Strato Incendus
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Musik soll vor allem Emotionen ausdrücken und auslösen - sagt vielleicht der Blueser.
Musik soll gesellschaftlich etwas bewegen und verändern - sagt vielleicht der Alternative Rocker.
Natürlich kann man den Fokus auch noch auf vieles anderes legen (technisches Können etwa, habe ich ja im Thread über Musik als "Sport" schon einmal angesprochen). Aber wenn es um Texte geht, ist das eher vernachlässigbar (Ausnahmen wären für mich ggf. "Geschwindigkeitsrekorde" im Rap, also wie viele Silben pro Sekunde, oder besonders clevere Reime, ebenfalls im Rap oder bei Singer-Songwritern wie Bodo Wartke, die ausgefallene Reime bewusst zum Fokus ihrer Texte machen).
Ansonsten wäre für Lyrics eine denkbare, "simple" Unterteilung (weil nur in zwei Kategorien) eben die Frage:
"Sage ich etwas über mich aus, oder über alle Menschen zusammen? Steht eine Person im Fokus oder eine Sache?"
Die zweite Frage wäre für mich: "Sage ich direkt und unverblümt, was ich denke? Oder verwende ich Poesie / Metaphern etc., um zu verschleiern, was gemeint ist, sodass der Zuhörer mehr selbst interpretieren kann (oder auch ggf. sogar "muss")?"
Daraus ergibt sich eine 2x2-Systematik:
[TBODY]
[/TBODY]Die meisten Menschen finden wahrscheinlich in beiden "Kategorien" Songs, die ihnen gefallen, und die meisten Musiker haben wahrscheinlich auch schon beides geschrieben (oder zumindest zu schreiben versucht).
Und man kann sicherlich alle vier dieser Arten von Songs großartig hinbekommen oder total verhunzen.
Deshalb finde ich es interessant, mal zu systematisieren, was ein Song mitbringen muss, speziell sein Text - je nachdem, in welche Kategorie er fällt - damit er mich anspricht, und was für NoGos es gibt, mit denen er für mich durchfällt. Normalerweise denken wir über sowas vermutlich nicht nach, wir entscheiden einfach nach "Gefühl" und "persönlichem Geschmack", ob uns ein Song gefällt oder nicht. Aber wie CosmicSkeptic (YouTube) mal so schön sagte, wir können ja nicht kontrollieren, was wir "wollen" - wir tun es einfach.
Wenn wir also davon ausgehen, dass wir gar nicht selbst mit unserem "freien Willen" entscheiden können, ob uns ein Song gefällt oder nicht, erfahren wir mehr über uns selbst und unseren persönlichen Musikgeschmack, wenn wir an die Frage, wann uns ein Text gefällt und wann nicht, mal analytisch herangehen. Anstatt uns eben rein darauf zu verlassen - wie es unter Künstlern ja oft auch mal gerne "glorifiziert" wird - ob der emotionale Funke überspringt oder eben nicht.
Für euch mögen diese Kriterien mit meinen überlappen oder auch nicht, ihr könnt euch also gerne an meine Systematik anschließen, wenn sie für euch Sinn ergibt - oder aber ihr macht eure komplett eigene Unterteilung auf.
Damit meine Kategorisierung anschaulicher wird, kommen nun natürlich Beispiele meinerseits .
Persönlich + konkret
Dies ist meiner subjektiven Wahrnehmung nach der Großteil der existierenden Songs: Der Sänger erzählt über eine persönliche Begebenheit, die ihm entweder tatsächlich so passiert ist, oder die er persönlich gerne so hätte. Dabei drückt er sich in relativ normaler Sprache aus, sodass möglichst jeder ihn verstehen kann.
Beispiele: Ein Kompliment (Sportfreunde Stiller), Lieblingsmensch (Namika)
Stärken: Jeder kann diese Songs verstehen - sowohl die Begebenheit selbst (die meist in eine der drei Schubladen "Life, Love, and Death" passt), als auch die Worte, mit der sie beschrieben wird (keine hochtrabenden Formulierungen, sondern "direkt und ehrlich").
Gefahr: Die geschilderten Erlebnisse und Gefühle werden aufgrund ihrer Alltäglichkeit und Allgemeingültigkeit als banal wahrgenommen. Das, was der Sänger erzählt, passiert in ähnlicher Form Millionen anderer Menschen auch jeden Tag. Dadurch können sie das zwar nachempfinden, aber warum sollten sie dann gerade speziell dir zuhören? Der Leadsänger der Band meines ersten Gesangslehrers (also nicht der Gesangslehrer selbst, der war da Bassist) hat einmal etwas arrogant gesagt: "Also, dieses ständige Posten von Gefühlen, nur weil einem gerade mal ein Furz quer sitzt, das geht mir tierisch auf den Keks!"
