Soulagent79
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Die Vorgeschichte:
Ich bin eigentlich kein "richtiger" Bassist, da mein Hauptinstrument die Gitarre ist. Trotzdem habe ich in den letzten zwanzig Jahren immer auch einen Viersaiter besessen.
Teils aus persönlichem Interesse am Instrument, teils um im Notfall mal als Bassist auszuhelfen, aber vor allem um auf meinen eigenen Aufnahmen aus dem Heimstudio zu spielen.
Mein Geschmack in Sachen Form und Klang ist eher oldschool. Ich mag Fender, Gibson, Rickenbacker und ähnliche. Dementsprechend habe ich mir die Bässe, die ich bisher
besessen habe, ausgesucht. Während ich bei Gitarren eher nicht die B-Marken Schiene fahre, bin ich in Sachen Bässe nicht so anspruchsvoll und war immer mit
günstigen Fernost-Varianten der großen Vorbilder zufrieden.
Vor ein paar Wochen bekam ich Lust mal wieder einen P-Style Bass zu spielen. Teuer sollte er nicht sein, aber qualitativ annehmbar.
Ich begann also bei Thomann zu stöbern und suchte mir einige Favoriten heraus, darunter hauptsächlich Squier-Modelle.
Schließlich fiel mein Augenmerk auf den Harley Benton PJ-4 HTR Bass für 111,-€.
Bisher hatte ich mich in Sachen Instrumente immer von den Hausmarken ferngehalten, aber da ich in letzter Zeit viel gutes über Harley Benton
gelesen hatte und neugierig war, beschloss ich den PJ-Bass zu bestellen.
Ich habe nicht viel für den Preis erwartet. Im Grunde genommen so gut wie gar nichts.
Mal im Ernst, wie soll ein Instrument für den Preis auch nur im entferntesten die Anforderungen von irgendjemandem erfüllen?
Die Reviews, die ich zu dem Bass fand, waren zwar gut, aber Reviews vertraue ich in letzter Zeit immer weniger, da ich die Erfahrung gemacht
habe, dass die Verfasser dazu neigen zu übertreiben und oft auch Schrott über Gebühr gelobt wird.
Als der Bass zwei Tage später bei mir ankam, nahm ich ihn sofort unter die Lupe.
Womit haben wir es hier also zu tun?
Es handelt sich beim Harley Benton PJ-4 HTR Deluxe Series um einen klassischen P-Bass mit einem extra Tonabnehmer, den
er von seinem Jazz-Kollegen übernommen hat.
Daher kommt das "PJ" in der Modellbezeichnung.
Am Steg hat mal also einen normalen Single Coil und am Hals einen klassischen Split Coil-Tonabnehmer mit Humbucking-Effekt.
Der Korpus ist aus Erle (bei älteren Modellen aus Linde), der Hals ist aus Ahorn und das Griffbrett aus Palisander.
Die Lackierung des Korpus ist transparent-rot, das Pickguard ist psychedelisch Tortoise-farben und die Mechankien sind offene Elephant-Ears,
wie man sie von Modellen dieser Art kennt.
Der Hals ist nur sehr dünn lackiert und nicht "vintage-tinted", wodurch das Holz sehr hell und naturbelassen aussieht.
Das Gesamtgewicht liegt mit 3,5 Kg im Mittelfeld.
Am Amp erkennt man sofort in welche Richtung es geht:
Nimmt man den Jazz-PU am Steg, klingt es knackig und twangig, der Split Coil am Hals lässt den Bass knarzig-grummelig klingen.
Im Gegensatz zum großen Original verfügen die Pickups nicht über Alnico-Magnete, sonder die Pole Pieces sind aus Weicheisen und
werden von einem auf der Unterseite befindlichen Balkenmagneten magnetisiert.
Wie ist der Bass qualitativ?
Ich muss sagen, dass ich positiv überrascht bin.
Dafür, dass ich nichts erwartet hatte, habe ich sehr viel bekommen.
Der Bass wirkt nicht wie ein low-budget-Teil.
