Ökonomisches Singen und die Psyche

  • Ersteller Matthaei
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Matthaei, ich denke auch - jedenfalls gemessen an dem, was wir hier beurteilen können - dass Du sowohl die Problematik als auch die Auswege längst korrekt identifiziert hast. Du muss es also nur umsetzen. Dass man sich in der Probe von einem geilen Song mal mitreißen lässt, verstehe ich, aber nicht, dass man komplett vergisst, dass man sich eigentlich zurücknehmen wollte. Das klingt ein wenig, als ob man die Herdplatte immer wieder anlangt, weil man nicht mehr dran denkt, dass sie heiß ist. ;)
 
Sondern es ist einfach eine Tatsache, dass man haushalten muss. Mich interessiert es in diesem Plaudereckengespräch, wie der einzelne so haushaltet.
Bspw. in einer mehrstündigen Probe.

Technisch besser werden. Wirklich gut eingesungen sein (ist bei mir aber vielleicht eine besondere Baustelle). Und nur dann wirklich 120% geben, wenn es darauf ankommt / es egal ist, wie man am nächsten Tag klingt. Den Rausch kenne ich auch, aber da muss man dann eben leider abwägen und mit dem bewussten Kopf mehr dabeibleiben. Gibt Leute, die sind belastbarer, können rauchen, drücken, Fehler machen, und das alles in einer rauchigen Kneipe und übernachtig, und du wirst es ihnen kaum anhören. Diese Robustheit ist aber nun mal leider nicht jedem gegeben.
Das sind so die Dinge, die ich dir als Mensch mit einer im Moment / mittelfristig wenig belastbaren Stimme mitgeben kann.
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Ach, und um das ganze doch noch mit was positiverem abzuschließen: wenn man schon glaubt, man mache es technisch komplett richtig, ist da manchmal doch noch viel Luft nach oben, um es noch richtiger zu machen - und je besser die Technik wird, desto mehr stabile Basis hat man für gelegentliche Ausflüge in bewusst ungesunde Bereiche, weil der Normalbetriebsmodus schon weniger verschleißt ;) Auch das Durch-und-durch-Aneignen der richtigen Technik sorgt dafür, dass man sich gehen lassen kann, ohne in ständig ungesunde Dinge zurückzufallen. Und wenn man diese Technik nicht von Anfang an hat, sondern sich anlernen muss, dann dauert es teilweise wesentlich länger als man glaubt, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wie Antipasti schreibt: erst wenn deine Technik in jeder Situation zuverlässig abrufbar ist, egal ob besoffen, müde, schlechter Sound oder aufgeregt, dann sitzt sie wirklich. Was man daheim kann, zählt leider für solche Situationen nur so halb ;)
 
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Für mich stellt sich die Frage: musst du in jeder Probe 120% geben?

In meinen 20 Jahren als Sänger einer Folkband habe ich die Einstellung entwickelt, dass die Proben dazu da sind, um den Text und die Musik zu verinnerlichen. Dazu muss ich nicht aufs Äußerste gehen. Unterscheiden zwischen laut und leise schon; schauen, dass ich die hohen und tiefen Töne sauber herausbringe, schon. Aber die volle Wucht, die volle Ausdruckskraft spare ich für die Auftritte auf. Erst angesichts eines Publikums macht es Sinn, das letzte Quentchen herauszuholen. Und wenn ich weiß, dass ich alles kann, dann kann ich Gas geben!

Es ist ein bißchen wie beim Leistungssport. Als ich anfing zu rudern, hat uns unser Coach immer nur die halbe Regattastrecke bei hoher Schlagrate rudern lassen. Erst auf unsere Bitte, und kurz vor unserer ersten Regatte, gab er nach und ließ uns einmal die volle Strecke mit voller Kraft durchrudern. Und wir schafften es locker! Und bei unserem ersten Rennen - mit echtem Adrenalin im Blut - ging es erst recht.
So sehe ich auch das Singen. Proben sind Training; Auftritte sind die eigentliche Hochleistung. In Proben übt man die Techniken ein, auf die man sich im Extremfall blind verlassen muss.

Cheers,
Jed
 
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Hallo,

da kann ich Jed nur absolut zustimmen!

Das ist keine Frage der Gesangstechnik sondern der Organisation einer Probe.

In meinen Formationen laufen Proben etwa so ab, wenn wir einen neuen Song anfangen:

1. Wir einigen uns auf eine Version, an der wir uns erst einmal orientieren. (Das passiert schon mal per Mail.) Jeder hört sich das zuhause an und überlegt und probt seine Parts.
2. Einer bringt Text und Akkorde für alle mit.
3. Einer hat die "Orientierungsversion" dabei - und sei es nur via Youtube auf einem Smartphone.
4. Wir fangen einfach mal an, den Song zu spielen - und zwar mit "halber Kraft". Es ist in dieser Phase überhaupt nicht möglich, sich voll auf den eigenen Part zu konzentrieren und massiv zu "performen", weil die Aufmerksamkeit darauf fokussiert ist, wie die Band den Song überhaupt spielt. Passt das zum Sänger? Kommen sich Gitarre und Tasten in die Quere? Muss der Drummer vielleicht anders akzentuieren?
5. Feedback - im Sinne einer Besprechung. Manchmal reicht es, in grinsende Gesichter zu sehen. Jetzt wird besprochen, wer was wo vielleicht anders zu machen hat. Und es wird
6. wieder gespielt und wieder gehört. Halbe Kraft wieder. Ist das jetzt besser als in 4.? Was muss noch geändert werden?
7. Entscheidung - das steht so. Jeder weiß, was zu tun ist. Und jetzt
8. wird "richtig" gespielt. Mit Power und Ausdruck. So, wie man das live tun würde - mal abgesehen von Adrenalin und eventuell widrigen Live-Bedingungen.

Den Schritt 8. nehmen wir manchmal auf und besprechen hinterher noch mal.

Wie man merkt, sprechen wir in meinen Formationen viel. Dabei wird nicht besprochen oder ausdiskutiert, ob jetzt z.B. ein anderer Rhythmus besser wäre, sowas wird einfach getestet aber dafür hinterher besprochen. Vor allem hören wir aber zu!

Kurz: Volles Brett, richtig Rock´n Roll, Attitüde, Performance, Blut, Schweiß und Tränen sind vielleicht in 10% der üblichen Probenzeit dran. Der Rest ist einfach eine Abstimmung dessen, was gespielt wird.
Einer besorgt den Song auf Konserve - mp3 oder via Smartphone.
3.
Einer besorgt den Song auf Konserve - mp3 oder via Smartphone.
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Etwas anders ist es bei Proben zur Gigvorbereitung. Da wird die Setlist besprochen und verteilt, es gibt einen ordentlichen Soundcheck und dann machen wir eine "Probekonzert". Ziel ist es hier, die vorher festgelegte Reihenfolge zu prüfen und vor allem die Kondition einzuteilen. Wenn alle nach dem zweiten Zugabenblock fix und fertig sind, ist alles richtig. Ist wie beim Fußball - am besten fällt die ganze Mannschaft nach Verlängerung und Elfmeterschießen noch auf dem Rasen um - oder in der Formel 1 - der perfekte Rennwagen bricht zehn Meter nach der Ziellinie auseinander.

Zusammengefasst on topic: Es hilft gar nichts, in einer fünfstündigen Probe (die m.E. sowieso Unsinn sind) dauernd Höchstleistungen abzufordern. Darum geht es in einer Probe einfach nicht.

Gruß

erniecaster
 
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