Für den Kontext: Dieser Sänger war in einer Alternative Rock Band, die sich statt persönlichem "Gefühlsposting" lieber mit Politik- und Gesellschaftskritik befasst hat. Was uns zur nächsten Kategorie führt:
Unpersönlich + konkret
Das scheint mir eher eine Nischen-Musik zu sein, die sich innerhalb ihrer Nische aber eines loyalen Publikums erfreut. Man könnte auch sagen: Es ist Musik für Nerds. Man muss meist ein gewisses Vorwissen mitbringen, damit man die ganzen Referenzen, die in solchen Songs gemacht werden, versteht. Denn es wird ja nicht über persönliche Erfahrung gesungen, sondern über allgemeinhin bekannte Fakten; nur die Interpretation dieser Tatsachen ist dann wieder der Persönlichkeit des Sängers / Komponisten überlassen. Wer nicht weiß, auf welche Fakten sich hier bezogen wird, für den ist das alles wahrscheinlich nur seelenloses, trockenes Semantikwissen. Es wird zwar vielleicht sogar das Schicksal eines Individuums besungen (einer historischen Person o.ä.), mit der man sich ggf. identifizieren könnte - allerdings ist der Sänger nicht diese Person (vgl. persönlich + abstrakt), sondern bloß ein Zuschauer oder Erzähler in der dritten Person. Quasi ein singender Geschichtslehrer oder (für aktuelle Ereignisse) Politiker. Im Extremfall werden sogar noch konkrete Jahreszahlen und/oder Eigennamen von Orten oder Personen genannt, die ein Abstrahieren des hier Geschilderten auf das eigene Leben des Zuhörers deutlich erschweren.
Beispiele: History Metal Bands wie Sabaton, Civil War, Ten; Rezitative von Erzählerfiguren in Musicals, z.B. "Le temps des cathédrales" (Bruno Pelletier, Notre Dame de Paris)
Stärken: Wer das nötige Hintergrundwissen hat, kann diese Songs zusammen mit dem interessierten Publikum abfeiern, ohne dass die "Normies" dabei stören. Insbesondere, wenn historische Begebenheiten einfach nur besungen werden, selbst, wenn es sich um kontroverse und heiß diskutierte Ereignisse handelt (Kreuzzüge, zweiter Weltkrieg etc.), braucht man sich als Band nicht vorwerfen zu lassen, man würde irgendetwas glorifizieren oder eine politische Aussage machen - man informiert ja im Grunde nur, wenn auch auf musikalisch-spektakuläre Weise. Sabaton haben ja mittlerweile sogar einen eigenen History Channel auf YouTube, wo sie die Hintergründe ihrer Songs erklären.
Schwächen: Weil die Übertragung von den historischen Begebenheiten auf die eigene Situation so schwer ist, stellt sich der Zuhörer die Frage: "Was soll ich damit?" Er muss sich dazu ggf. erst Hintergrundwissen anlesen, dann für sich selbst versuchen, "aus der Geschichte zu lernen", und mit diesen persönlichen Erkenntnissen dann zurück zum Song kommen und ihn sich noch einmal anhören, damit der Text nun die von ihm selbst entwickelten Assoziationen auslöst. Mit anderen Worten: Der Zuhörer muss selbst ein Stück weit zum Künstler werden, der sich auf abstrakte Weise in eine historische Begebenheit hineinprojiziert, die er für vergleichbar mit seiner momentanen Real-Life-Situation hält.
Hier überlässt man also etwas dem Zuhörer, was in der nächsten Kategorie der Sänger selbst macht:
Persönlich + abstrakt
Hier versteckt der Sänger sein persönliches Erlebnis hinter Metaphern und Poesie, um den Zuhörer rätseln zu lassen, worum es eigentlich geht. Inspiriert wurde er vielleicht auch von einer Alltagsbegebenheit (wie persönlich + konkret), aber er verbirgt die Banalität dieses Ereignisses hinter viel Pomp und "smoking mirrors". Um diese Art von Musik zu schreiben, braucht man definitiv einen Hang zu persönlichem Drama und Pathos : Man muss sich zumindest für die Zeitdauer des Schreibens und der Performance dieser Musik einreden können, man selbst sei der Mittelpunkt der Welt, und die eigenen Sorgen und Nöte wichtig genug, um sie anderen Leuten mit so viel Bremborium aufzutischen - selbst, wenn es sich dabei bloß eine weitere Variation der Basisthemen Life, Love, and Death handelt, die vielen anderen Leuten auch genau so oder so ähnlich passieren.
Beispiele: Lady in Black (Uriah Heep), My Immortal (Evanescence)
Umgekehrt kann man aber auch Dinge, die eher wenigen Menschen passieren - und über die man sich deshalb nicht so offen zu reden traut, weil man nicht weiß, wie alle Nicht-Betroffenen darauf reagieren - in solchen Songs verdeckt ansprechen, wohingegen man sich bei einer persönlichen + konkreten Variante desselben Songs "komplett nackig machen" würde.
Beispiele: Who Wants to Live Forever (Queen), Sullen Girl (Fiona Apple)
Historische, politische oder philosophische Referenzen können hier vorkommen, sodass der Zuhörer für die Interpretation evtl. mehr Vorwissen mitbringen muss als bei persönlich + konkret, wo der Sänger einfach direkt und "unverblümt" ausdrückt, was er meint. Zum Beispiel fügt sich manch ein Texter zuweilen gerne als "self insert" in eine bekannte Geschichte ein. Populär sind da etwa Peter Pan (z.B. Meat Loaf-Komponist Jim Steinman, Nightwish-Komponist Tuomas Holopainen) oder Sturmhöhe / Wuthering Heights (Kate Bush, nochmal Jim Steinman, Ten und viele andere).
