Colorido
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Liebe Tastenkollegen,
meine Frage richtet sich vor allem an jene von Euch, die selbst unterrichten, aber auch die (jetzigen oder ehemaligen) Schüler unter Euch sind gefragt.
Es geht darum, dass ich bislang keinerlei von mir selbst ausgesuchte Schulen im Unterricht verwende, und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich bislang nicht wirklich welche gefunden habe, die frei von (aus meiner Sicht) eklatanten methodischen Fehlern sind. Letztere bestehen hauptsächlich darin, dass zur Komplexitätsreduzierung am Anfang (die für sich nicht falsch und sogar sehr wichtig ist) Denksysteme etabliert werden, die den Schülern später massiv im Weg stehen. Am Anfang wird es den Schülern damit vermeintlich leichter gemacht, aber auf lange Sicht wird ihnen ein fataler Bärendienst erwiesen.
Die beiden in meinen Augen schlimmsten Irrwege der Anfangsmethodik, die leider sehr verbreitet sind und folglich einen enormen Anteil der auf dem Markt befindlichen Klavierschulen für mich komplett disqualifizieren, sind folgende:
Und hier setzt meine Frage an Euch an: Kennt Ihr Materialien, Methoden oder Schulen, die ich sinnvoll im Unterricht nutzen könnte? Willkommen sind übrigens auch solche Materialien, die ich bei frisch von anderen Lehrern übernommenen Schülern nutzen könnte, die zuvor nach eben jenen von mir abgelehnten Methoden unterrichtet wurden. Ich komme leider viel zu selten in Notengeschäften vorbei, in denen ich die dort angebotenen Klavierschulen kritisch durchblättern könnte. Auf lange Sicht möchte ich zwar aufgrund dieser Situation selbst eine Klavierschule verfassen, aber das ist ein Projekt, was wohl frühestens in etwa zehn Jahren Früchte tragen wird. Aber auch im Hinblick auf dieses Projekt wäre es gut, wenn ich wüsste, was es an Vernünftigem schon auf dem Markt gibt.
Vielen Dank Euch allen schon einmal im Voraus!
meine Frage richtet sich vor allem an jene von Euch, die selbst unterrichten, aber auch die (jetzigen oder ehemaligen) Schüler unter Euch sind gefragt.
Es geht darum, dass ich bislang keinerlei von mir selbst ausgesuchte Schulen im Unterricht verwende, und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich bislang nicht wirklich welche gefunden habe, die frei von (aus meiner Sicht) eklatanten methodischen Fehlern sind. Letztere bestehen hauptsächlich darin, dass zur Komplexitätsreduzierung am Anfang (die für sich nicht falsch und sogar sehr wichtig ist) Denksysteme etabliert werden, die den Schülern später massiv im Weg stehen. Am Anfang wird es den Schülern damit vermeintlich leichter gemacht, aber auf lange Sicht wird ihnen ein fataler Bärendienst erwiesen.
Die beiden in meinen Augen schlimmsten Irrwege der Anfangsmethodik, die leider sehr verbreitet sind und folglich einen enormen Anteil der auf dem Markt befindlichen Klavierschulen für mich komplett disqualifizieren, sind folgende:
- Zentraltonmethode und der Ansatz, mit Fingersatz Noten lernen zu wollen
Wie ich hier schon an anderer Stelle dargelegt habe, lehne ich diesen Ansatz rundweg ab, und zwar aus mehreren Gründen:
- Sehr häufig merken sich Schüler, die nach dieser Methode lernen, die Stücke hauptsächlich bis ausschließlich anhand der Finger, die sie spielen sollen. Mit echtem Notenlesen hat das rein gar nichts zu tun, was spätestens dann deutlich wird, wenn die betroffenen Schüler Stücke spielen sollen, die in anderen Lagen als den ihnen bereits bekannten liegen, über den Fünftonraum in einer Hand hinaus gehen (zum Beispiel Alle Jahre wieder, 3. Zeile) oder keine Fingersätze enthalten.
Fingersatz per se hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Notenlesen zu tun, sondern Fingersatz entsteht immer erst in dem Moment, in dem ein bestimmter Musiker (auf welchem Level auch immer) eine bestimmte Musik auf einem bestimmten Instrument spielen will. Fingersatz spielt also auch komplett unabhängig von Noten eine Rolle. Auf der anderen Seite sind Noten eine Codierung der Rahmenparameter der Musik und existieren erst einmal völlig unabhängig vom jeweiligen Instrument und erst recht vom jeweiligen Musiker.
- Das Denken in Fingern birgt daneben auch die Gefahr, dass die wichtigste Instanz beim Musizieren, nämlich das eigene Ohr, völlig vernachlässigt wird, wodurch nicht wenige Schüler nicht einmal ein Gespür für die Logik der Tonhöhenanordnung auf dem Klavier entwickeln, die an sich eigentlich sehr gut zum Notensystem passt. (Hin und wieder machen solche Schüler sogar den Eindruck, als hätten sie das Tonhöhengespür an sich verloren, was einem musikpädagogischen Super-GAU gleichkommt.)
- Das lange Festhalten an Fünftonlagen führt außerdem dazu, dass die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen Bewegungssteuerung beim Klavierspielen völlig außer Acht gelassen werden. Dabei müssen diese gar nicht einmal bewusst erarbeitet werden, sondern ein waches Ohr führt zusammen mit einer gesunden Bewegungsbereitschaft (die gerade jüngere Kinder eigentlich schon von sich aus mitbringen) oft fast von selbst zu sinnvollen Bewegungen, sofern das Material (also die Lieder und Stücke) für das Level angemessen und die Klangvorstellung demzufolge klar und lebendig ist.
