Klavier stimmen - ein Anfängerbericht.

  • Ersteller bassmüller
  • Erstellt am
bassmüller
bassmüller
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
31.05.24
Registriert
25.07.11
Beiträge
72
Kekse
1.407
Hallo Musiker!

Leicht frustriert von meinen Akkordeon-Stimmversuchen (siehe Akkordeon-Anfänger-Stimmthread) dachte ich mir, ich müsste jetzt mal was mit schnellem Erfolgserlebnis haben. Aber ich hole mal etwas weiter aus:

Im März diesen Jahres war die hiesige Musikschule umgezogen und hatte hinter dem Gebäude einen Riesen-Container, in den alles rein kam, was weg musste. Neben dem Container stand dann auch ein olles Klavier mit einem Aufkleber „Müll“ auf dem Tastendeckel. Da es anfing, zu nieseln, habe ich kurzerhand meinen Radlader geholt und das Klavier nach Hause gefahren. Naturgemäß war die Stimmung unter aller Sau und ein Großteil der Dämpferfilze dämpfte nicht mehr, sondern filzte nur noch :)
Bis vor ein paar Tagen stand es dann also im Probenraum und müffelte vor sich hin. Dann hab' ich mir ein Herz und den Staubsauger genommen, das Ding oberflächlich gesäubert und mit dem Akkordeontuner (Dirk's, sehr zu empfehlen) wohltemperiert durchgestimmt. Der Erfolg war mässig.

Nach einem kurzen Ausflug ins Forum wurde mir erklärt (danke, Be-3), dass das an der Inharmonizität des Klaviers liegt. Beim Klavierstimmen muss eine Streckung (Spreizung) eingearbeitet werden: Alle Intervalle sind, von der Temperierung abgesehen, etwas größer als zu erwarten. Das hängt mit der Steifheit und der Dicke der Saiten zusammen und ist offenbar bei jedem Klavier vorhanden.

Der nächste Schritt war dann also die Klärung der Frage, wo ich eine passende Streckung herbekomme. Glücklicherweise steht im Probenraum auch noch ein elektrisches Piano, in dem ein Ketron-Pianomodul die Töne fabriziert. Das habe ich mir dann gegriffen und mit der Akkordeon-Stimm-Software einen Flügelsound protokolliert (Original-Liste füge ich unten an). Das Ergebnis ist erstaunlich: Im Mittenbereich sind wenig Abweichungen von der temperierten Stimmung zu finden, am oberen und unteren Ende der Skala dafür um so mehr. Die Streckung reicht da von – 16 Cent für A1 bis zu + 30 Cent für A7. Wer hätte das gedacht...?
Ich habe also eine Reihe von Tönen gemessen und die Liste dann mit Zwischenwerten ausgefüllt, die ich zum Stimmen als Vorlage genommen habe. Und, oh Wunder: Es klingt! Einige Töne mussten noch nach Gehör korrigiert werden (hört man am besten an den großen Dezimen, die klingen dann scharf), aber dann reicht es für den Probenraum-Gebrauch aus.

Ich bin sicher, dass ein Klavierstimmer das um Welten besser und schneller kann. Zu dem wird die Stimmung vom Fachmann erheblich länger halten. Trotzdem bin ich sehr zufrieden damit. Ich habe ein Klavier, das andere schon austherapiert hatten, wieder in einen gebrauchsfähigen Zustand versetzt, ich habe dabei wieder eine Menge gelernt, und Spaß gemacht hat es auch.

Der eigentliche Stimmvorgang: Zuerst habe ich mit dem Stimmkamm gestimmt, hinterher beim Feinstimmen bin ich dazu übergegangen, mit dem zangenartigen Gerät zu arbeiten, weil das schneller geht. Ich habe mit dem Stimmkeil (oder der geschlossenen Zange) zwei Saiten gedämpft und eine mit dem Akkordeon-Tuner gestimmt. Dann habe ich die Zange umgesetzt, so dass die mittlere Saite und die frisch gestimmte stumm waren, um dann die andere äußere Saite zu stimmen. Danach habe ich Keil bzw. Zange entfernt und die mittlere Saite nach Gehör gestimmt. Das geht recht schnell, wenn man ein Ohr für die Interferenz hat, die zwei Saiten, die nahe beieinander liegen, bilden. Diese Schwebung wird bei Annäherung der Frequenzen langsamer und verschwindet bei Stimmung (Übereinstimmung) der Frequenzen völlig.
Im tiefen Bass ist das Stimmgerät allerding überfordert. Die tiefen Saiten machen alles, aber keine definierten Sinus-Schwingungen. Da gteht das Stimmen am besten nach Gehör, in dem man die Oktave nach oben als Anhaltspunkt nimmt. Und im ganz hohen Diskant ist das Stimmen glückssache. Am einfachste ist es, wenn man beim Spielen diesen Bereich meidet.... :)

