Hallo Leah,
Alles kleines Kind hat mir das Singen eine Zeit lang richtig Spaß gemacht, was dann allerdings irgendwann umgekippt ist. Ich habe es mir einfach abgewöhnt zu singen, wenn jemand in der Nähe ist, und das hat sich hartnäckig gehalten.
du bist sicher eine der vielen, denen es genauso geht. Als ganz kleines Kind ist man unbefangen und singt einfach drauf los, weil man Freude an der Fähigkeit hat, die man da entdeckt hat, mit zunehmendem Alter steht die eigene Person und das eigene Können aber nicht mehr so ausschließlich im Mittelpunkt, und man beginnt wahrzunehmen, wie die Umwelt reagiert. Die einem z. B. sagt oder auch nonverbal - wie z. B. mit hochgezogenen Augenbrauchen oder strengen Blicken (sei es aus der Situation heraus, weil lauter, fröhlicher Gesang evtl. andere Leute stört oder weil sie selbst eher "gschamige" Leute sind, auch das ist in unserem Kulturkreis weit verbreitet) zu verstehen gibt, dass man eben gerade besser nicht singt. Man lernt also, dass diese Fähigkeit nur bedingt gesellschaftskompatibel ist. In Kulturen oder Familien, in denen traditionell viel gesungen wird, läuft das wieder anders. Aber in Deutschland wird es traditionell eher nicht so gern gesehen wenn man sich a) selbst mit etwas, das man kann in den Vordergrund stellt und b) dann auch noch möglicherweise die öffentliche "Pflicht" zum Leise-Sein, weil man sonst andere stören könnte, missachtet. Das ist also mal das eine.
... diesen Schritt habe ich tatsächlich schon hinter mir. ...
Wo bist du denn aufgetreten? Das Setting solcher frühen Auftritte spielt nämlich schon eine ziemlich große Rolle, wie "gut" (für sich selbst oder auch objektiv gesehen) man da durchkommt.
Ich gehöre z. B. zu den Leuten, die sehr gerne (auch öffentlich) Karaoke singen und hatte auch schon einige Auftritte in Schülerkonzerten. Da habe ich relativ wenig Hemmungen, weil es "um nichts geht". Ich drehe dann eher auf und finde es super, trotz der Fehler, die ich natürlich mache. Als ich letztes Jahr beim Vocalstreff hier vom Musikerboard aufgetreten bin und vorher nicht mit dem Pianisten geprobt hatte, sondern mich - so wie sonst auch - einfach ins kalte Wasser geschmissen habe, war ich extrem aufgeregt und habe zum ersten Mal erlebt, wie es sich mit zitternder Stimme und wackligen Beinen singt. Da habe ich auch sehr viele Töne versemmelt (viel mehr als sonst) und habe auch irgendwann meinen Einsatz verpasst, sodass der Pianist und ich zum Schluss gar nicht mehr zusammen waren :-D. Das war für mich eine neue Erfahrung, aber natürlich auch keine angenehme. Und es lag daran (wie ich jetzt im Nachhinein weiß), dass ich wusste: Hier hören mich jetzt lauter Leute, die ich virtuell schon "kenne" und die teilweise echt geile Musik machen. Und ich habe eigentlich gar keine "richtige" Auftrittserfahrung. Und habe mich selbst überfordert, weil ich in meinem Leichtsinn dachte: "Ach, Vocalstreff, das mache ich schon irgendwie." Und nicht geprobt habe. Dabei ist so ein Vocalstreff an sich auch ein sehr wohlwollender Rahmen, wo einem keine Kritik entgegenschallt. Aber ich hatte selbst einen Knoten in meinem Kopf, und es traf sicher auch das zu, was Ferdinand K. hier schreibt:
Es hat mit Respekt zu tun, dass wenn ich zum Zuhören einlade mir auch zu überlegen was es zu hören gibt und das entsprechend vorzubereiten.
Wir singen nur (keine Herzoperationen, keine Produktion von Lebensmittel, ...)
Das möchte ich etwas relativieren. Klar, Singen ist nichts Überlebenswichtiges, niemand stirbt oder wird krank, nur weil jemand auf der Bühne falsche Töne singt. Aber als Sänger auf der Bühne gibt man relativ viel von sich preis. Es ist anders als mit einem Instrument, weil es anders bewertet wird. Wenn jemand ein Instrument falsch spielt oder sich häufig verspielt, ist die Kritik darauf eher nicht "der ist unmusikalisch", sondern: "Der kann das (noch) nicht so gut." Implizit signalisiert das dem Performenden, dass er einfach noch mehr üben muss.
Die Stimme ist zwar auch ein Instrument, das man trainieren und schulen kann, sie ist aber eben auch ein Teil der Persönlichkeit. Wenn wir nicht gut drauf sind, reden wir leiser und monotoner als wenn wir vor Freude sprühen und uns wohl fühlen. Ein grundsätzlich selbstbewusster Charakter, der auch sonst keine Schwierigkeiten hat sich eine Blöße zu geben, singt eventuell leichter kraftvoll drauf los als jemand, der sich selbst von vornherein stark bewertet und jeden Fehler bei sich hört.
