Ich frage mich, um was für eine Art Improvisation es sich hier handelt. Jazz-Impriovision haben wir gurchgenommen - aber im Folk-bereich gibt's das auch.
Denn Improvisieren heißt doch einfach, etwas zu spielen oder zu singen, das nicht festgeschrieben ist. Und bei (zumindest irischen) Folk-Tänzen ist nur die Melodie fest tradiert, bei liedern nur Text und Melodie. Jegliche Begleitung wird improvisiert.
Stimmt ein Geiger ein Reel an, den ich noch nicht kenne, muss ich auf dem Banjo dazu improvisieren. Dazu muss ich herausfinden, in welcher Tonart wir uns befinden (bei Geigern, meistens D- oder G-Dur oder E dorisch oder so), damit ich meinen potentiellen Akkordbedarf abschätzen kan, und dann geht's los. Ich muss mir vergegenwärtigen, welche Zupfmuster zu 8/8 passen und überlegen, wie ich diese geschmackvoll verteile. Bleibt nur noch, die wenigen benötigten Akkorde aus der durch die Tonart schon begrenzten Auswahl zu greifen - und gucken, wo welche Akkordwechsel fallen. Und das ist bei mir und den meisten Folk-Musikern Gefühlssache. Man registriert, wohin die Melodie geht und antizipiert was kommt. Ein anderer Banjoist oder Gitarrist würde es vielleicht ein bisschen anders machen - hier ein Parallell-Moll statt Dur, dort ein Dominantseptim statt eines Dominanten. Beides wäre richtig, bloß vielleicht nicht gleichzeitig.
Festpunkt bleibt die Geigenstimme. Wenn zwei Begleiter beteiligt sind, sollte man die feste Basis (schriftlich oder durch Absprache) um ein Akkordschema erweitern. Banjo und Gitarre, z.B. funktionieren rhythmisch ganz unterschiedlich und stören sich dann beim Improvisieren nicht gegenseitig.
Es gibt also einerseits die Improvisation um ein festes gerüst (Jazz und Folk), aber es gibt auch die freie Improvisation. Wir denken an Bach, Händel und Mozart, die "Wettspiele" machten, indem einer sich ein Thema ausdenkt und am Klavier vorspielt, woraufhin der andere es nachspielen und variieren muss, worauf der erste diese Variationen nachspielen und wiederum variieren muss. Auf niedererer Ebene mache ich das auch, wenn mein Enkel immer wieder etwas hören will und ich alle meine einstudierten Stücke schon gespielt habe. Das begebe ich mich auf die Suche danach, was das Instrument (am liebsten Waldzither oder 5-saiteges Banjo) für nette Melodien und Akkordfolgen versteckt hält. Oft kommt was nettes dabei heraus - aber ich würde es keinem zumuten, gleich mitzuspielen.
Ob frei oder mit Gerüst - einige Voraussetzungen muss man mitbringen. Man muss sein Instrument (auch die Stimme) blind beherrschen und wissen, wie jeder gedachte Ton zu erreichen ist. Man muss das Genre kennen; was "erlaubt" ist und was nicht, besonders in Bezug auf das eigene Instrument oder Stimme.
Denn das "nicht festgeschriebene" fängt bei Sängern mit einfachen, oft genre-spezifischen techniken an. Die blanke Melodie steht in der Partitur - was kann ich daran ändern? Vielleicht Rubato? Im Jazz schweigt der Sänger oft einen halben Takt lang, um dann den ganzen Text des Taktes in der 2. Takthälfte zu singen - ein Extermfall von Rubato. Ich mache das auch bei Folk-Songs, aber weniger ausgeprägt. Dann gibt es "blue notes" - nicht nur beim Jazz - also mikrotonale variationen auf das konventionell Notierte. Dann gibt's Portamenti - einen Ton zu tief ansetzen und auf die richtige Höhe rutschen. Oder lange Noten in eine kurze folge kürzerer Noten unterschiedlicher Tonhöhe zerlegen - wobei der darunterliegende Akkord für die Wahl der Töne entscheidend ist. Aber den hört man ja gleichzeitig von der Begleitmusik.
Kurzum: sind die Melodie und der harmonische Verlauf bekannt, kann ein Sänger mit sehr einfachen, rein Gesangstechnische Mittel nicht festgeschriebene Variationen improvisieren.
Weiter gehts - wenn man das gemeistert hat - mit improvisierten Änderungen im Verlauf der Melodie selbst. An vielen Stellen einer Melodie hätte der Komponist durchaus einen anderen Ton notieren können, ohne die harmonische Struktur zu verändern. Finde diesen Ton und singe ihn!
Ich muss dazu sagen, dass die Improvisation eigentlich nur bei den ersten paar Durchgänge eines neuen Stückes notwendig ist. Wenn man mir einem festen Ensemble spielt, geliert die Improvisation nach und nach zu einem Arrangement, das man sehr wohl aufschreiben und anderen zum Vorspielen geben könnte. Ab dann wird nur dann mproviiert, wenn die auf der Bühne ein Geistesblitz erwischt. Manchmal geht's gut ...
Wenn ich's so recht bedenke, beruht zumindest mein Improvisieren nicht auf grauer Theorie oder Mathematik, sondern auf einen instinktiven Umgang mir meiner Stimme und meinen Instrumenten; auf viel Hörerfahrung in den Genres, die ich spiele; und auf das Auswendigkennen des Stückes.
So gesehen brauche ich meinen Kopf nur, um meine Ohren auf stereotauglichen Abstand zu halten! Dein Kopf wird dich nie in die Lage versetzen, improvisieren zu können. Dein Gefühl wird dir sagen, was du machen sollst, und wie - oder dich davor warnen, es gerade hier zu versuchen. Dein Kopf wird immer sagen: "Mach's nicht - du hast keine Ahnung, wie kompliziert es ist!"
Meine ganz persönlichen Ansichten - freue mich wenn's hilft!
Cheers,
Jed
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Übrigens:
Bye, bye, Blackbird und Ornithology zusammengesungen klingt mir eher nach Quodlibet, als nach Improv - aber eine gute Übung ist es bestimmt!
Cheers,
Jed