Ach ja: Die Dämpferfilze. Nach der Demontage der Hämmer und der ganzen Mechanik (drei zu lösende Schrauben, dann konnte man das komplett abnehmen) zeigten sich auf der den Saiten zugewandten Seite der Hämmer kleine Schräubchen. Mit denen kann man den Anschlag der Dämpferfilze einstellen. Alle Schrauben eine gute halbe Drehung rausgedreht und das Klavier dämpfte wieder wie neu!

Ich habe hier mal meine Stimmliste und ein paar Fotos angehängt. Die linke, handgeschriebene Spalte der Stimmliste ist die gemessene Abweichung des Ketron-Flügel-Samples. Die rechte ist die Spalte mit den Werten, die ich interpoliert habe und +/- zwei Cent in das Klavier "hineingestimmt" habe.
Abschließend kann ich jedem, der ein altes Klavier in der Ecke stehen hat nur empfehlen, es mal zu versuchen. Je älter das Klavier, desto billiger der Schaden. Bei meinem ist eine einzige Basssaite gerissen – zum Glück hat das Klavier an der Stelle zwei davon... Fällt gar nicht auf.

Viele Grüße

bassmüller

SAM_2414.JPG

Ein Klavier, ein Klavier.... Bei Ton 14 fehlt eine Saite. Aber sonst ist alles besser als vorher.

SAM_2417.JPG

Das Werkzeug (v. l.) Stimmrechen, Gerät, dessen Namen ich vergessen habe, Stimmhammer
 
Eigenschaft
 

Anhänge

  • Stimmliste Klavier.pdf
    831,7 KB · Aufrufe: 625
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 5 Benutzer
Danke für den intressanten Bericht!

Ich habe mein Klavier 2x selber gestimmt, aber nach Gehör. Damals hatte ich mehr Zeit als Geld. :D Ich habe beide Male drei Tage gebraucht. Nach einigen Stunden des Stimmens waren meine Ohren einfach platt. Und zwar nicht in dem Sinne, daß ich nichts mehr gehört hätte. Im Gegenteil, das gehör wurde immer feiner. Ich habe unzählige Obertöne gehört, wußte aber nicht mehr, welcher wohin gehört, vor allem im Diskant und im Bassbereich. Ich habe dann immer mit dem Finger die Flageolett-Punkte gesucht, um herauszufinden, welche Obertöne ich miteinander vergleichen muß.

Mein Beurteilungsvermögen über die gestimmten Töne war allerdings nahezu komplett verschwunden. Ich habe zwar die Schwingungsverhältnisse der Obertöne untereinander gehört und konnte auch alle Änderungen, die ich vorgenommen habe, genau wahrnehmen. Aber ich konnte nicht mehr entscheiden, ob es dann gut oder schön, ob es besser oder schöner klingt als vorher. Nach einer Nacht Schlaf ging es dann wieder eine Zeit lang, am 3. Tag war ich dann einigermaßen durch mit dem Stimmen, aber reichlich unzufrieden. Ich war überzeugt, daß ich miserabel gestimmt hatte.

Am 4. Tag habe ich dann wieder auf dem Klavier gespielt und war dann doch ganz zufrieden. :D Ich fand mein Ergebnis dann doch nicht so schlecht, wie ich am Tag vorher geglaubt hatte. Aber leider hielt die Stimmung dann nicht besonderes lange. :ugly:

Nachdem ich dieses Erlebnis 2x exakt gleich durchgemacht habe, stimmt bei mir wieder der Klavierstimmer. der braucht 1 Stunde, ich bin hinterher zufrieden und die Stimmuing hält ein Jahr lang ziemlich gut. Gerade vor einer halben Woche war er wieder da. :)

Ich war jedenfalls außerordentlich überrascht, was die Hörpsychologie einem da für üble Streiche spielen kann, wenn man im Klavierstimmen nicht geübt ist.

