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Deleted member 291993
Guest
Das das ansonsten spannungsfreie F im G7 eine Dissonanz generiert, ist doch eigentlich nur die halbe Wahrheit.
Die Frage war ja nicht, warum das F als Melodieton über einem G7 eine andere "Farbe" hat, als über einem F-Dur-Akkord, sondern dass die Töne in Skalen des Dur-Moll-Systems hinsichtlich ihres jeweiligen harmonischen Umfelds als relativ aufzufassen sind - im Gegensatz zum kirchenmodalen Denken, bei dem die Funktion eines Tones durch seine Position in der Hierarchie der modalen Gerüsttöne gleichsam absolut festgelegt ist.
Zu einer Dissonanz gehört ein schräges Intervall. In diesem Fall ist es der mixolydische Tritonius, welcher für die hörbare Dissonanz verantwortlich zeichnet
Das ist unter dem vertikalen, harmonischen Aspekt richtig, melodisch aber nicht zwingend notwendig, weil F eben nicht G ist und somit ein F in metrisch betonter Position in jedem Fall eine Reibung mit jedem beliebigen Akkord erzeugt, der ein G enthält. Ein F über einem terzlosen Quintklang G-D ist bereits eine milde Dissonanz, die Tritonusspannung zur Terz H eines G7 verschärft den klanglichen Konflikt lediglich.
Aber wie kommst du darauf, der Tritonus sei "mixolydisch"? Hier werden schon wieder unterschedliche Konzepte durcheinander gewürfelt: Der Tritonus in Dominant-Septim-Akkorden ist ein rein harmonisch legitimiertes Intervall der Dur-Moll-Tonalität, im Mixolydischen, also dem 7. Kirchenton wird der Tritonus als Melodieintervall umgangen, bzw. durch Tiefalteration des B durum (H) zum B mollie neutralisiert. Der Tritonus im mixolydian mode der CS-Theorie ist Teil des a priori als vierstimmig bestimmten Gerüstklanges G-H-D-F und somit lediglich eine Klangfarbe ohne zwingend auflösungsbedürftigen Dissonanzcharakter.
Die Stufentheorie, hier speziell das adjektive stufenharmonisch, und eine gleichstufig temperierte Stimmung der Gitarre haben ausser der Verwendung des Begriffs "Stufe" keine Gemeinsamkeit, oder?
Das hat in der Tat nichts miteinander zu tun. Während die Funktionsharmonik (zumindest in ihrer ursprünglichen Konzeption durch Riemann) vom physiologischen und psychologischen Prinzip der Spannung und Entspannung ausgeht, dieses auf Akkordbeziehungen überträgt und die dabei primär gehörsmäßig (!) zu erfassenden Zustände auf einige wenige Haupt- und Nebenerscheinungen ( "Funktionen") reduziert, ist das Konzept der sogenannten Stufenharmonik ein eher pragmatischer Ansatz, der als Erweiterung der noch bis ins 19. Jahrhundert hineinwirkenden "Oktavregel" der Generalbasspraxis zu verstehen ist, die in einfachster Formulierung besagt, dass die Randstufen eines Tetrachords (I-IV und V-VIII) mit 1-3-5-Akkorden zu harmonisieren sind, die Zwischenstufen II, III und VI, VII mit 1-3-6-Akkorden, wobei letztere aber noch nicht als "Umkehrungen" definiert waren, sondern als eigenständige Akkordgattung (Akkorde mit 6 statt 5).
Die auf Rameau zurückgehende Idee der Umkehrbarkeit von Akkorden hat einerseits zur begrifflichen Reduktion des Akkordmaterials geführt (II6 und VII6 gehen im V7 auf, III6 in der I, VI6 in der IV) und stellt somit eine der Keimzellen des funktionsharmonischen Denkens dar. andererseits widerspricht die Idee, dass der Basston eines Umkehrungsakkords nicht mehr sein "eigentlicher Grundton" ist, dem Prinzip des Generalbasses als basso continuo, wonach der real erklingende Bass zugleich Generator des darüber zu spielenden Akkordes ist.
Diesem als harmonische Verarmung empfundenen Zustand tritt die Stufentheorie entgegen, die an der Oktavregel anknüpft und diese dahingehend erweitert, dass nun auch die durch Rameau zu "Nebenstufen" degradierten Bässe der II, III, VI und (erstmals unter satztechnischen Vorbehalten) VII als Fundament eines accord parfait (ursprünglich 1-3-5-8: "perfekt", weil mit 1-8, 1-5, 1-3 und 3-5, 3-8 und 5-8 alle Konsonanzen enthalten sind) dienen können.
Die Grundessenz der Funktionsharmonik ist die Abfoge Spannung-Entspannung (exemplarisch dargestellt an Dominante-Tonika / Subdominante-Tonika), wonach das Wesen der Tonalität durch S-T D-T darstellbar ist, die Essenz der Stufenharmonik ist hingegen die "große Kadenz", da erst das Durchlaufen aller Stufen (im Quintfall) die Tonalität im vollen Umfang zu konstituieren vermag: (I)-IV-VII-III-VI-II-V-I.
In der musikalischen Praxis müssen diese 7 Stufen allerdings nicht real erklingen, denn ähnlich wie die Rameausche Theorie der bei Umkehrungen nur virtuell vorhandenen Fundamentalbässe (III6 ist demnach "eigentlich" I mit Terz im Bass), erklärt die Stufentheorie alle Akkordverbindungen, die nicht durch Quintfall der Grundbässe entstehen, durch "virtuell übersprungene Stufen" (VI-V ist demnach "eigentlich" VI-[II]-V).
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