Die gesamte Verarbeitung ist gut und sauber, die Bundstäbchen sind ordentlich abgerichtet, die Mechaniken halten die Stimmung problemlos über mehrere Tage
und die Bespielbarkeit des Halses ist wirklich exzellent, dazu sitzt er perfekt (!) in der Halstasche - das geht manchmal selbst bei weitaus teureren Modellen in die Hose.
Die Saitenlage war beim Auspacken schon recht niedrig, aber ich habe es geschafft durch Einstellung des Trussrods und der Bridge noch ein paar
Millimeter mehr rauszuholen, ohne dass es schnarrt oder die Bespielbarkeit leidet.
Man kann den Hals also sehr genau, nach den jeweiligen Bedürfnissen, einstellen.
Das ist nicht selbstverständlich, vor allem nicht bei einem sehr billigen Instrument.
Der Trussrod lässt sich ohne großen Kraftaufwand geschmeidig anziehen und reagiert sehr präzise.
Die Lackierung des Korpus ist sauber ausgeführt und unter dem transparenten Rot, erkennt man die Maserung des Holzes.
Hier ist alles echt, es kommt kein Furnier oder Foto-Flame zum Einsatz, da man bei genauem Hinsehen auf dem Holz die feinen Nahtstellen der einzelnen Teile erkennt.
Insgesamt hat man überraschenderweise nicht das Gefühl hier ein Totholz-Instrument in der Hand zu halten.
Selbst bei unverstärktem Anzupfen hat der Bass einen guten Klang und summt schön resonant vor sich hin.
Wie kann das sein? Ich denke nicht, dass bei 111 Euro Endpreis im Werk in China eine große Holzselektion stattgefunden hat.
Scheinbar ist in der betreffenden Fabrik der Produktionsstandard allgemein so hoch, dass auch bei billigen Instrumenten annehmbares Tonholz verwendet wird.
Klanglich ist bei diesem Bass natürlich 'Big F' das große Vorbild.
Es knarzt und bollert, wie man es von P- und J-Style Bässen kennt und liebt.
Die Intonation ist sauber, keine Deadspots, gutes Sustain.
Der einzige kleine Minuspunkt des Basses sind die Tonabnehmer - zumindest auf dem Papier. Hier haben wir es, wie gesagt, nicht mit Alnicos sondern mit
Keramikmagneten zu tun.
Mich stört es nicht.
Der Bass soll bei mir im Mix grummeln und grooven, da interessiert es mich nicht, ob durch die anderen Magnete ein bisschen Original Fender-Feeling verloren geht.
Zumal es ja auch Vollpreis-Bässe gibt, bei deren Pickups Balkenmagnete zum Einsatz kommen.
Die Werkssaiten sind übrigens voll in Ordnung und ich werde sie erstmal drauflassen.
Fazit:
Ich kann den Harley Benton PJ-4 HTR Deluxe Series jedem interessierten Gelegenheits-Basser empfehlen.
Für 111,-€ macht man hier nichts falsch.
Er kann mit der doppelt so teuren Konkurrenz von Squier & Co. mithalten.
Wer also mit dem Gedanken spielt, sich einen Squier Affinity- oder Vintage Modified-Bass zu kaufen, kann hier Geld sparen.
Faktisch kann man über den Bass nichts schlechtes sagen.
Es gibt keine bösen Überraschungen, eher das Gegenteil.
Die Bespielbarkeit und die Funktionalität aller Bauteile sind top.
Klanglich ist auch alles im grünen Bereich. Der HB klingt, wie man es von diesem Modell erwartet.
Wäre ich Vollzeit-Bassist, würde ich mich wahrscheinlich (rein aus Prestige ) nach einem Fender MIM Bass oder etwas
ähnlichem Umsehen, aber ansonsten kann man den Harley Benton wirklich empfehlen.
Ich bin erstaunt, wie solch eine wirklich ordentliche Qualität für so wenig Geld möglich ist.
Wahrscheinlich liegt es an optimierten Fertigungsmethoden in Fernost und an den großen Mengen, die Thomann davon einkauft.
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