@boisdelac ich versuche mal halbwegs neutral Klartext zu reden:
Elektrische Schaltungen sind grundsätzlich berechenbar, die Formeln sind bekannt und mit den Werten der einzelnen Bauteile befüllt kann man sehr viel berechnen. Im Musikbereich wird es immer etwas schwieriger, weil es eben um akustische Effekte geht, mit Schwingungen, Klang, und ganz vielen schwer in einem Modell darstellbaren und auch manchmal schwer messbaren Ergebnissen. Es ist halt was anderes, ob man eine Lampe an eine Batterie klemmt und mit einem Schalter anknipst, oder ob eine Gitarrensaite im Magnetfeld eines Tonabnehmers schwingt und somit einen winzigen Wechselstromfluss induziert, der wiederum durch eine Klangschaltung aus Potentiometern und Kondensatoren beeinflusst wird... und dazu kommt noch die Kette danach, mit Kabeln und Effekten und Amp und Speaker und Soundwunsch und und und.
Kurzum: Es ist praktisch ummöglich zu berechnen, was "gut" klingt. Es gibt viel Tradition, wie die E-Gitarre verkabelt wird, immer wieder neue Ideen andererseits, die Variantenvielfalt ist also quasi unendlich.
Also versucht die Gitarristengemeinde damit zu arbeiten. Die Kette geht - etwas vereinfacht - in etwa so:
1) Alte Gitarren klingen gut! (weil viele Stars alte Gitarren spielen und gut klingen)
2) Was ist denn da dran/drin, was ich kopieren kann?
3) Aha, hmm... Holz, Pickups, Tonabnehmer, Potis, Kabel, KONDENSATOREN!!!!!111111einseinself
4) Wenn ich also die "richtigen" Komponenten einbaue, dann wird meine Gitarre "Vintage Correct" und damit besser
5) Ich besorge mir also die legendären Kondensatoren und baue sie ein.
6) Gitarre wird besser (muss besser werden).
Rein nüchtern betrachtet ist es so: Ein Kondensator mit gleicher Kapazität bewirkt - total unabhängig von der Bauart - in einer Schaltung immer exakt dasselbe, solange er in seinem normalen Arbeitsfeld betrieben wird (was bei dem winzigen E-Gitarren-Strom immer der Fall ist). Aus rein physikalischer Sicht kann und darf es also keinen Unterschied und damit auch keinen Klangunterschied geben. Es gibt im "The Fret Files" Podcast eine schöne Story zu einer "Black Box", mit der die Klang-Auswirkungen unterschiedlicher Tone Caps desselben Werts recht gut widerlegt wurden. Auch hier im Board gab's mal so einen Ansatz, aber der ist etwas eingeschlafen.
https://www.musiker-board.de/threads/capcab-capbox-capkiller-ein-kondensatorexperiment.611046/
Es kann aber einen Grund geben, warum Kondensatoren desselben aufgedruckten Werts unterschiedlich "klingen" könnten: Unterschiedlicher Wert durch (1) Alterung oder (2) Toleranz. Je nach Bauart können Kondensatoren austrocknen, bröslig werden, etc. und je nach Genauigkeit bei der Herstellung haben Kondensatoren desselben Nominalwerts eben einen tatsächlichen Wert der in einem gewissen Toleranzbereich (10-20% nach oben wie unten sind kein Pappenstiel) abweichen kann. Kurzum: Ein "toller" alter Kondensator klingt vielleicht nur "toll", weil er eigentlich gar nicht mehr richtig arbeitet, er ist schlicht gealtert und funktioniert nicht mehr richtig, und der Sound gefällt.
Es gibt auch eine Fraktion, die trotz dieser "Beweislast" Unterschiede wahrnimmt bzw. wahrzunehmen glaubt und vehement diese Meinung vertritt - genauso gibt es Menschen wie mich, die auf Basis des oben gesagten behaupten "ich höre nix, und es kann eigentlich auch nicht sein, dass da irgendjemand irgendwas hört".
Im Audio/Klang/Hifi/etc. Bereich ist einerseits alles erlaubt, was funktioniert und den Klang verbessert - andererseits wird eben auch viel Schindluder betrieben. Teuer bedeutet nicht unbedingt gut, und teurer nicht unbedingt besser. Okay, auch ich würde in eine Gitarre jetzt nicht den allerallerbilligsten Kondensator einbauen - weil ich KEIN Frickler und Optimierer bin und einfach will, dass das Teil das tut, was es soll... und das so lange wie es eben geht. Nicht, weil ich damit einen "besseren" Klan erzeugen will. Also 1-2 Euros sind vielleicht drin.
Aber - jedem das Seine. Wenn es einen Markt in Richtung NOS-Caps gibt und die Gitarristengemeinde Kondensatoren bei 70 EUR kauft, dann ist das halt so.
Man kann immer noch selbst entscheiden, ob man da mitmachen will. Es gibt jede Menge Gitarristen, die das nicht tun. Es gibt jede Menge Gitarristen, die gar nicht wissen, dass Kondensatoren eine Rolle spielen, weil die einfach spielen.