Übrigens besteht auch die Gefahr, daß man durch unsachgemäßen Gebrauch des Stimmhammers die Wirbellöcher ruiniert oder die Stimmwirbel verbiegt oder verwindet. Da ist dann das durch's Selberstimmen gesparte Geld gleich mehrfach wieder weg ...

Viele Grüße,
McCoy
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Für Eure beiden Erfahrungsberichte vielen Dank! :great:

@ McCoy
Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass die Stimmung vom Klavierstimmer besser hält?

Gruß
Lisa
 
Hallo, da frage ich mich jetzt, ob meine Methode des Klavierstimmens falsch ist, wenn Ihr so ein Aufwand zum Stimmen betreibt. Ich habe ein altes elektronisches Stimmgerät, das mehrere Oktaven hören und spielen kann. Das eingebaute Mikrofon erfasst jeden Ton meines Klavieres, vom tiefsten bis zum höchsten. Muss halt jede zweite Oktave am Stimmgerät umstellen. Die hohen Töne werden nur kurz angezeigt, aber reicht zur Stimmung. Ich spiele jede Seite einzeln mit einem Gitarren Plektrum an und der Rest bzw. Nebenseiten werden mit meiner Hand abgedämpft. Eventuell sind am Schluss noch Dreierseiten auf einander abzustimmen, aber für mich klingt es im kompletten Spiel Harmonisch gut.
Gruß Rüdiger
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Hallo Banane99,

Stimmung ist, was gefällt. Allerdings wird dein Stimmgerät nicht die Inhamonizität (vorgestern gelernt, das Wort) berücksichtigen. Meine Vermutung: Entweder, 1. du stimmst die unbewusst raus oder 2. es stört dich nicht.

@Lisa2
Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass die Stimmung vom Klavierstimmer besser hält?
Ich habe mal vor längerem mit einem Klavierstimmer darüber gesprochen. Der sagte, dass er je nach Fabrikat unterschiedlich an die Klaviere herangeht und die Töne wahlweise von oben oder von unten "ranzieht". Bei meinem Ibach hatte ich nach der ersten Feinstimmung das Phänomen, dass die Töne sich um durchschnittlich vier Cent wieder nach oben bewegt hatten. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass das Klavier wegen eines Kalibrierungs-Fehlers vorher auf ca. 445 Hz war und ich es wieder auf 440 gedrückt habe. Von meinen Stimmversuchen kann ich sagen, dass es leichter scheint, sich der passenden Tonhöhe von unten zu nähern. Ich vermute, dass die Stimmung damit auch länger hält. Das Verhalten kenne ich von einer Strat eines Bandkollegen: Wenn man die "von oben herab" stimmte, war sie nach zehnt Takten wieder schräg.
 
Hallo Bassmüller, Dein erwähnter Fachausdruck habe ich mal im Netz im Wikipedia gefunden:

Bis zu einem gewissen Maße ist die Inharmonizität aber auch für die Lebendigkeit des Klavierklanges verantwortlich. Ein günstiger Verlauf der Inharmonizität kann durch die entsprechende Konstruktion bzw. die optimale rechnerische Ermittlung der Mensur (Längen, Durchmesser und Spannung der einzelnen Saiten) erreicht werden. Der Klavierstimmer muss in der Lage sein, die Inharmonizität eines Klavieres gehörsmäßig so weit zu beurteilen, dass trotz dieser „falschen Teiltöne“ das Instrument schließlich gut klingt.
Einfache elektronisch erzeugte Töne haben keine Inharmonizität und klingen deshalb unnatürlich. Dieser Höreindruck kann durch zusätzlich erzeugte inharmonische Frequenzen deutlich verbessert werden.

