Liebe Akkonauten,
na dann stelle ich mich hier auch mal vor. Das Forum hier gefällt mir sehr gut, ich habe schon viel gelesen und werde wahrscheinlich noch einiges fragen, also war da mal eine Registrierung angebracht. Bei der Gelegenheit noch ein Lob an die Forenbetreiber, dafür dass ihr keine grafischen Captchas verwendet. Andererseits musste ich als geburtsblinde Person aber auch mein eingerostetes Wissen über Farben bemühen, um das Rätsel richtig zu lösen.
Ich gehöre wohl in die KAtegorie der Wiedereinsteiger, auch wenn ich nie wirklich aufgehört habe, Musik zu machen. Im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren hatte ich Akkordeonunterricht an der Musikschule, ursprünglich auf Anraten meiner Musiklehrerin „als Vorbereitung aufs Klavierspielen“, weil meine Hände ziemlich klein sind. Rückblickend würde ich auch sagen, dass es als Heranführungsinstrument seine Vorzüge hat, weil man sich da weniger mit einem klanglichen Ideal vergleicht bzw. von anderen damit verglichen wird, das man zumindest in nächster Zeit nicht erreichen wird. Das heißt nämlich auch, dass wir gemütlich Stück für Stück die altbekannten Polkas, Walzer, Volkslieder, andere Tänze usw. durchmachen konnten. Kurz bevor ich aufgehört hatte, hatten wir z.B. den ungarischen Tanz nr. 5 von Brahms abgeschlossen, Walzer Nr. 2 aus der Suite für Varieté-Orchester von Shostakovich und die Tarantella von Giuliani.
Mit dem Instrument assoziiere ich ganz viel Spontanität, weil es mobil ist, man nichts stimmen muss und bei günstigen Gelegenheiten relativ einfach loslegen kann. Besonders eindrücklich ist mir eine sehr langweilige Stadtbesichtigung mit Familie im Gepäck, meine Großeltern aus dem Ausland wollten Limburg sehen. Am Dom bemühte jemand sehr zaghaft und pietätvoll sein Akko. Ich fragte ihn erst nach einigen Stücken, die er nicht kannte. Er versuche sich sein Repertoire von CDs abzuhören. Dann bot ich ihm an, ich könne ihm die Stücke auch vorführen, er gab mir sein Instrument und ich spielte ein paar Stücke. Die Oma warf etwas Geld in den Koffer, das er behalten durfte, und es gab selbstverständlich ein Foto. Bevor es zu lang werden konnte, ging es auch schon weiter mit der Stadtbesichtigung.
Mit der Zeit hatte ich immer mehr Klavier und auch Geige gespielt, weil ich anspruchsvollere Klassik authentischer spielen wollte. Klassisch gepolt bin ich zwar tatsächlich, aber vielleicht hat bei der Entscheidung auch dieser akkordeonistische Minderwertigkeitskomplex eine Rolle gespielt. So war ich zwar immer noch uncool, aber zumindest wird man mit einem gehobenen Instrument nicht mehr ausgelacht oder skeptisch beäugt. Komischerweise war in meinem ländlich geprägten Umfeld das Akko überhaupt kein Problem und der Umgang total unverkrampft, in der Schule kam ich mir damit aber zweitklassig vor. Mir hatte damals irgendwie auch die Perspektive gefehlt. Das Akko hatten wir dann irgendwann verkauft. Trotzdem konnte ich mich über diesen Weg sehr weiterentwickeln, bspw. auch über das systematische Auswendiglernen komplexerer Stücke. Noten gibts zwar in Blindenschrift, aber vom Blatt spielen ist ja nicht. Nach der Schule habe ich was studiert, das nichts mit Musik zu tun hat, aber in einem gewissen Ausmaß immer Musik gemacht.
Jetzt mit Mitte dreißig gab es bei mir vor allem beruflich sehr viele Umbrüche, und überhaupt diese aktuelle Zeit ist ja nicht ganz einfach. Vor knapp einem halben Jahr habe ich eher aus Jux eine Tango II sehr günstig aufgetrieben und wieder herrichten lassen. Qualitativ gibts da wahrscheinlich sehr viel Luft nach oben, das arme Schätzchen bekam anscheinend auch schon einmal einen Jägermeister eingeflößt, aber sie ist wieder ganz gut in Schuss und wir zwei kommen auch vorerst ganz gut zurecht. Ich bin wirklich beeindruckt, wie gut mir das Akkordeonspiel für mein Wohlbefinden tut. So eine Intimität habe ich bei keinem anderen Instrument erlebt.
Inzwischen bin ich erstaunlich schnell wieder in meine alten Stücke reingekommen und habe ein paar Haas-Stücke gelernt (Odzidanje, Estrella). Es war eine kurze Zeit lang ungewohnt, dass die Dynamik aus dem Balg kommt und nicht aus dem Tastenanschlag wie beim Klavier. Generell habe ich jetzt das Gefühl, dass ich viel Technik damals rein nach Gehör falsch gelernt habe. Bei mir kommt die Artikulation aus den Fingern, nicht aus einem Balgstop. Das fühlt sich ökonomischer an als bei jedem Staccato oder Portato einen Balgstop zu machen (Massenträgheit). Der Balg hält irgendwie zu langsam an. Vielleicht versuche ich bei Gelegenheit mal eine Hörprobe mit dem Ständchen aus Schuberts Schwanengesang zu machen. Im Unterricht wurde Balgtechnik nicht so genau behandelt. Die Philosophie hatte vielleicht eher erzieherische Motive, ähnlich wie bei der Suzuki-Geigenschule. Es geht mehr um Beständigkeit, Hirntraining, Disziplin usw. Musik ist da eher ein Mittel zum Zweck. Zur Zeit lerne ich ein paar Stücke von wilhelm Bernau, um wieder ein bisschen Geläufigkeit zu bekommen. Ich mag diese Stücke gern als Vortragsstücke mit Didaktik.
Bei der Beziehung von Akko und Klassik würde ich sagen, es kommt drauf an. ;-) Ich denke schon, dass längst nicht alles dem Instrument gut steht. Ich probiere aus Spaß gern Stücke aus, die Passen könnten.
* „Hexenmenuett“ aus Haydns „Quintenquartett“ Op. 76.2
* Fantasie KV 397 von Mozart (ok, sind ein paar fiese Läufe drin)
So, das war es erst mal von mir. Wer bis hierher gelesen hat, vielen Dank für die Blumen.