Kann es sein, dass solche Interpretationen für im 4/4-Takt verhaftete Musiker undenkbar sind?
Nein, das liegt schlicht und ergreifend daran, daß Tempoangaben ganz profan nur Tempoangaben sind und nichts, aber auch gar nichts, mit rhythmischen Patterns zu tun haben.
Eine BPM-Tempo-Angabe muß auch möglichst eindeutig sein und nicht von individuellen Interpretationsmöglichkeiten abhängen, sondern im Gegenteil, sich auf ein gängiges Klischee bzw. eine Konvention beziehen. Sonst kann man sie ja weglassen.
Eine Meile auf amerikanischen Verkehrsschildern ist eine profane amerikanische Landmeile.
Nicht, weil man keine Seemeilen kennt, noch nie etwas von der deutschen Landmeile gehört hat oder nicht mehr weiß, welche Länge eine "Meile" in Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer" hat.
Sondern, weil man der Konvention verhaftet ist, in Amerika diese Art von Meilen zu benutzen.
Außerdem:
"Klassisch" gibt es ja die ebenso bekannten wie schwammigen Tempobezeichnungen "Andante", "Allegro", "Presto" usw.
Wem das nicht präzise genug ist, der kann eine spezifische Metronomangabe (Abkürzung MM: "Mälzels Metronom") der Form
<
Notensymbol> = <
Anzahl dieser Noten pro Minute>, z. B.
, ersatzweise schreiben oder hinzufügen.
Damit ist es klar, wie lange eine Viertelnote "zu dauern" hat. Unabhängig von rhythmischen Patterns oder sogar von der Taktart. In dem Fall: in einer Minute kann man 100 Viertelnoten spielen. Egal, ob 2/4-Takt, 3/4-Takt, 4/4-Takt, 5/4-Takt usw.
Auch der Begriff "Mälzels Metronom" weist auf einen (gedachten)
gleichmäßigen/gleichförmigen Puls hin, denn die mechanischen Metronome ticken, sofern sie nicht defekt sind, absolut gleichmäßig.
Den
Begriff "BPM" gibt es eigentlich in der "seriösen" (Verzeihung) Musik überhaupt nicht, er stammt aus der elektronischen Musik-Szene, einerseits als Sequencer-Angabe (Techno & Co.), andererseits zum genauen Synchronisieren von Abspiel-Geschwindigkeiten, etwa, wenn DJs verschiedene musikalische Versatzstücke "zusammenmixen".
Und eben
weil man so trefflich darüber streiten kann, was denn nun im speziellen Fall ein "Beat" sei, halte ich BPM als genre-unabhängige generelle Tempangabe für eine eigentlich denkbar unglückiche Ausdrucksweise.
Traditionell ist die oben erwähnte Metronom-Angabe völlig unproblematisch: Man hat einen Notenwert (meist Viertel, Achtel oder Halbe, aber auch mal Punktierte Noten usw.) und tatsächlich auch einen konkreten Notentext dazu, auf den sich die Angabe bezieht.
BPM wird deshalb (meiner Erfahrung nach) meist von Leuten in den Mund genommen, die nicht über das eigene Musizieren zur Musik gekommen sind, sondern über Maschinen-Bedienung, in der Regel "Beats machen" am Computer.
Und genau in ihrem
natürlichen Umfeld, dem dröhnenden "Boom, boom, boom, boom, ..." (Stichwort: "Four to the floor" als Stereotyp) der
elektronischen Tanzmusik, sind BPM auch wieder völlig unmißverständlich, denn dem
treibenden, gleichmäßigen Hämmern kann sich niemand widersetzen und man kann auch schwer auf die Idee kommen, gänzlich andere Strukturen/Aufteilungen hineinzuinterpretieren.
Viele Grüße
Torsten