Ich bin sehr erfreut daß sich so viele an der Diskussion über die " Rumänische Volkstänze" von Béla Bartôk beteiligen, mit ihren verschiedenen Ansätzen und Inspirationen. Primär war zwar wirklich mein Problem daß ich "nur" klären wollte daß das "Arrangement" von Anzellotti mit einem MII nicht spielbar ist. Das war ja schnell geklärt. Doch das Näher-eingehen auf die rumänische Volksmusik, da ich ja eindeutig mein Interesse daran bekundet habe, finde ich nicht als Abschweifen vom Thema und bin dankbar dafür, speziell für Boris Tips und Links.
Ich werde mich in Muße damit beschäftigen.
Doch irgendwie wurde mehrfach darauf hingewiesen daß Bartôks "Rumänische Tänze" nicht viel mit rumänischer Volksmusik zu tun haben.
Mit dieser Aussage tue ich mich widerum erstmal, auch ohne jetzt direkt klar das Gegenteil beweisen zu können da ich mich damit nicht intensiv genug beschäftigt habe, schwer.
Ich frage mich ob ihr dem Bartôk da nicht unrecht tut.
Klar gab es in der "klassischen Musik" einige Kompositionen die vorgaukelten aus fremden Ländern zu stammen oder so tun sollten als ob sie den Musikstil fremder Länder darstellen würden, so wie: türkischer Marsch oder die Entführung aus dem Serail von Mozart, Aida von Verdi, Madam Butterfly von Puccini. Bei den Ungarischen Tänzen von Brahms scheint mir das aber schon etwas anders zu liegen, da wohl Brahms die Themen zeitgenössischer ungarischer Folklore als Vorlage benutzte.
Aber zurück zu Bartôk, da liegt das doch irgendwie gänzlich anders. Er war zusammen mit Zoltán Kodály einer der ersten Musikethnologen überhaupt, die beide großflächig in Ungarn und Rumämien (und auch anderen Ländern) die alten Volkslieder, -Tänze und - Weisen festhielten und aufnahmen, zu einem großen Teil sogar mit dem Phonographen. Den dritten Band der Ethnomusikologischen Schriften ( III, Rumänische Volkslieder aus dem Komitat Bihar) als Faksimile Nachdruck von Bartóks Privatausgabe mit noch nachträglich von ihm angefügten handschriftlichen Präzisierungen besitze ich und kann nur feststellen daß er extrem akribisch, auch gerade die Verzierungen, festgehalten hat. Er hat extra rumänisch gelernt um auch die Liedtexte richtig einordnen (Rumänien war zu der Zeit Anfang des 20. Jhdts ein Teil Ungarns - rumänische Freunde würden sagen ungarisch besetzt) und festhalten zu können und man sagt ihm nach daß er ein extrem feinfühliges Gehör hatte und kleinste Nuancen heraushören konnte. Seine musikethnologischen Studien wurden von der Academia Româna gedruckt und seine Spesen bezahlt.
Bei den 6 kleinen kurzen "Rumänische Tänze" von Bartôk sind jedem Stück angeführt aus welchem Ort/Gegend sie stammen. Auch wenn ich bisher noch nicht eines seiner 6 Stücke genau einem dieser im Rahmen der großflächigen musikethnologischen Studien in Rumänien aufgezeichneten und notierten Stücke zuordnen konnte, gehe ich davon aus daß es eindeutige Vorlagen für diese 6 "Rumänische Volkstänze" gab.
So intensiv er sich mit der rumänischen Volksmusik beschäftigte und bestrebt war diese so exakt wie möglich festzuhalten, erscheint es mir sehr unwahrscheinlich daß er hier "Fakes" komponierte, nur grob von rumänischer Volksmusik inspiriert.
Auch die Art der Stücke, in der Urfassung ganz einfach und klar nur für Klavier geschrieben, also nicht orchestriert und auf beeindruckende Wirkung eines Konzertpublikums hin arrangiert, lässt mich doch eher verstehen daß er bei diesen Stücken wirklich versuchte ganz bestimmte originale rumänische Lieder/Tänze, welche er bei seinen Studien kennenlernte, so einem breiteren Publikum nahezubringen. Daher in Noten fürs Klavier gefasst, weil dieses Instrument weit verbreitet eigentlich zu dieser Zeit überall verfügbar war. Natürlich wurden rumänische Volkslieder und Tänze originär nie auf einem Klavier gespielt, das ist kein Volks-Instrument.
Da wären wir beim Akkordeon, denn auch dieses ist ein recht junges Instrument so daß doch kar ist daß jahrhunderte alte Volkslieder und Tänze nichts mit einem Akkordeon zu tun haben.
Es wurden die Verzierungen und die Spielweise rumänischer/moldawischer Akkordeonspieler angesprochen und daß diese Art des Spielens nur duch intensives Beschäftigen vor Ort oder zumindest durch Beibringen lassen erlernt werden könne.
Dem stimme ich uneingeschränkt bei. In jedem der "Balkanländer", wobei man das ruhig auch größer auslegen könnte, gibt es Eigenheiten und Abarten der Verzierungen die typisch sind und den dortigen Stil prägen.