D.h. eventuell macht mein Stimmgerät das von vornerein schon automatisch bzw. ist so Programmiert oder ich treffe die Stimmung nicht 100% gleich und habe deshalb den Effekt ohne mein wissen. Eventuell ist mein Klavier aber schon so gebaut, d.h. die Konstruktion.
Aber wie Du gesagt hast, alles was gefällt und die Stimmung hält locker 1-2 Jahre. Im Sommer und Winter schwankt die komplette Stimmung, aber immer in allen Bereichen gleich oder ist das genau die Inharmonizität (klingt aber echt gut, wieder was zum Angeben)
Danke für die Beiträge.
 
Vielen Dank für die Erklärungen.
Meine Erfahrungen mit Stimmen beschränken sich auf kleine Saiteninstrumente. Mein Klavier ist elektrisch. Daher weiß ich um die Problematik nur von Hörensagen.
Akkordzithern stimme ich in der Regel auch von unten nach oben, weil halt der Ton im Laufe der Zeit ein wenig absackt. Wenn ein Instrument durch Auskühlen in der Stimmung gestiegen ist, stimme ich es durch "Handauflegung" :D
Klingt jetzt spaßig, mache ich aber wirklich, indem ich die Hände auf die Saiten lege und kurz darüber streiche. Schon sackt die Stimmung durch das Anwärmen der Saiten. Einen Ton, der beim Duchstimmen minimal zu hoch liegt, hole ich auf diese Weise runter und warte dann ab, was passiert, ob ich wirklich "kurbeln" muss, oder ob der Ton bleibt.
War mal irgendwann eine spontane Idee, weil irgendein Assoziationsflash die Rollenlager einer Brücke im Kopf auftauchen ließ. Und wozu die dienen lernt man ja im Physikunterricht. ;)

Mit Klaviersaiten kann man das so nicht machen. Aber da es bei beiden Instrumenten um eine mehr oder weniger große Ansammlung in chromatischer Folge angeordneter Saiten geht, kommen mir solche Vergleiche halt unwillkührlich in den Sinn.

Warum nun aber ein "Hochziehen" im Endeffekt eine stabilere Stimmung ergibt als ein "Absenken" ist mir noch nicht ganz klar.
Ob es daran liegt, dass die Stimmnägel nach dem "Loslassen" abhängig von der Drehrichtung in ihrem "Loch" unterschiedlich "einrasten"?
:confused:
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
ich habe schon vor langem gelernt, dass bei einem mechanischen Einstellen der letzte "Dreh" immer gegen die wirkende Kraft gehen sollte, da beim Drehen mit der Kraft ein minimales Nachrutschen immer möglich ist. Also beim Saiten stimmen gegen die Zugkraft -> höher, beim senkrecht stehenden (fotografischen) Vergrößerer gegen die Schwerkraft -> nach oben
 
Mal einige Anmerkungen dazu von mir als Klavierbauer:

Dirk´s Akkordeontuner kenne ich nicht, aber von dem gibt es auch einen Pianotuner. Der wiederum misst die Inharmonizität des jeweiligen Klaviers und berechnet daraus die für das jeweilige Exemplar optimale Stimmung. Wenn man irgendein altes (Gitarren-)Stimmgerät nimmt, welches die Inharmonizität nicht berücksichtigt, dann kann das nur schrottig klingen. Ganz richtig erkannt: da geht es um Abweichungen bis 30 Cent! Da bassmüller die Tonhöhen seines elektronischen Flügel-Moduls übernommen hat, hat er auch die Inharmonizität des dem zugrunde liegenden gesampelten Flügels übernommen. Und die ist bei Flügeln wesentlich kleiner als bei Klavieren. Das Ergebnis könnte also noch viel besser sein, wenn man die tatsächliche Inharmonizität des Klavieres gemessen hätte. Dass das Ergebnis dennoch passabel klingt, liegt daran, dass es sich bei dem Roth & Junius Klavier um ein recht großes Klavier mit langen Saiten handelt, dass sehr wahrscheinlich ebenfalls eine recht geringe Inharmonizität hat.

