Hallo Daniela,
ein sehr interessanter Beitrag. Ich habe im Studiumsbedingt recht viel mit klassischen Musikern zu tun, komme aber ja selbst aus der Jazz/Popularmusik-Ecke. Mein erstes Instrument als Kind war aber auch die Geige, die ich dann 8 Jahre lang erlernt habe. Bin also in beiden Welten etwas drin.
Das sind meine Beobachtung und Überlegungen, keine fundamentale Kritik
Hatte mal Geige und Klavier als Hauptfach studiert. Drei gegen zwei oder drei gegen vier zu spielen, ist auch für klassische Pianisten gängige Praxis, erfordert aber auch einiges an Übung. Mir hat die Einteilung in Microeinheiten natürlich geholfen. Bei schnellem oder sehr langsamen Tempo funktioniert das nicht mehr. Mit sehr viel Übung hat sich bei mir im Kopf irgendwann die Parallelverschaltung gelöst und ich konnte beide Hände getrennt voneinander kontrollieren.
Wer da Probleme hat, bitte nicht verzweifeln! Wenn man dran bleibt funktioniert das irgendwann.
Insbesondere Hemiolen, ja. Ich finde es interessant dass du auch mit einer Microtime gearbeitet hast. Ich habe immer den Eindruck gewonnen dass Popularmusiker viel Kleinteiliger zählen und klassische Musiker mehr einen weiter gefassten Puls empfinden, der teilweise auch über zwei Takte oder mehr geht. Eine gefühlte Einteilung in Achtel oder sogar Sechzehntel-Einheiten ist den meisten von ihnen eher fremd, und wird als unnatürlich empfunden, so scheint es mir.
Hemiolen (2 gegen 3) werden zum Beispiel ja oft als Phrasenende eingesetzt, wo die Dynamik sozusagen ausgebremst wird. Es gibt Untersuchungen zu dem Thema, das Hirn hat keine Probleme mit Synkoben bei gleichbleibenden Tempo und auch kein Problem mit Tempo Rubato, wenn beides kombiniert auftritt kommt es allerdings durcheinander. Jetzt wäre halt zum Beispiel eine romantische Klaviersonate ohne Agogik nicht vorstellbar, das ist einfach Teil des Stils. Aber aus Sicht eines Popularmusikers hat das was da oft vorgetragen wird mit einem gleichmäßigen Tempo natürlich nichts zu tun, und manchmal noch nicht einmal mit dem Notentext, ob der Freiheiten die sich da mancher Interpret herausnimmt. Grade zum Beispiel rhythmisch vertrackte Stücke wie die Kreisleriana von Schumann zum Beispiel höre ich daher nur von manchen Interpreten gern.
Als ich im Orchester als Geigerin anfing (bereits mir 21 Jahren und kaum Orchestererfahrung), tauchten immer wieder rhythmische Problemstellungen auf, die ich so noch nicht erlebt hatte. Z.B.: unglaublich schnelle Taktwechsel bei Strawinsky in Sacre. (Es geht übrigens manchmal noch komplizierter.) Wegen der Taktwechsel kann man das Zeug auch nur schwer mit Metronom üben.
Wieso soll das mit Metronom schwierig sein? meinst du, weil ein einfaches Metronom keine Wechselnden Taktschwerpunkte mit einem alternativen Klickgeräusch anzeigen kann? Ich denke das ist nicht notwendig. Einfach einen gleichklingenden Klick durchlaufen lassen.
Griff- oder Bogentechnisch komplizierte Stellen waren für mich nie das große Problem. Als Geige im Orchester spielt man ja immer chorisch mit den Kollegen, da kommt es in einem Spitzenorchester auch sehr darauf an rhythmisch absolut präzise zu spielen und vor allem das Tempo zu halten.
Das wiederum finde ich auch sehr interessant. Ist es nicht so, dass ein chorischer Streicher Sound, ein Klang der onehin relativ wenig transienten hat und tendenziell eher weich ansetzt rhythmisch viel dankbarer ist. Dadurch verschleiert sich doch alles zu einem weichen Brei der rhythmisch nicht mehr so ins Gewicht fällt. Ein Schlagzeuger auf der Snare-Drum hats da viel schwerer. Das selbe Phänomen gibt es auf der Gitarre z.b. a auch. Wenn man mit viel Verzerrung spielt und etwas Echo-Effekt dazu mischt, dann fallen rhythmische unsauberheiten viel weniger auf als bei einer mit viel Attack gespielten cleanen Gitarre.
