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[REVIEW] Wittner Geigen-Saitenhalter ULTRA 4/4
Vorgeschichte
Immer mal wieder stolpert man darüber, dass ein schwererer Saitenhalter den Klang der Geige dämpft. Ich hatte das bisher für mich eher abgetan und nicht wirklich geglaubt.
Nachdem ich aber schon beim Wechsel meiner Kinnstütze den Eindruck hatte, dass die Geige offener und klarer klingt, machte mich das Thema dann doch irgendwie neugierig.
Wen das Thema ebenfalls interessiert, der darf sich gerne mal z.B. hier und hier einlesen
Viele Geiger und Geigenbauer montieren an der Geige nur an die E-Saite einen Feinstimmer.
Ich hatte nun einige Jahre vier Feinstimmer an meinen (schweren) Ebenholz-Saitenhalter montiert und versuche nun im "Selbsttest" was an dieser Theorie tatsächlich dran ist...irgendwie sehen die leichten Saitenhalter mit integrierten Feinstimmern auch einfach schöner aus
"bisheriger" Saitenhalter mit Kanal für Tonabnehmerkabel
Ich hatte ja in meinem Tonabnehmer-Review beschrieben wie ich meinen Ebenholz-Saitenhalter modifiziert habe.
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Warum brauche ich überhaupt Feinstimmer?
Ich kann meine Geige auch sehr gut ohne Feinstimmer stimmen, finde diese Methode aber oft störend und viel zu laut.
In einem Klassikorchester ist es kein Problem wenn am Anfang alle stimmen sich ebenfalls mit ein paar Dezibel an dem Spektakel zu beteiligen, aber wenn man der einzige Streicher in einem Worship-Team in der Gemeinde ist, dann stimme ich persönlich einfach gerne leise nach Stimmgerät. Und das geht mit Feinstimmern einfach besser - Klang hin oder her.
Nachdem ich ja zwischenzeitlich daran gedacht hatte meine Geige zu reparieren oder zu ersetzen mich aber letztendlich dazu entschieden habe sie, so wie sie ist mit zu hoher Saitenlage, weiter zu spielen, da mir für das Ersetzen das Geld fehlt und sich eine Reparatur nicht lohnt, klickte ich in meiner Thomann-Merkliste bei diesem Artikel:
"neuer" Saitenhalter
Wittner Tailpiece Violin 4/4
...auf "bestellen" und hatte ein paar Tage später den Saitenhalter in meiner Hand und konnte ihn begutachten. Die Verarbeitung war einwandfrei und das Gewicht mit gerade mal 22g schön leicht:
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Also mußte ich nur noch auf den passenden Zeitpunkt warten um genügend Zeit und Muße zu haben den Tausch mit korrekter Integration des Tonabnehmerkabels zu machen.
Es hat dann fast ein halbes Jahr gedauert, aber am Ende des Jahres 2017 war es dann soweit und ich ging die Sache an.
Aufnahme des Ist-Zustandes
Meine Geige hat eine Mensur (Länge der frei schwingenden Saite zwischen Sattel und Steg) von 320mm. Die Länge der Saite zwischen Steg und Saitenhalter bzw. Feinstimmer sollte 1/6tel davon betragen. Das wären rechnerisch 53mm und war bei mir mit 47mm dann doch 6mm kürzer. Hier kann der neue Saitenhalter also ebenfalls punkten und den "1/6-Standard" möglich machen.
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Klang der Geige vor dem Wechsel
Um den "Vorher/Nachher-Effekt" durch Aufnahmen zu belegen und für alle (und vor allem für mich selbst) nachvollziehbar zu machen, nahm ich vor dem Wechsel eine kurze Klangprobe auf. Dazu verwendete ich mein DIY-Geigenmikrofon direkt an der Geige und zusätzlich das Audio Technica AT 2035 in ca. einem Meter Entfernung. Das DIY-Mikro ist in der Aufnahme 30% nach links, das AT 2035 30% nach rechts gedreht.
Das Ergebnis ist der erste Teil der Aufnahme unten.
Saitenhalter tauschen - vorsicht! Wenn, dann "richtig"
Eine Geige ist ein empfindliches Instrument und das Abspannen der Saiten ist schon ein größerer Eingriff! Dabei kann auch schnell mal die Stimme umfallen und dann muß man wieder zum Geigenbauer und sie wieder zeitintensiv aufstellen und posiitionieren zu lassen. Und das Umfallen geht schneller und leichter als man denkt (wie man z.B. hier nachlesen kann).
Der Tausch
Nach der "Vorher-Aufnahme" markierte ich die Position der Stegfüße mit Maler-Kreppband und nach dem Wechsel den Steg wieder an die exakt gleiche Stelle stellen zu können.
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Ich legte die Geige in den Geigenkasten um sie nicht irgendwie bei der Arbeit einklemmen zu müssen. Da ich weiß, dass meine Stimme mit ziemlich viel Spannung zwischen Decke und Boden eingespannt ist, reicht das bei mir und ich brauche keine externe Klemmung der Stimme ohne Saitenspannung. Das ist aber nicht bei jeder Geige so, darum rate ich allen den Wechsel beim Geigenbauer machen zu lassen, oder wie oben beschrieben vorzugehen!
Ich entspannte behutsam jede Saite ein Stück, dann wieder alle vier ein Stück und lockerte sie so gleichmäßig bis ich den Steg entnehmen und die Saiten aus den Feinstimmern aushängen konnte.
Dann hakte ich die Einhängesaite vom Endpin, entfernte die Kabelbefestigung des Piezo-Pickups und legte den alten Saitenhalter zur Seite. Ich sah, dass sich die Saiten vom Spielen in den 35 Jahren schon ganz schön tief in das Griffbrett gegraben hatten.