Warum der Sänger nun gerade diese Geschichte besingt, erlaubt dann wieder Rückschlüsse auf den Künstler selbst. Vielleicht findet er einfach nur die Geschichte interessant und ist lediglich ein Schauspieler, der den betreffenden Charakter verkörpert - vielleicht sieht er aber auch eine Parallele zu seinem eigenen Leben, die dem Zuhörer natürlich nicht bekannt ist. Fest steht jedoch: Kennt der Zuhörer diese fiktionale Geschichte nicht, wird es auch schwierig, Rückschlüsse auf die vom Interpreten gemeinte Begebenheit oder Situation zu machen.
Beispiele: Waterloo (ABBA), Wuthering Heights (Kate Bush)
Stärken: Der Sänger kann seine Reflektionsfähigkeit beweisen und dieselben alten Begebenheiten, die jeder erlebt, in ein neues Gedankenkostum verpacken. Er hat offensichtlich über das, was ihm passiert ist, nachgedacht, anstatt es einfach nur zu berichten (oben erwähntes "Gefühlsposting"). Insbesondere, wenn ihm als Künstler die reale, banalere Begebenheit bewusst ist, die ihn zu dem Song inspiriert hat, hat er einen höheren Anreiz, eine neue Methode zu finden, das Altbekannte noch einmal auf originelle Weise anders auszudrücken. "Find a new way to say it!", riet das erste (und einzige) Songwriting-Buch, das ich mir je zugelegt habe, insbesondere, wenn es eben um die Basisthemen "Life, Love, and Death" geht.
Schlüpft der Sänger in die Rolle eines fiktionalen Charakters, so kann er dessen Emotionen verkörpern, anstatt die Geschichte eben bloß von außen (unpersönlich + konkret) zu besingen. Das erleichtert dem Zuhörer die Idenfikation mit dem Charakter, selbst, wenn er die Geschichte, auf die hier Bezug genommen wird, nicht kennt. Er versteht dann zwar die Referenz nicht, aber die Emotion immer noch.
Gefahr: Die Abstraktion wird so weit übertrieben, dass selbst mit viel Recherche und gutem Willen seitens des Zuhörers ein Entschlüsseln der eigentlich gemeinten Aussage immer schwieriger bis unmöglich wird. Der Zuhörer bekommt eine Überdosis vom "Künstler in dir", so viel geballtes, vermeintliches Chaos aus den individuellen Gedanken des Komponisten, das für die eigene Interpretation des Zuhörers kaum noch greifbare Anknüpfpunkte bleiben.
Unpersönlich + abstrakt
Hierunter fallen alle Songs, wo weder Sänger noch angesprochene Person ein Individuum sind. Manch einer fragt sich da vielleicht "Wie sollen da Emotionen ausgelöst werden?"
Das kann in der Tat schwer fallen, wenn es sich um einen Song handelt, der (vermeintlich) losgelöst von der Person des Sängers über das Leben, die Liebe oder den Tod siniert. Da werden dann oft derart tiefe und komplexe Gedankenprozesse verfolgt, dass für die Emotion, die die Verbindung schafft, nicht mehr so viel Platz bleibt. Solche Songs scheinen mir aber allgemein relativ selten zu sein, darum verzeiht mir, dass ich hier auf sehr unbekannte Beispiele zurückgreife und sie einfach verlinke:
Beispiele: Colossus (Borknagar), Sometimes Love Takes the Long Way Home (Ten)
Wenn aber statt eines Individuums ein Kollektiv angesprochen wird, würde ich auch die meisten Hymnen (egal ob nationale oder anlassgebundene, wie damals bei Live Aid) in diese Kategorie stecken. Mehr als anderswo findet man hier nicht das lyrische Ich, sondern das lyrische "Wir". Darauf bin ich insbesondere im Power Metal aufmerksam geworden, wo die meisten Melodien ja ebenfalls hymnenhaft sind: Es wird von einer namenlosen Gruppe gesungen, die irgendwelche Konflikte von gewaltigem Ausmaß auf epische Weise lösen, wobei nie ganz klar ist, ob das jetzt in einer Fantasy- oder Science Fiction-Umgebung passiert. Wer ist denn überhaupt das "wir"? Im Power Metal: Eine Armee? Ein Grüppchen wie die Gefährten aus dem Herrn der Ringe? Eine (Raum-)Schiffbesatzung? Die Ein- und Ausschlusskriterien sind wichtig. Wo immer es ein "wir" gibt, gibt es meistens auch ein "die anderen", also die, die explizit nicht dazugehören. Sobald man letztere definiert, stößt man die entsprechenden Menschen vor den Kopf. Definiert man sie dagegen nicht, also kann praktisch jeder dazugehören, dann ist das "wir" sehr wischi-waschi. Wenn jeder dazugehört, gehört irgendwie auch wieder keiner dazu.
Das ist deshalb so wichtig, weil Gruppen als ganzes eben keine Emotionen erleben, sondern das "Gefühl" der Gruppe sich eigentlich nur aus der Summe der Gefühle der darin enthaltenen Individuen zusammensetzt. Das Gruppengefühl funktioniert also am besten, wenn die Gefühle der einzelnen Personen "gleichgeschaltet" werden, also alle mehr oder weniger dasselbe fühlen und in der Folge dann mit einer Stimme sprechen.
