Es gibt nicht den geringsten Vorteil, dass man das Konzert im Netz live sieht anstatt es in fertig bearbeiteter Form zu jedem beliebigen Zeitpunkt wieder anzusehen.
Wer eine Band toll findet, kommt entweder zu einem Konzert, oder schaut sich als Erinnerung immer wieder mal ein tolles Video an, wenn es zeitlich passt.
Es sei denn, folgende zwei Faktoren kommen ins Spiel.
Zum einen: Das Konzert ist ein One-Off und nicht Teil einer Tournee. Dieses Einzelkonzert findet nicht irgendwo in der Nähe statt, und weil es nicht Teil einer Tournee ist, gibt's auch keine weiteren Konzerte, die irgendwo in der Nähe stattfinden.
Zum anderen: Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen offiziellen Konzertvideo-Release geben. Das heißt, was man da sieht, kann man genau einmal sehen oder eben nicht und dann nie wieder.
Da fallen mir zwei Beispiele ein. Beide Jean Michel Jarre. Das eine war sein 2004er Doppelkonzert in Peking. Zum einen: China ist ja nun nicht unbedingt um die Ecke und auch kein Land, wo man mal eben für ein Konzert hinreist. (Einige halten mich schon für verrückt, für Jarre nach Koblenz zu fahren.) Selbst erleben kam also für kaum jemanden in Frage. Übrigens war Jarres letztes Deutschlandkonzert 1997, und das nächste sollte erst wieder 2008 sein.
Und die Wahrscheinlichkeit, daß es gute Bootlegs und somit überhaupt eine Videokonserve geben würde, war auch gering. Denn zum anderen war das letzte Konzert, von dem es einen offiziellen Videorelease gab,
Oxygen in Moscow – und das war 1997 und auf VHS. Im übrigen hat Jarre bisher nur ein einziges Mal ein Konzert ungekürzt und unbearbeitet auf Video veröffentlicht: das
Concert pour la tolérance in Paris 1995 – auf einer nur in Frankreich erhältlichen LaserDisc. Alle seine anderen Konzertvideos sind gekürzt, häufig sogar die einzelnen Stücke.
Es blieb also der Livestream über Streamingserver des chinesischen Staatsfernsehens oder gar nichts.
Ich will's mal so sagen: Es waren, wenn ich mich nicht irre, sechs Streamingserver. Alle waren überlastet. Dies zum Thema, daß da nur 20 Leute zusehen. Aber gut, wir reden von einem Mann, der bei sechs Konzerten mehr Zuschauer hatte als Depeche Mode in ihrer ganzen Karriere, und dem einzigen Musiker überhaupt, der je mehrere Konzerte mit Millionenpublikum gespielt hat.
Daß Jarre dieses Konzert offiziell auf DVD veröffentlichen würde, konnten wir damals noch nicht ahnen – noch weniger, daß Jarre auf Druck seitens der Fans hin sogar dafür gesorgt hat, daß nach der eh schon erschienenen gekürzten DVD auch noch eine Doppel-DVD mit beiden Konzerten in voller Länge veröffentlichen würde.
Das andere war 10-10-10, das Jarre 2010 in London gespielt hat. Abgewandeltes Tourkonzert, aber trotzdem ein Event für sich. Jarres letztes offizielles Konzertvideo war
Solidarność Live, die DVD zum
Space of Freedom-Konzert 2005 in Gdańsk, die auch noch auf die Hälfte des eigentlichen Konzerts gekürzt ist. Okay, vielleicht noch
Oxygène – Live In Your Living Room, eingespielt live, aber ohne Publikum in einer Studiohalle in Brüssel. Und das, obwohl Jarre seit 2008 jedes Jahr auf Tour gegangen war. Dutzendweise Konzerte, kein einziges offizielles Live-Video, nicht mal ein Live-Album (auch hier war der letzte Release die CD, die
Jarre In China von 2004 beiliegt), nichts. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Konzert als irgendeine Aufzeichnung veröffentlicht werden würde, ging wieder gegen null. Also galt wieder: Stream oder nichts. Dafür sprach auch noch, daß der Stream seine eigenen Videoeffekte bekommen sollte.
Sogar hier waren die Streamingserver rappelvoll besetzt.
Und nein, es gab tatsächlich wieder kein offizielles Konzertvideo.
Aber gut, es ist schon ein himmelweiter Unterschied zwischen einer Amateurband und dem Godfather der elektronischen Musik, der 1986 genau 2 Konzerte gespielt hat, aber vor zusammen über 2.500.000 Zuschauern – und 1990 nur 1 Konzert, aber mit der gleichen Zuschauerzahl.
Martman