Na ja - fangen wir mal hinten an: Im Radio zählt nur die Stimme.
Sobald was live ist oder übertragen wird, isst das Auge mit, das ist unvermeidlich. Bei einem Auftritt ohne Kameras ist eher Gestik, Körpersprache etc. entscheidend, ganz einfach, weil man eh nicht wesentlich mehr mitbekommt. Wenn Kameras und Leinwände am Start sind, dann geht es auch (sehr stark) um die Mimik, den Gesichtsausdruck.
Letztlich, glaube ich, kommt es auf einen Eindruck von "Stimmigkeit" an - im engeren Sinne mit dem song, dem Text, der Interpretation und des wie auch immer gearteten körperlichen Ausdrucks dabei. Im weiteren Sinne mit der Person an sich, ihrem oder seinem Stil oder der (Kunst-)Figur, die dargestellt wird. Bei David Bowie wird das sehr deutlich, vor Cro gab es beispielsweise Kiss und viele andere mehr (in den 70ern gab es mal die Wombels - eine Band, die in angedeuteten bzw. verfremdeten oder angemuteten Wombat-Kostümen mit Rattenschnauzen auftraten) - also Sänger oder Sängerinnen, die ihr eigentliches Aussehen so stark verändern, dass nur die Kunstfigur zu sehen ist. Das Phänomen ist also so neu gar nicht.
Natürlich muss auch die natürliche Person mit der Kunstperson klar kommen - über kurz oder lang kann es da zu Konflikten kommen, zu einer Neuinterpretation, einem Bruch - oder einem tragischen Ende: Roy Black war der Schlagersänger, der irgendwie mit der Kombination eines sinkenden Sterns und viert- bis fünftklassigen Engagements mit dem dazugehörigen Publikum auf der einen und dem in seinen Auftritten auf Ewigkeitsloop geschalteten "Wir sind lustig und feiern Party"-Songs als Material, das er zu verkörpern hatte, so stark nicht mehr klar kam, dass er Selbstmord beging.
Ehrlich gesagt, glaube ich, es geht hier auch um Stil, um Geschmack und das, was man sich aussucht. Man wird damit leben müssen, dass die einen die Art, wie man singt, nicht mögen und den anderen es egal ist, während die dritten darauf stehen. Aber das ist doch genau das gleiche wie mit der Auswahl an Texten, an Songs, an Interpretationen, der Band, die man sich sucht, der Engagements, die man eingeht: das eine macht man und das andere läßt man liegen - und irgendwie kommt man nicht umhin, zu konstatieren, dass das was mit einem selbst zu tun hat und dass das eine zu tun eben auch bedeutet, das andere zu lassen.
Irgendwie ist es wie in dem Song, dass wir alle Kandidaten in einem großen Quiz sind - und die, die auf der Bühne stehen, zeigen sich halt - da kommt man nicht drumrum. Und ich glaube ja schon, dass die wenigsten darunter das nun wirklich auf gar keinen Fall wollen. Also soll man halt das Beste daraus machen - und sich, wenn es halt paßt, unter den vielen, die zur Verfügung stehen, jene aussuchen, die den eigenen Neigungen am nächsten sind und schauen, wie die es machen, sich was davon zu eigen machen und selbst was dazufügen und dann wird es schon.
Ich glaube nicht ganz an diese ganzen Coaching-Sachen bzw. ich glaube, dass es Sinn macht, wenn man auf bestimmte Bretter, besonders, wenn sie die Welt bedeuten, will und besonders, wenn man sich dort durchsetzen will, Choreografie, Körperausdruck, Gestik und Mimik genauso zu üben wie das Singen selbst, und dass in bestimmten Genres oder auf bestimmten Bühnen das Outfit und die Performance ebenso zählen wie der song oder dessen Umsetzung selbst.
Und das ist nicht unbedingt durch die Linie Kommerz - Nichtkommerz bestimmt: man zeige mir die Punk-Band, die für eine Dose Bier irgendwo spielt und nicht absolut angepißt wäre, wenn der Sänger in rosa Plüsch ankäme, außer es wäre als Satire gemeint - und da schließe ich das Publikum genau so ein.
Zu den Fragen:
1) Sobald das Auge schaut, ist das Geschaute Teil des Vortrages und fließt in die Betrachtung ein. Und das ist völlig okay so. Zwischen sieht gut aus, hat aber keine Stimme bis zum Gegenteil und allen Varianten dazwischen ist alles drin und es hat sogar Platz für künstlerische Darstellungen, wo es auf das Aussehen überhaupt nicht ankommt, aber umso mehr auf die Kunstfigur.
2) Cro und weitere werden als Kunstfiguren bewertet und das ist stimmig, weil sie als solche auf die Bühne treten.
3) Für mich zählt die Stimmigkeit. Und meine Vorlieben. Und siehe 1) Es hat schon Sänger und Sängerinnen gegeben, mit denen hätte ich keinen Kaffee trinken wollen, aber die songs fand ich doch klasse. Und umgekehrt. Und ich habe so richtige Haßlieben, was das angeht. Und jede Menge dazwischen. Gibt nen schönen Rolling Stones Song: Is it the singer or the song? Ein bißchen ein anderes Thema, paßt aber doch ganz gut.
x-Riff