Und wenn andere Leute (die selbst nicht singen) einem zuhören, dann wird meist bewertet, wie gut jemand die Töne trifft oder den Takt halten kann. Mehr hört ein nicht geschultes Ohr in der Regel nicht. Wenn man vor Aufregung Töne vermasselt, hören oder merken das die Leute im Publikum nicht sondern hören nur: "Ah, der Ton war falsch". Und denken: "Die kann nicht singen." Und das ist dann im Gegensatz zum Instrumentenverspieler ein Urteil, das sich auch auf die Person bezieht, nicht nur auf die momentane Performance. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man es wirklich gar nicht könnte (und auch nie lernen wird).
Das Fernsehen mit seinen Gesangscastingshows behauptet, dass es Leute gäbe, die ein magisches Talent einfach in die Wiege gelegt bekommen und andere, die völlige Singversager sind, über die man sich ungeniert lustig machen darf, weil sie so "peinlich" sind. Meistens sind diese "Versager" (weil es dann auch der dümmste und bräsigste Zuschauer noch kapiert) dann außerdem noch Leute, die sich unmöglich aufführen, sich und ihre aktuellen Fähigkeiten tragisch selbst überschätzen und/oder hässlich oder komisch angezogen sind, generell schräge Typen sind, etc. pp. Soweit die geskriptete Realität.
Im wirklichen Leben gibt es vielleicht (wenn's hochkommt) einen einstelligen Prozentsatz von Leuten, die mit einem großen Naturtalent beim Singen gesegnet sind und mit ein paar Gesangscoachings eine solide Performance abliefern. Die allermeisten Leute, die als Erwachsene "gut singen können", haben a) gesangliche Vorerfahrung über den normalen Schulchor hinaus und nur zwischendurch mal pausiert oder b) eine sog. "Naturstimme", die meistens auch mit einem guten Körpergefühl einhergeht, die also automatisch richtig macht, was man beim Singen richtig machen sollte. Die anderen 95+% der Leute, die so singen lernen wollen, dass sie solistisch auftreten können, müssen geduldig üben und machen eher langsame Fortschritte. Und jeder hat andere Baustellen. Eine dieser größeren Baustellen kann sein, die "Traute" zu entwickeln sich zu zeigen, das vorzuführen, was man tatsächlich kann. Und nicht zu denken: "Ohgottogott, wenn ich jetzt diesen und jenen Ton nicht treffe, dann bin ich falsch und dumm. Und kann es eben einfach nicht."
singe ich mittlerweile "Lieder", die meiner "bescheidenen" Stimme (z.B. Tonumfang) zuträglich sind, aber diese (Eigenlob) immer besser (im Sinne, und nur in diesen Sinne), das ich mir "gefalle".
Ohne das ich mich auf diese Stufe auch nur ansatzweise stellen will, aber z.B.
Tom Waits ist für mich ein Beispiel, was man mit rein stimmlich gesehen, einer "nicht-Stimme" ausdrücken kann.
Und das ist dann wieder das andere Phänomen. Es gibt natürlich auch Sänger, die legen überhaupt keinen großen Wert darauf, wie "schön" sie singen. Töne treffen sollten sie natürlich trotzdem einigermaßen, und auch musikalisch sein im Sinne von "Takt halten können, mit anderen zusammen musizieren können". Aber ein Herbert Grönemeyer knödelt zum Beispiel, was das Zeug hält. Dafür hat er was zu sagen, hat gute Texte und hat hat eine gewinnende Persönlichkeit. Tom Waits krächzt eher um die Melodie drumherum, weil seine Stimme kaputt ist, aber seine Stimme klingt nach viel "Leben". Und steht zu dem, was sie ist. Madonna (um jetzt mal ein weibliches Beispiel zu nehmen) ist auch keine begnadete Sängerin, sondern muss technisch nachhelfen, ist aber eine starke, kompromisslose Persönlichkeit, hat eine Message und ist musikalisch innovativ und vielseitig.
Du möchtest im Gegensatz dazu ja zeigen, was du gesanglich kannst und kämpfst mit diesen Problemen:
Wahrscheinlich hast du recht und ich stecke mir die Ziele wirklich zu hoch. Aber irgendwie ist es auch frustrierend, wenn manche Zehnjährige besser singen können (gut, das sind dann diese Wundertalente auf YouTube).
Ich hab tatsächlich mal ein bisschen Kritik von einem Gesangslehrer bekommen und damit konnte ich ganz gut umgehen (war sogar recht positiv). Manche können allerdings ganz schön auf die Pauke hauen und einem die Freude verderben, sich dann nicht den Schuh anzuziehen ist nicht so einfach. Bisher war es eigentlich immer so, dass die Profis total nett waren und ja, "die Amateure" super kritisch xD
Du musst dir eher immer wieder bewusst machen, dass Kritik von Amateuren mit Vorsicht zu genießen ist und du dich nicht in deiner eigenen Unsicherheit davon bestärken lassen solltest. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Ich bin (trotz grundsätzlich wenig Auftrittsscheu) auch jemand, der sich selbst eher noch heruntermacht, wenn er negatives Feedback bekommt. Und dass es einfach eine Weile dauert, bis du deinen eigenen Ansprüchen genügen wirst. Und dass es kein Problem ist, zwischendurch immer wieder aufzutreten und eben nicht perfekt zu sein.