Die Frage nach der Halbwertszeit von Modellern ist sicherlich berechtigt und es wurde ja schon einiges in diesem Thread dazu geschrieben. Aber mir fehlt da noch was. Angesichts von Kemper, Axe, Helix, Headrush usw. stellt sich für mich die Frage nach Authenzität/Qualität bzw. professioneller Eignung eigentlich gar nicht mehr - die Dinger sind ohne Zweifel erwachsen geworden und wer heute noch meint, inakzeptable digitale Charakteristiken hören zu können, hat entweder ganz außerordentlich gute Ohren oder verfügt über außerordentlich lebhafte Vorstellungskräfte.
Ein Modeller - und da relativiert sich die Frage nach dem Preis selbst bei Mehrfachanschaffungen plötzlich erheblich - kann ja im bestem Fall ein komplettes "Rig in the Box" sein. Jederzeit und zu jedem Zweck einsatzbereit. Vergessen wir mal den puristischen Alt-Rocker oder -Blueser, der auch mit 90 noch mit seinem alten Röhren-Amp und Tubescreamer völlig zufrieden sein wird. Der wird, wenn er sich denn überhaupt einen Modeller zulegt, nur einen Bruchteil der Möglichkeiten dieser Technologie ausnutzen. Nein, da muss man größer und weiter denken.
Ein Helix hat z.B. alles drin, was jemand wie ich jemals für's Recording oder für die Soundfindung benötigen wird. Und alles "in the box", extrem portabel, technisch ausgefeilt, traumhafte Anschlussmöglichkeiten, jedes virtuelle Rig (egal wie kompliziert es aufgebaut ist) auf simplen Knopfdruck und in stets gleicher Qualität abrufbar. Frage: Ist das alles nichts wert? Manchmal könnte man es fast meinen, denn die meisten Diskussionen ignorieren diese Aspekte einfach. Ich kann als jemand, der schon einige Modeller "durch hat", mit bestem Gewissen sagen, dass ich keinen Kauf bereut habe - selbst die im Nachhinein unsinnigen dienten mir genauso zum Sammeln von Erfahrungen wie die Tonnen analoger Amps und Effektgeräte, die über die Jahrzehnte den Weg in unzählige Schränke, Keller, Kisten, Tüten usw. gefunden haben und gar nicht mehr benutzt werden.
Um es mal deutlich zu sagen: Ein moderner Modeller virtualisiert effektiv Hardware im Wert von vielen Zehntausenden von Euro, wobei man auch Verkabelung, Midifizierung, Mikrofone und all das hinzurechnen muss, was benötigt wird, um mit der gleichen Leichtigkeit zu erreichen, was der Modeller von sich aus bereits kann. Die Frage, die sich also sehr viel eher stellen sollte, wäre die nach der persönlichen Nutzung der Potentiale, die Modeller mitbringen. Es wird ja oft gefragt, wieso soll ich denn einen 2000 Euro Modeller kaufen, wenn ich für das Geld zwei sehr gute Röhren-Amps bekommen kann? Die simple Antwort: Nun, wenn dir zwei Röhren-Amps ausreichen und der Modeller dir ansonsten keine Vorteile bringt, ja, dann kauf' dir doch die Amps!
Wir sehen an Beispielen wie dem Axe und Kemper, dass es um Modeller nach der "wilden Zeit" langsam beginnt, ruhiger zu werden. Das wird manche Leute nicht daran hindern, jedem neuen Gerät hinterher zu rennen, sind dann aber reine Luxus-Ausgaben, die mit demselben Spaß- und Lustfaktor legitimiert werden können, der Menschen dazu bringt, teure Custom-Shop-Gitarren oder Boutique-Amps/-Effekte zu kaufen. Aber tendenziell geht die Entwicklung in die Richtung, dass sich teure Modeller über viele Jahre hinweg "halten" und von den Herstellern unterstützt werden. Vielleicht nicht so lange wie konventionelles analoges Eqipment, aber ist das wirklich so entscheidend? Wie oben ausgeführt: Die Antwort hängt maßgeblich davon ab, was man mit den Geräten tatsächlich macht.