Beispiele: Weltverbesserer-Hymnen: We Are the World (Michael Jackson / USA for Africa), Do They Know It's Christmas Time (Band Aid); Power Metal: Through the Fire and Flames (DragonForce)
Stärken: Wenn man das hinbekommt, kann man mit dieser Art von Musik wahrscheinlich "epischere" und als bedeutsamer empfundene Momente erzeugen als mit all den anderen.
Gefahr: Wenn es hingegen nicht gelingt, das "Wir"-Gefühl auszulösen, etwa weil nicht klar genug definiert ist, wer überhaupt angesprochen ist, sodass sich niemand so richtig angesprochen fühlt - dann hat diese Art von Musik leider textlich gesehen meist auch nicht mehr viel anderes zu bieten. (Die Melodie kann natürlich immer noch eingängig und das Arrangement bombastisch sein. )
Zum Abschluss natürlich noch meine eigene Position:
Ich selbst habe für mich gemerkt, dass ich mit den beiden abstrakten Varianten tendenziell mehr anfangen kann als mit den konkreten.
Meine eigene musikalische Historie sieht so aus, dass ich anfangs viel unpersönlich + konkret geschrieben habe (weil wir da auch eine History Metal Band waren, mit besonderem Fokus auf die Zeit der Kreuzzüge), und mich immer gefragt habe, warum bei diesen Themen bei mir der Funke nicht so übersprang wie bei unserem Bassisten, obwohl ich es war, der diese Songs geschrieben hat.
Irgendwann ging ich dann mehr über zu persönlichen Songs, weil man damit eben schneller eine solche emotionale Verbindung herstellen kann - dabei habe ich jedoch abstrakt eigentlich immer gegenüber konkret bevorzugt. Insbesondere dann, wenn Leute aus dem eigenen Bekanntenkreis die eigene Musik zu hören bekommen, versuchen sie sonst andauernd, Rückschlüsse auf dein Privatleben zu machen , und das nervt dann doch irgendwann. Mit persönlich + abstrakt kann man sich vor solchen neugierigen Nasen etwas besser schützen, dann müssen die zumindest ihren Kopf anstrengen. Und dazu haben die meisten Menschen halt keine Lust.
Mittlerweile versuche ich etwas mehr unpersönlich + abstrakt zu schreiben, weil mir das eben als die größte Herausforderung erscheint, aber man damit auch mMn die größte textliche Tiefe erreicht, wenn man es richtig macht. Also Musik als Erkenntnisgewinn.
Wie sieht's bei euch aus? Habt ihr jemals versucht, euren Musikgeschmack anhand solcher Kriterien zu ordnen, anstatt anhand der gängigeren Einteilung nach Musikgenres (Klassik / Jazz / Rock / HipHop etc.)?
Wenn ja, wäre ich natürlich interessiert daran, eure eigenen "Kategorien" zu hören! Ansonsten darf man aber natürlich auch gerne meine Systematik übernehmen und mir bloß innerhalb dieser Kategoriengewichtung widersprechen...
Musik soll gesellschaftlich etwas bewegen und verändern - sagt vielleicht der Alternative Rocker.
Natürlich kann man den Fokus auch noch auf vieles anderes legen (technisches Können etwa, habe ich ja im Thread über Musik als "Sport" schon einmal angesprochen). Aber wenn es um Texte geht, ist das eher vernachlässigbar (Ausnahmen wären für mich ggf. "Geschwindigkeitsrekorde" im Rap, also wie viele Silben pro Sekunde, oder besonders clevere Reime, ebenfalls im Rap oder bei Singer-Songwritern wie Bodo Wartke, die ausgefallene Reime bewusst zum Fokus ihrer Texte machen).
Ansonsten wäre für Lyrics eine denkbare, "simple" Unterteilung (weil nur in zwei Kategorien) eben die Frage:
"Sage ich etwas über mich aus, oder über alle Menschen zusammen? Steht eine Person im Fokus oder eine Sache?"
Die zweite Frage wäre für mich: "Sage ich direkt und unverblümt, was ich denke? Oder verwende ich Poesie / Metaphern etc., um zu verschleiern, was gemeint ist, sodass der Zuhörer mehr selbst interpretieren kann (oder auch ggf. sogar "muss")?"
Daraus ergibt sich eine 2x2-Systematik:
persönlich | unpersönlich | |
konkret | autobiografische Songs, "Everday Life", individuelle Wunschvorstellungen / Sehnsüchte | historische oder politische Songs (ggf. mit Jahreszahlen, Personen- / Ortsnamen) |
abstrakt | historische / politische / philosophische Songs, aber aus der 1. Person erzählt, Sänger in Kontext eingebettet | philosophische Songs, "Weltverbesserer-Hymnen" |
Und man kann sicherlich alle vier dieser Arten von Songs großartig hinbekommen oder total verhunzen.
Deshalb finde ich es interessant, mal zu systematisieren, was ein Song mitbringen muss, speziell sein Text - je nachdem, in welche Kategorie er fällt - damit er mich anspricht, und was für NoGos es gibt, mit denen er für mich durchfällt. Normalerweise denken wir über sowas vermutlich nicht nach, wir entscheiden einfach nach "Gefühl" und "persönlichem Geschmack", ob uns ein Song gefällt oder nicht. Aber wie CosmicSkeptic (YouTube) mal so schön sagte, wir können ja nicht kontrollieren, was wir "wollen" - wir tun es einfach.
