Ich finde es schon erschreckend, welches Misstrauen bzw Ablehnung manche hier gegenüber "der Wissenschaft" offenbaren. Meiner Meiniung nach gepaart mit grossem Unwissen, was Wissenschaft überhaupt ist.
Der Wissenschaftler entwickelt Modelle der Realität, zum Teil um überhaupt eine Handhabe zu bekommen, zum Teil weil die Realität viel zu komplex ist, um überhaupt ohne bewusste Vereinfachungen sinnvoll untersucht werden zu können,. Die Aussagen und Folgerungen aus den Modellen werden dann mit Hilfe von Experimenten überprüft. Meist im Labor, weil man da am besten kontrollierte Bedingungen herstellen kann. Stimmen die Ergebnisse der Experimente nicht mit den vom Modell vorhergesagen überein, ist das Modell gescheitert. Es muss nach einer Erklärung für die Diskrepanz gesucht werden und das Modell angepasst oder ein neues entworfen werden. Sagt das Modell über längere Zeit die Ergebnisse von Experimenten richtig voraus, hat man eine wertvolle Abstraktion der Wirklichkeit gefunden.
Gerade die Tatsache, dass Experimente zu Änderungen im Weltbild führen können und keine Theorie für alle Zeiten in Stein gemeisselt ist, macht Wissenschaft aus. Andernfalls ist man im Glauben angekommen.
Und woher kommt die ganze Skepsis?
Ich glaube, dass hängt zum Beispiel damit zusammen, dass sich in der Medizin Empfehlungen zum gesunden Leben, die Bewertung von Untersuchungsergebnissen und Behandlungsmethoden öfters ändern. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es hier so etwas wie Moden gibt. Man muss aber berücksichtigen, dass in der Medizin schon die "Experimente", also zB. Medikamentenstudien oder Untersuchung von Folgen bestimmter Lebensweisen ziemlich schwierig und auch teuer sind. Lebewesen (z.B.Menschen) sind halt sehr komplex. Es ist nicht einfach, erfolgversprechende Modelle zu entwickeln und die Überprüfung im Gewimmel der vielen möglicherweise relevanten Daten ist noch schwieriger. Dass Studien oft im Auftrag von Pharmafirmen gemacht werden, die Interesse an einem bestimmten Ergebnis haben, hilft der Wahrheitsfindung auch nicht unbedingt.
Also ist in diesem Bereich alles ziemlich schwierig und die "Wahrheiten" ändern sich schon mal. Trotzdem ist die Anwendung der Medizin durch die Ärzte weit überwiegend erfolgreich und hat unser Leben schon um einiges verlängert. Was man von auf esoterischen Einsichten und Erfahrungen der Heiler beruhenden alternativmedizinischen Systemen nicht unbedingt behaupten kann.
Das hier Beschriebene ist wohl mit der folgenden Aussage gemeint und prägnant zusammengefasst:
„All models are wrong, but some are useful“ George E. P. Box
Wozu diese langen Ausführungen?
Manfred Zollner (der Elektroakustikprofessor) ist wohl der erste, der die E-Gitarre so umfassend und akribisch untersucht hat. Übrigens eher im Nebenberuf, er hat wohl haiptsächlich andere Forschungen betrieben. Und auch nicht im Elfenbeinturm, er ist "praktizierender Gitarrist". Wie oben festgestellt, erheben die Wissenschaft und damit auch die in Zollners Wälzer zusammengefassten Ergebnisse keinen Anspruch auf ewige Wahrheit. Sie können und sollen angezweifelt werden, das aber bitte erst, wenn man das Werk gelesen
und verstanden hat. Das möchte ich für mich nur für ganz wenige Aspekte in Anspruch nehmen, und IMHO können das auch sehr wenige bis keiner der anderen Diskussionsteilnehmer.
Natürlich möchte (und kann) ich niemand verbieten, aus seinen persönlichen Erfahrungen eine Meinung zum Thema "welche Faktoren bestimmen den Klang der E-Gitarre" zu entwickeln und diese auch (mit Hinweis auf die Erfahrungen) zu vertreten. Derjenige muss aber auch akzeptieren, dass mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden eventuell abweichenden Aussagen ermittelt wurden. Das dann rundheraus in Frage zu stellen, ohne sich näher damit zu beschäftigen, finde ich mindestens so borniert wie es den "Wissenschaftlern" gerne unterstellt wird.
Die in langen und sorgfältigen Untersuchungen ermittelten Ergebnisse im "Wälzer" sind vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, aber sie haben IMHO mehr Gewicht als die aus persönlichen Erfahrungen entwickelten (und meist aus ziemlich einfachen Modellvorstellungen abgeleiteten) Überzeugungen.
Zumal entsprechende Blindtests nahelegen, dass Überzeugungen die Klangwahrnehmung beeinflussen können. Unter anderem deswegen ist das Ohr kein objektives Messinstrument. Aber: Ziemlich erstaunlich finde ich die in den Andertons-Youtubeclips demonstrierten Fähigkeiten von Rob Chapman, mit verbundenen Augen zu 99% korrekte Zuordnungen von Klang- bzw. Spielerfahrungen zu Gitarren/Amps machen zu können. Dass er in dieser Hinsicht ein absolutes Ausnahmetalent ist, dass wohl geringste Klangnuancen wahrnehmen und interpretieren kann, zeigt die wesentlich geringere Trefferquote von Lee Anderton.
Da aber die wohl wichtigste Konsequenz der unterschiedlichen Überzeugungen in der Praxis Equipment-Kaufentscheidungen sind, die letzten Endes eh jeder für sich entscheiden muss, sollten wir uns deswegen nicht die Köpfe heissreden (und schon gar nicht einschlagen
)