Zum eigentlichen Stimmvorgang:
Die 3 Saiten pro Taste haben ebenfalls unterschiedliche Inharmonizität! Deswegen niemals nie versuchen, alle 3 Saiten mit Gerät zu stimmen. Korrekt ist es, eine Saite nach Gerät zu stimmen und die beiden verbleibenden Saiten nach Gehör (an die bereits nach Gerät gestimmte Saite) anzupassen. Dazu braucht man einen Stimmkeil. Der kann aus Filz oder Gummi sein. Für die oberen Töne (den Diskant) benötigt man dann so etwas wie oben auf dem Foto: einen Nylon-Stimmmkeil mit Feder. Der Grund dafür ist simpel: ein normaler Filzkeil passt oben nicht mehr, dafür ist es zu eng.

Was man auch nicht machen sollte: mit einem Plektrum die Saiten anzupfen. Denn das klingt anders, als wenn die Saite vom Filzhammer angeschlagen wird. Dem Stimmgerät ist das egal. Aber wenn man nach Gehör die beiden verbleibenden Saiten anpasst, dann kommt es durch das Plektrum zu einer Überbetonung der höheren Obertöne. Im Gegensatz zum Anschlagen mit dem Filzhammer. Somit kann es sein, dass mit Plektrum gezupft die 3 Saiten ganz passabel zusammen klingen, aber angeschlagen wieder ganz anders.

Üblich ist es übrigens, die Tonhöhe von oben nach unten zu stimmen. Also erst überziehen und dann wieder etwas runter zu stimmen. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt! Letztlich geht es darum, dass die Stimmung hält. Man spricht von Wirbel setzen. Anfänger machen meist den Fehler, dass sie den Wirbel nur biegen und nicht drehen. Und das hält dann nicht. Es gibt aber nicht die einzig wahre und gültige Stimmtechnik. Jeder Stimmer hat sich im Laufe der Jahre seine eigene Technik angeeignet. Und auch die Erfahrung gemacht, was hält und was nicht.

Im ersten Lehrjahr habe ich mich auch schwer getan mit dem Stimmen. Und meine allererste Stimmung (nach Gehör) hat damals tatsächlich auch 8 Stunden gedauert (auf 2 Tage verteilt).

Gregor
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 5 Benutzer
@ McCoy
Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass die Stimmung vom Klavierstimmer besser hält?
Erstmal was Boardtechnisches: Wenn Du den Usernamen unmittelbar hinter das @ schreibst, funktioniert das automatische Tagging: @Lisa2

Ich frage meinen Stimmer ja immer Löcher in den Bauch, wenn er da ist. Folgendes habe ich bisher in Erfahrung bringen können:
  1. Die Klaviersaite hat an der Auflage beim Plattensteg eine gewisse Reibung, die es zu überwinden gilt. Bei der Stahlsaiten-Gitarre kennt man das auch: Ich stimme die Saite, z.B. von unten nach oben. Beim Spielen macht es dann ein klitzekleines Pling, und die Saite ist wieder verstimmt. Abhilfe schafft, etwas Graphit vom Bleistift in den Sattel zu streuen, dann gleitet die Saite besser über den Sattel.
    Klavier: Beim Drehen des Wirbels spannt bzw. lockert sich zuerst der weinige Zentimeter lange Bereich der Saite zwischen Wirbel und Plattensteg (= Sattel). Erst danach überträgt sich die Spannung auf den klingenden Teil der Saite. Abhilfe: Kräftiger Anschlag währrend dem Drehvorgang des Stimmwirbels. Dadurch gerät die ganze Saite in Schwingung und die unterschiedlichen Spannungszustände gleichen sich schneller aus. Mein Stimmer haut immer 2x schnell hintereinander auf die Taste, einmal fff und einmal mp. Tut er das nicht, gleicht sich der Spannungsunterschied zwischen diesen beiden Saitenabschnitten erst aus, wenn der Klavierbesitzer wieder auf dem Klavier spielt und der Stimmer schon wieder weg ist. :D Mit einem Gitarrenplektrum kriegt man das nicht hin.