Wenn wir also davon ausgehen, dass wir gar nicht selbst mit unserem "freien Willen" entscheiden können, ob uns ein Song gefällt oder nicht, erfahren wir mehr über uns selbst und unseren persönlichen Musikgeschmack, wenn wir an die Frage, wann uns ein Text gefällt und wann nicht, mal analytisch herangehen. Anstatt uns eben rein darauf zu verlassen - wie es unter Künstlern ja oft auch mal gerne "glorifiziert" wird - ob der emotionale Funke überspringt oder eben nicht.
Für euch mögen diese Kriterien mit meinen überlappen oder auch nicht, ihr könnt euch also gerne an meine Systematik anschließen, wenn sie für euch Sinn ergibt - oder aber ihr macht eure komplett eigene Unterteilung auf.
Damit meine Kategorisierung anschaulicher wird, kommen nun natürlich Beispiele meinerseits .
Persönlich + konkret
Dies ist meiner subjektiven Wahrnehmung nach der Großteil der existierenden Songs: Der Sänger erzählt über eine persönliche Begebenheit, die ihm entweder tatsächlich so passiert ist, oder die er persönlich gerne so hätte. Dabei drückt er sich in relativ normaler Sprache aus, sodass möglichst jeder ihn verstehen kann.
Beispiele: Ein Kompliment (Sportfreunde Stiller), Lieblingsmensch (Namika)
Stärken: Jeder kann diese Songs verstehen - sowohl die Begebenheit selbst (die meist in eine der drei Schubladen "Life, Love, and Death" passt), als auch die Worte, mit der sie beschrieben wird (keine hochtrabenden Formulierungen, sondern "direkt und ehrlich").
Gefahr: Die geschilderten Erlebnisse und Gefühle werden aufgrund ihrer Alltäglichkeit und Allgemeingültigkeit als banal wahrgenommen. Das, was der Sänger erzählt, passiert in ähnlicher Form Millionen anderer Menschen auch jeden Tag. Dadurch können sie das zwar nachempfinden, aber warum sollten sie dann gerade speziell dir zuhören? Der Leadsänger der Band meines ersten Gesangslehrers (also nicht der Gesangslehrer selbst, der war da Bassist) hat einmal etwas arrogant gesagt: "Also, dieses ständige Posten von Gefühlen, nur weil einem gerade mal ein Furz quer sitzt, das geht mir tierisch auf den Keks!"
Für den Kontext: Dieser Sänger war in einer Alternative Rock Band, die sich statt persönlichem "Gefühlsposting" lieber mit Politik- und Gesellschaftskritik befasst hat. Was uns zur nächsten Kategorie führt:
Unpersönlich + konkret
Das scheint mir eher eine Nischen-Musik zu sein, die sich innerhalb ihrer Nische aber eines loyalen Publikums erfreut. Man könnte auch sagen: Es ist Musik für Nerds. Man muss meist ein gewisses Vorwissen mitbringen, damit man die ganzen Referenzen, die in solchen Songs gemacht werden, versteht. Denn es wird ja nicht über persönliche Erfahrung gesungen, sondern über allgemeinhin bekannte Fakten; nur die Interpretation dieser Tatsachen ist dann wieder der Persönlichkeit des Sängers / Komponisten überlassen. Wer nicht weiß, auf welche Fakten sich hier bezogen wird, für den ist das alles wahrscheinlich nur seelenloses, trockenes Semantikwissen. Es wird zwar vielleicht sogar das Schicksal eines Individuums besungen (einer historischen Person o.ä.), mit der man sich ggf. identifizieren könnte - allerdings ist der Sänger nicht diese Person (vgl. persönlich + abstrakt), sondern bloß ein Zuschauer oder Erzähler in der dritten Person. Quasi ein singender Geschichtslehrer oder (für aktuelle Ereignisse) Politiker. Im Extremfall werden sogar noch konkrete Jahreszahlen und/oder Eigennamen von Orten oder Personen genannt, die ein Abstrahieren des hier Geschilderten auf das eigene Leben des Zuhörers deutlich erschweren.
Beispiele: History Metal Bands wie Sabaton, Civil War, Ten; Rezitative von Erzählerfiguren in Musicals, z.B. "Le temps des cathédrales" (Bruno Pelletier, Notre Dame de Paris)
Stärken: Wer das nötige Hintergrundwissen hat, kann diese Songs zusammen mit dem interessierten Publikum abfeiern, ohne dass die "Normies" dabei stören. Insbesondere, wenn historische Begebenheiten einfach nur besungen werden, selbst, wenn es sich um kontroverse und heiß diskutierte Ereignisse handelt (Kreuzzüge, zweiter Weltkrieg etc.), braucht man sich als Band nicht vorwerfen zu lassen, man würde irgendetwas glorifizieren oder eine politische Aussage machen - man informiert ja im Grunde nur, wenn auch auf musikalisch-spektakuläre Weise. Sabaton haben ja mittlerweile sogar einen eigenen History Channel auf YouTube, wo sie die Hintergründe ihrer Songs erklären.
