur die Arbeiten die in jedem Fall bei einer noch nicht überholten Cantulia fällig sind.
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Zudem haben die Sonatinas einen Balg bei welchem an den Ecken kein Leder sondern ein PVC beschichtetes Gewebe für Elastizität und Dichtheit sorgen soll. Selbst wenn Du schreibst daß der Balg dicht ist, ist klar daß, wenn es der original Balg noch ist, Du in absehbarer Zeit damit Probleme bekommst. Denn das PVC ist nicht mehr weich und die Beschichtung wird bei Gebrauch abbröseln und undicht werden. Ein neuer Balg alleine kostet so rund 250€.
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Anfällig ist zudem der Registerautomat und häufig auch eine verzogene Holzfüllung was beides bewirkt daß der Registerwechsel schwergängig ist.
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Einerseits möchte ich Dir mit der Auflistung der Problemstellen einer Cantulia die Möglichkeit geben bei einem Besuch einer Akkordeonwerkstatt ein wenig zu verstehen was man Dir dort erzählen wird und abzuschätzen ob der Mensch willens und in der Lage ist die Arbeiten korrekt auszuführen bzw. die Problematik der Cantulia Akkordeons kennt, zum anderen um Dir klarzumachen daß eine brauchbare Instandsetzung einer Sonatina ein mehrfaches an Geld veschlingt als es nach der Reparatur wert ist, und das mit dem mehrfachen ist nicht übertrieben, da Cantulia Instrumente per se keinen hohen Verkaufswert haben.
Eine von mir restaurierte Sonatina 4bi mit dem Plexiglas-Sonderverdeck (siehe mein Acatar-Bildchen) hat inklusive der neu anzufertigenden Plexiglasplatten mehr als 100 Stunden verschlungen und einen neuen Balg benötigt. Selbst bei einem leicht zu rechnenden Stundenlohn von nur 10€ ist man da direkt bei 1000€ + 250€ für den Balg + dem Anschaffungspreis.
So was tut man nur wenn man am Instrument hängt, aus musealen Gründen, aus Spaß an der Freud', oder wie bei mir einer Mischung aus Allem.
Eine gut widerhergestellte Cantulia Sonatina ist zwar ein angenehm zu spielendes und klingendes Akkordeon, doch klar ist auch daß die Bassmechanik, selbst wenn sie gut einreguliert ist, mehr Geräusche macht als modernere Konstruktionen und sie insgesamt eher ein unteres Mittelklasse-Modell ist. Da es Dir aber um Spielfreude geht und Du ein Budget bis 3000€ hast, würde ich an Deiner Stelle was richtig vernünftiges kaufen. Der Klang, die Geräuschkulisse und Präzision der Bassmechanik, die Leichtigkeit und Zuverlässigkeit des Registerautomaten, die Tastatur etc. eines italienischen Instrumentes in Deinem Preisrahmen ist eine ganz andere als es selbst eine gut instandgesetzte Sonatina ermöglicht. Für 2000-3000€ bekommst Du ein gutes italienisches gebrauchtes Insrument vom Händler überholt und mit Garantie.
Falls Du aus dem Köln Bonner Raum kommst, könntest Du vorbeikommmen um eine solche komplett überholte Sonatina 4bi anzuspielen, bzw. auch dann im Vergleich mal italienische Akkordeons .
Gruß,
Roland