Voll Neugier legte ich den Saitenhalter auf die Waage und sah, dass das massive Ebenholz und die vier Feinstimmern doch mit 35 statt 22 Gramm deutlich schwerer war.
Dann schraubte ich die neue Einhängesaite in den Wittner Ultra Saitenhalter.
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Sie ist leider nicht ganz durchgefärbt und im Gewindebereich weiß. Ich hatte erst die Hoffnung, das später nur der schwarze Bereich sichtbar wäre, das war jedoch nicht so. Sie war ausreichend lang, aber nicht zu lang und musste nicht gekürzt werden.
Wenn die Einhängesaite zu lang ist kann sie unschöne Macken in die Decke machen und bei machen Tönen vibrieren. So war das bei mir vor vielen Jahren als die original Einhängesaite gerissen war und ich eine neue besorgt und montiert, aber eben nicht passend gekürzt hatte.
Das Ergebnis sieht man hier im rechten Bereich:
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Noch weiter rechts sind die runden Abdrücke der original Einhängesaite... sie war noch geknotet und die Knoten waren etwas zu dick.
Im linken Bereich sieht man die Verletzungen die bei zu weit reingedrehtem Feinstimmer passieren kann wenn man es nicht merkt und die Decke von ihm berührt wird.
- Tja - so lernt man eben dazu als Geiger
Als Nächstes schob ich den Saitenhalter mit der Einhängesaite voraus unter der Kinnstütze durch und hängte die Einhängesaite über den Endpinn.
Dann hängte ich alle Saitenenden in den Saitenhalter, spannte die Saiten leicht, stellte den Steg darunter auf, spannte sie weiter, korrigierte den Steg, der ja beim Spannen immer Richtung Schnecke gezogen wird, stimmte weiter hoch, richtete den Steg aus, usw. bis ich auf korrekter Stimmung angelangt war.
Nun wurde die Hintersaitenlänge gemessen. Sie war 2mm zu kurz also entpannte ich wieder, hängte den Saitenhalter aus, schraubte die Einhängesaite beidseitig um 2mm raus und begann von vorne.
Als dann die Hintersaitenlänge bei einem Sechstel der Mensur (Saitenlänge der schwingenden Saite) angekommen war, positionierte ich den Piezo unter dem Stegfuß und markierte den Saitenhalterbeginn mit einem Stück Kreppband am Kabel.
Dann baute ich den Saitenhalter wieder aus und klebte das Kabel mit drei Punkten Heißkleber am Saitenhalter fest. Anschließend montierte ich ihn wieder und stimmte die Geige:
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Als dann nach mehreren Stunden alles korrekt saß entfernte ich das Kreppband - es hatte mir gute Dienste geleistet und der Steg stand dadurch wieder an der exakt selben Stelle.
Klang der Geige nach dem Wechsel
Nach dem Umbau wurde die selbe Sequenz mit den exakt gleichen Mikrofonpositionen und Aufnahmeeinstellungen und der selben Intention erneut aufgenommen. Beide Aufnahmen habe ich hintereinander gestellt, damit man sie direkt vergleichen kann:
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https://soundcloud.com/geigit/soundvergleich-geigen-saitenhalter-mit-diy-mic-at2035
Nach meinem Empfinden klingt die Geige mit dem Wittner-Saitenhalter Ultra nahezu identisch!
Man könnte meinen, das sie etwas offener und leicht brillianter im oberen Mittenbereich klingt, aber das ist mehr ein Gefühl und wirklich nur eine kleine Nuance. Auch die Lautstärke ist identisch.
Fällt euch ein Unterschied auf? Bitte stimmt darüber ab!
Fazit
Der Klang hat sich trotz geringerem Gewicht und nun korrektem "Hintersaitenverhältnis" nicht geändert.
Ein Wechsel des Saitenhalters zur Klangverbesserung oder Lautstärken-Erhöhung ist somit nicht empfehlenswert!
Die Feinstimmer laufen leicht, das Aussehen ist nun etwas gefälliger, man sieht aber den Unterschied zwischen Holz und Kunstoff deutlich und die Geige sieht damit "jünger" aus.
die 13 Gramm Gewichtsersparnis fallen auch nicht wirklich auf, insofern ist der Tausch zwar gut, bringt aber kaum Vorteile.
Ob sich die Ansprache geändert hat, wird die Praxis zeigen.
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Warum klingt der Saitenhalter bei anderen dann "besser"?
-das hört man und ließt man zumindest immer wieder?
Ich vermute, dass bei anderen der Saitenhalter z.B. aufgrund eines Defekts oder im Rahmen einer allgemeinen Neueinstellung der Geige gewechselt wurde und der Steg wahrscheinlich nicht an der exakt gleichen Position aufgestellt wurde. Auf jeden Fall fällt ein leicht versetzter Steg klanglich mehr ins Gewicht als ein leichterer Saitenhalter. Zumindest bei meiner Geige.
Vielleicht wurden auch keine Vergleichsaufnahmen gemacht. Direkt am Ohr hatte ich auch den Eindruck, dass die Geige nach dem Wechsel etwas agiler klingt... aber das ist eben das Empfinden und nicht die Tatsache. Zumindest hören die Mikrofone keinen Unterschied.
Der Tausch war trotzdem gut
Insgesamt bin ich trotzdem froh den Tausch gemacht zu haben. Die integrierten Feinstimmer sehen besser aus und laufen leichter. Und ich habe wieder einiges gelernt!
...wer noch mehr von mir lesen möchte, darf gerne durch meine Reviews und Workshops stöbern.
Vielen Dank für Euer Interesse! Seid gesegnet!
- Eigenschaft
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