Schwächen: Weil die Übertragung von den historischen Begebenheiten auf die eigene Situation so schwer ist, stellt sich der Zuhörer die Frage: "Was soll ich damit?" Er muss sich dazu ggf. erst Hintergrundwissen anlesen, dann für sich selbst versuchen, "aus der Geschichte zu lernen", und mit diesen persönlichen Erkenntnissen dann zurück zum Song kommen und ihn sich noch einmal anhören, damit der Text nun die von ihm selbst entwickelten Assoziationen auslöst. Mit anderen Worten: Der Zuhörer muss selbst ein Stück weit zum Künstler werden, der sich auf abstrakte Weise in eine historische Begebenheit hineinprojiziert, die er für vergleichbar mit seiner momentanen Real-Life-Situation hält.
Hier überlässt man also etwas dem Zuhörer, was in der nächsten Kategorie der Sänger selbst macht:
Persönlich + abstrakt
Hier versteckt der Sänger sein persönliches Erlebnis hinter Metaphern und Poesie, um den Zuhörer rätseln zu lassen, worum es eigentlich geht. Inspiriert wurde er vielleicht auch von einer Alltagsbegebenheit (wie persönlich + konkret), aber er verbirgt die Banalität dieses Ereignisses hinter viel Pomp und "smoking mirrors". Um diese Art von Musik zu schreiben, braucht man definitiv einen Hang zu persönlichem Drama und Pathos : Man muss sich zumindest für die Zeitdauer des Schreibens und der Performance dieser Musik einreden können, man selbst sei der Mittelpunkt der Welt, und die eigenen Sorgen und Nöte wichtig genug, um sie anderen Leuten mit so viel Bremborium aufzutischen - selbst, wenn es sich dabei bloß eine weitere Variation der Basisthemen Life, Love, and Death handelt, die vielen anderen Leuten auch genau so oder so ähnlich passieren.
Beispiele: Lady in Black (Uriah Heep), My Immortal (Evanescence)
Umgekehrt kann man aber auch Dinge, die eher wenigen Menschen passieren - und über die man sich deshalb nicht so offen zu reden traut, weil man nicht weiß, wie alle Nicht-Betroffenen darauf reagieren - in solchen Songs verdeckt ansprechen, wohingegen man sich bei einer persönlichen + konkreten Variante desselben Songs "komplett nackig machen" würde.
Beispiele: Who Wants to Live Forever (Queen), Sullen Girl (Fiona Apple)
Historische, politische oder philosophische Referenzen können hier vorkommen, sodass der Zuhörer für die Interpretation evtl. mehr Vorwissen mitbringen muss als bei persönlich + konkret, wo der Sänger einfach direkt und "unverblümt" ausdrückt, was er meint. Zum Beispiel fügt sich manch ein Texter zuweilen gerne als "self insert" in eine bekannte Geschichte ein. Populär sind da etwa Peter Pan (z.B. Meat Loaf-Komponist Jim Steinman, Nightwish-Komponist Tuomas Holopainen) oder Sturmhöhe / Wuthering Heights (Kate Bush, nochmal Jim Steinman, Ten und viele andere).
Warum der Sänger nun gerade diese Geschichte besingt, erlaubt dann wieder Rückschlüsse auf den Künstler selbst. Vielleicht findet er einfach nur die Geschichte interessant und ist lediglich ein Schauspieler, der den betreffenden Charakter verkörpert - vielleicht sieht er aber auch eine Parallele zu seinem eigenen Leben, die dem Zuhörer natürlich nicht bekannt ist. Fest steht jedoch: Kennt der Zuhörer diese fiktionale Geschichte nicht, wird es auch schwierig, Rückschlüsse auf die vom Interpreten gemeinte Begebenheit oder Situation zu machen.
Beispiele: Waterloo (ABBA), Wuthering Heights (Kate Bush)
Stärken: Der Sänger kann seine Reflektionsfähigkeit beweisen und dieselben alten Begebenheiten, die jeder erlebt, in ein neues Gedankenkostum verpacken. Er hat offensichtlich über das, was ihm passiert ist, nachgedacht, anstatt es einfach nur zu berichten (oben erwähntes "Gefühlsposting"). Insbesondere, wenn ihm als Künstler die reale, banalere Begebenheit bewusst ist, die ihn zu dem Song inspiriert hat, hat er einen höheren Anreiz, eine neue Methode zu finden, das Altbekannte noch einmal auf originelle Weise anders auszudrücken. "Find a new way to say it!", riet das erste (und einzige) Songwriting-Buch, das ich mir je zugelegt habe, insbesondere, wenn es eben um die Basisthemen "Life, Love, and Death" geht.
Schlüpft der Sänger in die Rolle eines fiktionalen Charakters, so kann er dessen Emotionen verkörpern, anstatt die Geschichte eben bloß von außen (unpersönlich + konkret) zu besingen. Das erleichtert dem Zuhörer die Idenfikation mit dem Charakter, selbst, wenn er die Geschichte, auf die hier Bezug genommen wird, nicht kennt. Er versteht dann zwar die Referenz nicht, aber die Emotion immer noch.