- Die Zentraltonmethode zwingt die Schüler zu Beginn in eine physiologisch äußerst fragwürdige Armhaltung, die wie kaum eine andere dazu geeignet ist, die Schultern vorne zusammen zu ziehen und die körperlichen Bewegungs- und damit Ausdrucksmöglichkeiten enorm einzuschränken.
- Die eingangs vorgenommene Beschränkung auf die weißen Tasten zwischen f und g' schränkt das verfügbare Repertoire an Melodien massiv ein und versetzt sie obendrein in eine Singlage, die für die meisten Kinderstimmen viel zu tief ist.
- Sehr häufig merken sich Schüler, die nach dieser Methode lernen, die Stücke hauptsächlich bis ausschließlich anhand der Finger, die sie spielen sollen. Mit echtem Notenlesen hat das rein gar nichts zu tun, was spätestens dann deutlich wird, wenn die betroffenen Schüler Stücke spielen sollen, die in anderen Lagen als den ihnen bereits bekannten liegen, über den Fünftonraum in einer Hand hinaus gehen (zum Beispiel Alle Jahre wieder, 3. Zeile) oder keine Fingersätze enthalten.
- Festhalten an einer starren Standardhaltung am Klavier und einseitiges Training von Fingerbewegungen
Diese Forderung mancher Klavierschulen entspringt meines Erachtens einer eklatanten Fehlauffassung von Feinmotorik. Zwar sieht es bei vielen professionellen Klavierspielern so aus, als würden nur die Finger spielen und der Rest des Körpers sei ganz ruhig, aber es sieht eben nur so aus!
In Wahrheit haben diese guten Spieler das Zusammenspiel sämtlicher Muskelketten beim Klavierspiel soweit perfektioniert, dass kein Muskel mehr macht als nötig - was bei manchen Pianisten dazu führt, dass die Bewegungen, die unterhalb der Kleidung stattfinden, kaum bis überhaupt nicht mehr von außen beobachtbar sind, was aber eben nicht heißt, dass da nichts passiert.
Eine physiologisch und musikalisch sinnvolle Spielbewegung kann nur dann entstehen, wenn alle beteiligten Muskeln und Gelenke sich genau aufeinander abstimmen und zusammenarbeiten, und die Kette der beteiligten Muskeln reicht auch bei der vermeintlichen Fingerarbeit Klavierspielen nicht selten bis in die Füße. Dieses Zusammenspiel funktioniert interessanterweise dann am besten, wenn wir nicht großartig darüber nachdenken und stattdessen einfach nur spielen. Der Klang und unser Körpergefühl sind es, die uns sagen, ob es richtig ist.
Ein Festhalten an einer einheitlichen Sitzhaltung und ein einseitiges Fingertraining aber lässt uns dieses Körpergefühl gar nicht erst entwickeln. Ich hatte selbst jahrelang Probleme mit den Schultern, bis mir ein Lehrer beibrachte, sie beim Spielen gezielt einzusetzen. Vorher hieß es nur immer wieder, ich solle die Schultern locker lassen - was paradoxerweise (und rückblickend betrachtet logischerweise) eben dazu geführt hat, dass sie doch immer wieder ziellos anspannten, weil ich das Gespür dafür aufgrund einer falschen Denkweise nicht entwickeln konnte.
Was mir im Nachhinein betrachtet außerdem noch die unbedingte Forderung nach allzeit lockeren Schultern, einer einheitlichen Sitzhaltung und konzentrierter Fingerarbeit vor allem im Anfangsunterricht sehr fragwürdig erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass Feinmotorik nichts anderes ist als verfeinerte Grobmotorik. Die Ausführung einer neu zu erlernenden Bewegung wird am Anfang immer extrem und ungelenk wirken, erst nach und nach lernt das Gehirn, die einzelnen Komponenten besser aufeinander abzustimmen. Besonders deutlich wird das, wenn man Babys und Kleinkinder beim Erlernen neuer Bewegungen beobachtet - und man ist immer wieder erstaunt über die Ausdauer und Beharrlichkeit, die sie dabei aufbringen. Was also lässt manche Klavierpädagogen glauben, sie könnten diesen Schritt überspringen, wo er doch so wichtig für einen am Ende sinnvollen Bewegungsablauf ist?
Kurz: Es spielen niemals nur die Finger, sondern der ganze Körper ist beim Klavierspielen beteiligt. Wird dagegen von Anfang an auf isolierten Bewegungen und dem Stillhalten wesentlicher Teile des Bewegungsapparates bestanden, beraubt dies die Schüler enormer körperlicher, klanglicher und emotionaler Ressourcen.
Und hier setzt meine Frage an Euch an: Kennt Ihr Materialien, Methoden oder Schulen, die ich sinnvoll im Unterricht nutzen könnte? Willkommen sind übrigens auch solche Materialien, die ich bei frisch von anderen Lehrern übernommenen Schülern nutzen könnte, die zuvor nach eben jenen von mir abgelehnten Methoden unterrichtet wurden. Ich komme leider viel zu selten in Notengeschäften vorbei, in denen ich die dort angebotenen Klavierschulen kritisch durchblättern könnte. Auf lange Sicht möchte ich zwar aufgrund dieser Situation selbst eine Klavierschule verfassen, aber das ist ein Projekt, was wohl frühestens in etwa zehn Jahren Früchte tragen wird. Aber auch im Hinblick auf dieses Projekt wäre es gut, wenn ich wüsste, was es an Vernünftigem schon auf dem Markt gibt.
Vielen Dank Euch allen schon einmal im Voraus!
- Eigenschaft
Grund: Format, Grammatik und Formulierung
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