Vor ein paar Jahren hatte ich ein Video entdeckt in welchem ein Akkordeonist aus der Region an einem Stück demonstriert (um nicht zu sagen sich darüber lustig machte) wie sich die Interpretationsstile der Balkanregionen unterscheiden. Er spielte das gleiche Stück auf "kroatisch", "slowenisch", "serbisch", auf die "bulgarische Art" etc. .
Doch zum einen hängt die Art der Verzierungen stark vom Instrument ab auf welchem ein Lied gespielt wird zum anderen vom Können des Musikanten, zum Dritten von der Region und aber genauso auch vom Zeitgeschmack.
Und wie gesagt handelt es sich beim Akkordeon nicht um ein altes traditionelles Volksinstrument wie irgendwelche Hirtenflöten oder einfache Streichinstrumente wie die Gusle etc.. Das Akkordeon generell, und erst recht in seiner jetzigen Form, ist ein junges Kind. Und selbst wenn es schon seit vielleicht grob 130 Jahren in der Region gespielt wird stellt sich die Frage wie es früher auf Volksfesten gespielt wurde.
Alan Bern hat vor ein paar Jahren versucht der Musiktradition des Klezmers in Bessarabien (heute Moldawien), dem Land seiner Vorfahren, zu erforschen. Da gibt es eine sehr aufschlußreiche und interessante DVD von (The other europeans)
http://www.theothereuropeans.eu/
Alan war dabei auf der Suche nach dem autentischen Klang und es stellte sich heraus daß die heutigen Musiker der Region, selbst wenn sie die alten Lieder und Tänze noch kannten/spielten, sie in einer Art spielten die nicht der früheren entprach. Es kam ganz klar dabei heraus daß heutige Instrumentalisten im Balkan (natürlich pauschalisiert und wenn sie ihr Instrument beherrschen) eine extrem starke Tendenz haben immer schneller zu spielen und durch Unmengen an Verzierungen ihre Virtuosität demonstrieren wollen. Man kann diese Tendenz in den dortigen Musik-Fernsehshows die zum Großteil abschreckend sind und m.E. nichts mit der Volkslied/Tanz traditionen der Länder zu tun hat (aber das ist hier in D mit dem Musikantenstadl ja nicht anders) leicht erruieren. Mir scheint oft die Musik und der musikalische Ausdruck auf der Strecke zu bleiben.
Bemerkenswerte Ausnahme ist da Merima Kljuco, die vieles in einem viel langsameren Tempo spielt als ihre "Kollegen" und es liegt beileibe nicht an ihrem Unvermögen. Manchmal zeigt sie daß auch sie es "à la mode" kann.
Also die Frage, was ist die richtige Interpretation eines alten rumänischen Volksliedes/tanzes welches seit Jahrhunderten tradiert wurde auf einem Instrument welches kein traditionelles altes rumänisches Instrument ist und welches auch im Laufe seiner Verbreitung in der Gegend in den letzten 130 Jahren spieltechnisch großen Wandlungen unterworfen war, ist doch eher nicht zu beantworten. Früher war der Großteil der Lautari ein Wochenendsmusiker der auf Festen (oft zusammen mit Klezmorim in einer Gruppe) zum Tanz/Fest aufspielte, und gar nicht in der Lage war sehr virtuos zu spielen, auch schon daher weil man die Woche über händisch arbeiten mußte. Auch insofern ist die heutige virtuose Art der Verzierung keine Tradition.
Schon bei den "klassischen" Kompositionen von "Kunstmusikalischen" Werken tue ich mich schwer einzusehen mich genau an Vorgaben zu halten, denn ich bin der Interpret und ich nehme mir einfach gewisse Freiheiten an der sich meine Klavierlehrerin zwar ergötzte aber viele "Musikkritiker warscheinlich als Anmaßung empfunden hätten. Umso eher steht dieses Recht m.M. nach einem zu wenn man volkstradierte Musik interpretiert. Ich will gar nicht so spielen wie ein rumänischer heutiger Akkordeonist, ich will so spielen wie ich fühle daß es zu dieser Musik passt. Natürlich alles im Rahmen , aus einem 11/8 Kopanica darf kein Walzer entstehen dann wäre die Essenz verdorben.
Ich lasse mich gerne von anderen inspirieren und übernehme sicherlich auch bewußt oder unbewußt einiges was ich durch zuhören verinnerliche , und da Boris sagst Du wirklich wesentliches: schärfe lieber dein Gehör als auf Noten zu vertrauen.!!!
Falls jemand Näheres zu den Vorlagen Bartóks zu den "Rumänischen Volkstänzen" kennt möge er es gerne kundtun.
Einen großen Dank an Alle die sich hier beteiligten,
liebe Grüße,
Roland
Nachtrag:
Hier gibt's noch einiges an Infos über die "Rumänischen Tänze" von Béla Bartók auf englisch:
https://en.wikipedia.org/wiki/Romanian_Folk_Dances