Gefahr: Die Abstraktion wird so weit übertrieben, dass selbst mit viel Recherche und gutem Willen seitens des Zuhörers ein Entschlüsseln der eigentlich gemeinten Aussage immer schwieriger bis unmöglich wird. Der Zuhörer bekommt eine Überdosis vom "Künstler in dir", so viel geballtes, vermeintliches Chaos aus den individuellen Gedanken des Komponisten, das für die eigene Interpretation des Zuhörers kaum noch greifbare Anknüpfpunkte bleiben.
Unpersönlich + abstrakt
Hierunter fallen alle Songs, wo weder Sänger noch angesprochene Person ein Individuum sind. Manch einer fragt sich da vielleicht "Wie sollen da Emotionen ausgelöst werden?"
Das kann in der Tat schwer fallen, wenn es sich um einen Song handelt, der (vermeintlich) losgelöst von der Person des Sängers über das Leben, die Liebe oder den Tod siniert. Da werden dann oft derart tiefe und komplexe Gedankenprozesse verfolgt, dass für die Emotion, die die Verbindung schafft, nicht mehr so viel Platz bleibt. Solche Songs scheinen mir aber allgemein relativ selten zu sein, darum verzeiht mir, dass ich hier auf sehr unbekannte Beispiele zurückgreife und sie einfach verlinke:
Beispiele: Colossus (Borknagar), Sometimes Love Takes the Long Way Home (Ten)
Wenn aber statt eines Individuums ein Kollektiv angesprochen wird, würde ich auch die meisten Hymnen (egal ob nationale oder anlassgebundene, wie damals bei Live Aid) in diese Kategorie stecken. Mehr als anderswo findet man hier nicht das lyrische Ich, sondern das lyrische "Wir". Darauf bin ich insbesondere im Power Metal aufmerksam geworden, wo die meisten Melodien ja ebenfalls hymnenhaft sind: Es wird von einer namenlosen Gruppe gesungen, die irgendwelche Konflikte von gewaltigem Ausmaß auf epische Weise lösen, wobei nie ganz klar ist, ob das jetzt in einer Fantasy- oder Science Fiction-Umgebung passiert. Wer ist denn überhaupt das "wir"? Im Power Metal: Eine Armee? Ein Grüppchen wie die Gefährten aus dem Herrn der Ringe? Eine (Raum-)Schiffbesatzung? Die Ein- und Ausschlusskriterien sind wichtig. Wo immer es ein "wir" gibt, gibt es meistens auch ein "die anderen", also die, die explizit nicht dazugehören. Sobald man letztere definiert, stößt man die entsprechenden Menschen vor den Kopf. Definiert man sie dagegen nicht, also kann praktisch jeder dazugehören, dann ist das "wir" sehr wischi-waschi. Wenn jeder dazugehört, gehört irgendwie auch wieder keiner dazu.
Das ist deshalb so wichtig, weil Gruppen als ganzes eben keine Emotionen erleben, sondern das "Gefühl" der Gruppe sich eigentlich nur aus der Summe der Gefühle der darin enthaltenen Individuen zusammensetzt. Das Gruppengefühl funktioniert also am besten, wenn die Gefühle der einzelnen Personen "gleichgeschaltet" werden, also alle mehr oder weniger dasselbe fühlen und in der Folge dann mit einer Stimme sprechen.
Beispiele: Weltverbesserer-Hymnen: We Are the World (Michael Jackson / USA for Africa), Do They Know It's Christmas Time (Band Aid); Power Metal: Through the Fire and Flames (DragonForce)
Stärken: Wenn man das hinbekommt, kann man mit dieser Art von Musik wahrscheinlich "epischere" und als bedeutsamer empfundene Momente erzeugen als mit all den anderen.
Gefahr: Wenn es hingegen nicht gelingt, das "Wir"-Gefühl auszulösen, etwa weil nicht klar genug definiert ist, wer überhaupt angesprochen ist, sodass sich niemand so richtig angesprochen fühlt - dann hat diese Art von Musik leider textlich gesehen meist auch nicht mehr viel anderes zu bieten. (Die Melodie kann natürlich immer noch eingängig und das Arrangement bombastisch sein. )
Zum Abschluss natürlich noch meine eigene Position:
Ich selbst habe für mich gemerkt, dass ich mit den beiden abstrakten Varianten tendenziell mehr anfangen kann als mit den konkreten.
- Mit persönlich + konkret kann ich mich identifizieren, es ist mir aber eben oft zu alltäglich. Weder Sänger noch Zuhörer müssen sich lange mit dem Text auseinandersetzen. Es ist nicht viel Denken erfordert, sondern geht allein ums Gefühl. Ein für mich wirklich genialer Song schafft jedoch beides: Gefühle auslösen und zum Denken anregen, und zu letzterem sind persönliche + konkrete Songs meist (im positiven wie im negativen Sinne) zu "bodenständig". Es gibt kein Mysterium, ein bisschen wie bei einem Zauberer, der seine Tricks verrät. Genial finde ich diese Songs allerdings dann, wenn sie es schaffen, sich vom Alltäglichen und Floskelhaften zu lösen und dann eben doch wieder eine einzigartige Begebenheit zu schildern, die so nur dieser konkreten Person passiert sein kann. Beispiel: Objects in the Rear View Mirror May Appear Closer Than They Are (Meat Loaf)
- Unpersönlich + konkret macht bei mir textlich gesehen gar nichts. Natürlich gibt es einen Haufen solcher Songs, die ich trotzdem gerne höre, von besagten History Metal Bands - aber das liegt dann am Arrangement, dem Bombast der Musik. Ich mag die Musik dann trotz ihres Textes, nicht wegen ihres Textes. Wobei "trotz" auch einfach heißen kann "der Text ist mir dann egal", nicht "der Text gibt aktiv Abzug". Letzteres geht im Prinzip nur, wenn ich einen Text "cringeworthy" finde, er mich also dazu bringt, mich für den Dichter fremdzuschämen. Das ist aber in allen vier Kategorien möglich.