  2. Unreine Saiten: Die Idealsaite hätte eine gewisse Länge und eine Dicke von Null mm. Dann wären die Schwingungsknotenpunkte der Saite tatsächlch mathematische Punkte. Dies ist in der physikalischen Realität unserer Welt aber nicht der Fall. Saiten haben eine gewisse Dicke. Je dünner und länger eine Saite ist, desto mehr nähert sich die Saite dem Ideal, je kürzer und dicker sie ist, desto weiter entfernt sie sich vom Ideal. Die tatsächlichen Schwingungsknotenpunkte einer Saite sind also keine Punkte, sondern zylinderförmige Saitenabschnitte: Also ungefähr Saitendurchmesser im Kubik. Je kleiner der zylindrische Abschnitt im Verhältnis zur Gesamtlänge der Saite ist, desto besser, desto exakter sind nämlich dann die Obertöne der Saite gestimmt. Gerade Kleinklaviere haben aber kurze Saiten, die im Verhältnis dazu relativ dick sind. Wenn nun die Dicke der Saite nicht an allen Stellen hundert Prozent gleich ist, kann man sich vorstellen, daß so eine Saite zu eiern beginnt, also ungleichmäßig schwingt. Das kann z.B. sein, wenn bei einer Baßsaite die Umwicklung nicht exakt gleichmäßig ausgeführt ist oder eine Saite mal einen Knick bekommen hat. Dann stimmen vermutlich die Obertöne nicht mehr exakt zum Grundton. Wenn ich so eine Saite jetzt mit Stimmgerät stimme, dann stimmt zwar der Grundton der Saite, aber in Akkorden beissen sich die Obertöne der beteiligten Saiten. Dann muß man die Saite minimal "falsch" stimmen, damit es schön klingt.

    Zitat meines Stimmers: Konzertflügel mit langen Saiten stimmen kann jeder. Das Problem sind diese Kleinklaviere mit den unreinen Saiten. (So eins habe ich. :redface:)

  3. Im Laufe der Zeit kann es sein, daß sich bestimmte Saiten, vor allem im Diskant, an den Stegstiften etwas vom Steg wegschwingen, sie liegen also nicht mehr satt genug am Steg auf, sondern "halten sich" mittels Reibung gewissermaßen an den Stegstiften "fest". Dann verstimmen sie sich beim Spielen sehr schnell. Abhilfe: Die Saiten werden mit einem bestimmten Werkzeug wieder an den Steg angeschlagen und liegen wieder satt auf. Wenn man das aber zu oft macht, liegen die Saiten zu fest am Steg an (evtl. graben sich auch kleine Rillen in den Steg, weiß ich nicht genau), was die Saite wiederum etwas am freien Schwingen hindert. Abhilfe: Ein Klavierbauer, der das Klavier seit Jahren kennt und beurteilen kann, ob Anschlagen wieder mal nötig ist oder nicht. Zum Glück habe ich so einen. :)
aber für mich klingt es im kompletten Spiel Harmonisch gut.
Ein relativ normales Phänomen ist, daß man sich an die Verstimmung seines eigenen Klavieres gewöhnt. Mir persönlich reicht z.B. das Gitarrestimmen mittels Stimmgerät nicht, das ist mir oft zu ungenau. Die Obertöne schwingen dann im Verhältnis nicht genau so, wie ich das haben will und ich bin unzufrieden. Zum Gitarrestimmen habe ich hier mal etwas verfasst: Review Hohner Essential Roots ER-1 M0 Aber eine Gitarre hat ja nur 6 Saiten. :ugly:

Das Gehör verfeinert sich vermutlich im Laufe der Jahrzehnte. So fein wie das meines Lehrers ist meines aber noch nicht, der mit seinen Forderungen immer den Freiburger Chef-Klavierstimmer zur Verzweiflung brachte. :D

Fazit: Als ich mein Klavier selber gestimmt hatte, war ich am nächsten Tag zufrieden und habe mir gesagt: OK, jetzt stimmt es wieder. Nachdem aber mein Stimmer da war, bin ich überglücklich glücklich, sage WOW!, setze mich ans Klavier und kann nicht mehr aufhören zu Spielen, weil es so einen Spaß macht. :) Die Wochen vorher leide ich immer äntsäätzlich ... :weep:

Noch'n Tipp: Der Stimmanfänger biegt oft die Wirbel mehr, als daß er sie dreht. Dadurch kann man die Wirbellöcher ausleiern, was den Stimmstock im Laufe der Zeit ruiniert. Das Klavier ist dann irgendwann Schrott. Ebenfalls können die Stimmwirbel verbiegen oder verwinden sich und müssen dann ausgetauscht werden. Das passiert gerade, wenn man einen billigen "Universal-"Stimmhammer verwendet.