Ich verstehe das so: Es ist absolut wichtig dass alle zusammenspielen, damit die Stimmgruppe nicht auseinanderfällt, und dafür brauchen alle ein gleiches Verständnis von der rhythmische Gestaltung der Phrase. Das heißt dann schon dass es "präzise" ist, muss aber nicht unbedingt heißen dass es "im Tempo" ist.
Ich musste feststellen, dass das bei mir genauso banane klang wie bei allen anderen Klassikern, die denken, die Beherrschung des Instruments genügt, um sich schnell mal in anderen Stilrichtungen zu versuchen. Der entsprechende Groove wollte sich nicht einstellen. Auch da musste ich mich mühsam erst heranarbeiten. Musste einfach ganz von vorne anfangen. Wenn man sich gewohnheitsmäßig hauptsächlich an den ungeraden Taktzeiten als Schwerpunkt orientiert, wird das in hundert Jahren nichts. Habe das Metronom auf halbe Takte gestellt und mir den Metronomschlag auf der zwei und vier vorzustellen versucht. Hat wieder ganz schön lange gedauert, bis ich da nicht mehr automatisch aus dem Ruder gelaufen bin.
Da hast du schonmal den meisten etwas vorraus, weil von Klassikern mit dieser Haltung gibt es immer noch viel zu viele. Das Metronom auf 2 und 4 zu stellen ist eine Ersklassige Übung für Swing-Feeling. Kann ich allgemein hier empfehlen. Überhaupt ist es meiner Meinung nach sinnvoll das Metronom auf verschiedene Zeiten zu setzen, weil es den "fraktalen" Aspekt von Rhythmus aufzeigt. Rhythmus hat mehrere Schichten und was ich auf einer Ebene als 2 gegen 3 Polyrhythmik betrachten kann, ist auf einer anderen Ebene eine Triole oder eine Duole. Durch ein verschieben des Referenzpunkts werden einem die Querbezüge viel klarer.
Alles in allem war immer mein Eindruck dass klassich gelernte Musiker Rhythmus völlig anders empfinden. Zum Beispiel eher nahe am Sprachduktus, als in Versmaßen z.b. Häufige Probleme treten auf bei zusammengesetzten Taktarten und bei Sechzehntel-Gruppierungen. Wenn ich mit jemanden aus dieser Ecke Klatschspiele mache und ein Metronom klatschen lasse, und ich klatsche mal die "4und" und mal die "1und" , dann kommen die meisten sofort raus. Der andere gleicht sich meist an, weil er im Tempo schwimmt. Bei Popularmusikern ist das seltener so. Sobald aber die Referenz schwimmt machen die meisten lustigen rhytmischen Unterteilungen dann schnell keinen Sinn mehr.
Die mitunter stabilsten Musiker in dieser Hinischt sind wohl indische Musiker. Tabla-Spieler im besonderen, aber auch einige Sitar-Spieler sind was den rythmischen Aspekt angeht wohl oberste Weltklasse. Ein Aspekt der sich ja auch über viele Musiker in den Prog-Rock Bereich übertragen hat....
hier mal zwei beispiele im langsamen und schnellen Tempo von einem absoluten Badasss in dieser Hinsicht
Nebenbei möchte ich noch anmerken das ich es echt stark finde wie viel konstruktive Hilfe hier geboten wird auch von Instrumentalisten die ein völlig anderes Instrument spielen. Ehrlich gesagt hatte ich vor der Themeneröffnung etwas Bauchschmerzen da ich unter den ersten 10 Beiträgen mit wenigstens 3 "Einfach üben, anders gehts nicht" gerechnet habe mit einer anschließenden Diskussion wie viele Stunden täglich mindestens notwendig sind.
Durchaus nicht, auch vermeintlich einfache Sachverhalte haben immer auch eine komplexe Seite. Das weiß jeder der schomal einen perfekten Crepe oder perfekte Bratkartoffeln machen wollte. Der Übe-Aspekt ist natürlich immer voraussetzung, aber ich denke diese Anworten bekommen auch oft User, die fragen stellen wie: "wie spiele ich bis vorgestern alle Modes mit Hilfe eines Geheimrezepts, ohne etwas lernen zu müssen"
grüße B.B