- Persönlich + abstrakt mag ich vor allem dann, wenn eben eine Reflektionsfähigkeit des Texters zu erkennen ist. Wenn er mir eine Perspektive aufzeigt, an die ich selbst noch nicht gedacht habe. Wenn er sich dagegen zwar mit viel Pathos in seiner persönlichen Weltsicht suhlt, sie aber nicht hinterfragt oder die Gründe für die eigene Situation zu erfahren versucht, dann stößt mich das eher ab.
- Unpersönlich + abstrakt ist ein zweischneidiges Schwert. Alles, was vorwiegend auf das lyrische Wir setzt, macht bei mir textlich ähnlich wenig wie unpersönlich + konkret. Ob Power Metal jetzt über konkret benannte historische Begebenheiten gesungen wird, oder über eine nicht näher benannte Truppe von selbst ausgedachten Weltraum- oder Fantasy-Helden, macht dann auch keinen großen Unterschied mehr. Bei Weltverbesserer-Songs hingegen ist mir a) das "wir" oft zu schwammig definiert (weil es einfach die ganze Welt umfasst), und b) sind viele davon leider vor lauter Optimismus ähnlich uninformiert wie der "missverstandene Künstler", der bei persönlich + abstrakt auftreten kann, wenn er sich nur "im eigenen Saft dreht". Am schlimmsten finde ich diese Weltverbesserer-Hymnen, wenn sie bloß "Liebe als Allheilmittel" propagieren oder so etwas, ohne Kontext oder Nuance. Richtig genial nenne ich unpersönliche + abstrakte Songs jedoch, wenn sie es schaffen, ein großes, übergreifendes Thema anzusprechen, sich darüber eigene Gedanken zu machen (wohingegen Hymnen ja oft auch einfach "Parolen" enthalten, die vor allem zur Handlung animieren sollen und gerade deshalb nicht reflektiert sind), und dann auch noch eine emotionale Verbindung zu schaffen. Deshalb habe ich hier ganz konkret Borknagars "Colossus" verlinkt, weil ich das aus textlicher Sicht wirklich für ein Meisterwerk halte und ich bislang nur wenige andere Songs von diesem textlichen Kaliber zu Ohren bekommen habe. Da geht es im Prinzip "endlich einmal" nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um das große Ganze: die Evolution, den Kosmos, und wie die Menschheit zwar als etwas Besonderes daraus hervorgeht, aber letztendlich wie alles andere an diesen großen Mächten scheitert ("The colossus falls back from its threshold."). Wenn man diesen Kontext kennt, ergibt dann auf einmal auch jede Zeile Sinn, die anderenfalls vielleicht wie zu viel "Poesie um der Poesie Willen" klänge.
Meine eigene musikalische Historie sieht so aus, dass ich anfangs viel unpersönlich + konkret geschrieben habe (weil wir da auch eine History Metal Band waren, mit besonderem Fokus auf die Zeit der Kreuzzüge), und mich immer gefragt habe, warum bei diesen Themen bei mir der Funke nicht so übersprang wie bei unserem Bassisten, obwohl ich es war, der diese Songs geschrieben hat.
Irgendwann ging ich dann mehr über zu persönlichen Songs, weil man damit eben schneller eine solche emotionale Verbindung herstellen kann - dabei habe ich jedoch abstrakt eigentlich immer gegenüber konkret bevorzugt. Insbesondere dann, wenn Leute aus dem eigenen Bekanntenkreis die eigene Musik zu hören bekommen, versuchen sie sonst andauernd, Rückschlüsse auf dein Privatleben zu machen , und das nervt dann doch irgendwann. Mit persönlich + abstrakt kann man sich vor solchen neugierigen Nasen etwas besser schützen, dann müssen die zumindest ihren Kopf anstrengen. Und dazu haben die meisten Menschen halt keine Lust.
Mittlerweile versuche ich etwas mehr unpersönlich + abstrakt zu schreiben, weil mir das eben als die größte Herausforderung erscheint, aber man damit auch mMn die größte textliche Tiefe erreicht, wenn man es richtig macht. Also Musik als Erkenntnisgewinn.
Wie sieht's bei euch aus? Habt ihr jemals versucht, euren Musikgeschmack anhand solcher Kriterien zu ordnen, anstatt anhand der gängigeren Einteilung nach Musikgenres (Klassik / Jazz / Rock / HipHop etc.)?
Wenn ja, wäre ich natürlich interessiert daran, eure eigenen "Kategorien" zu hören! Ansonsten darf man aber natürlich auch gerne meine Systematik übernehmen und mir bloß innerhalb dieser Kategoriengewichtung widersprechen...
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