Viele Grüße,
McCoy

noch'n edit:
Ich erinnere mich gerade an ein Solokonzert, das ich mal gegeben habe. Dort stand ein Klavier, das ein älterer Herr gestiftet hatte, der sich stolz äußerte: "Ich stimme das Klavier immer selbst." Es war vor dem Konzert auch frisch gestimmt. Allerdings hilet die Stimmung gerade bis zur Pause. In der zweiten Hälfte kam ich übel ins Schwitzen und versuchte, die inzwischen verstimmten Töne wo möglich zu vermeiden (kann man ja zum Glück beim Improvisieren). Nach dem Konzert schimpfte der Senior über mich: "Der haut ja so in die Tasten, daß die Stimmung nicht hält." Bei einem andren Konzert auf dem selben Klavier, aber mit einem professionellen Stimmer, hielt die Stimmung problemlos. :D
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Ahhh! Das mit dem Schlagen und dem dadurch entstehenden Spannungsausgleich mache ich auch. Nur halt nicht mit Schlagen, sondern Drücken. Dazu setze ich einen Finger auf die Saite und wippe mal kurz.

Bei einem andren Konzert auf dem selben Klavier, aber mit einem anderen Stimmer, hielt die
Stimmung problemlos. :D
Hmmm. Da hat dann wohl der eine beim Stimmen die Saiten "verhauen" und der andere nicht. :D

Danke! :great:

Lisa
 
Hallo Leute, ich habe gestern nach den vielen Berichten hier noch mal mein Klavier "bearbeitet". Nach den obigen Berichten scheint das wohl kein Stimmen zu sein :)
2 Stunden habe ich benötigt um alle Seiten wieder zu richten. Ich habe mal ein Bild angehängt vom Stimmgerät, das ist kein Gitarrenstimmgerät und wird auch aktuell noch in Ebay verkauft.
Ich habe die einzelnen Töne zwar nach Stimmgerät gleich gestellt, aber nach dem Stimmgerät bei manchen Tönen leichte Nachkorrekturen vorgenommen, so das die Töne beim Anschlagen klingen.
Da habe ich wohl ohne mein wissen diese Inhamonizität erzeugt, zumindest bei manchen Tönen. Ich spiele ein Hoffmann Klavier und beim Stimmen merkt man, dass die Wirbel gedreht werden und nicht nur verbogen.
Das Abdämpfen funktioniert gut mit den Händen und das anspielen mit dem Plektrum auch. Ich habe mal mein Nachbar der auch Klavier spielt, dann probieren lassen, der hat nichts gemerkt, das hier was "komisch" klingt etc.
Also ich bin zufrieden, wobei bestimmt Unterschiede im Klang zu hören wären, wenn ein Profi das Klavier stimmen würde. Irgendwann werde ich nach meinem Stimmen mal ein Fachmann kommen lassen und beobachten, was der noch ändert und werde dann berichten.
Hier noch der Link von Ebay, da kann man das Bild zoomen.
http://www.ebay.de/itm/ZEN-ON-Chromatina-Tuner-Stimmgeraet-/261822994488
 

Anhänge

  • Stimmgerät.png
    Stimmgerät.png
    51,8 KB · Aufrufe: 621
Hallo Banane99,

ich möchte es mal vorsichtig formulieren: Mit dem Gerät ein Klavier zu stimmen setzt ein gewisses Talent voraus. Kannst du mal ein paar Akkorde aufnehmen und hier reinstellen? Würde mich interessieren.

Viele Grüße

bassmüller
 
Ohne jetzt alles gelesen zu haben: mein Klavierstimmer (klavierbaumeister) hat ne Software nach der er stimmt, das sei viel effektiver und er hat dann mehr Zeit für Regulierungsarbeiten (nimmt sich immer 90 min Zeit)
 
mein Klavierstimmer (klavierbaumeister) hat ne Software
Ich höre meinen Klavierstimmer inzwischen heraus, zumindest bei frisch gestimmten Klavieren. Er stimmt einfach nach einem etwas anderen System als die meisten Stimmer. Ich habe es immer wieder erlebt, daß ich irgendwo auf einem Klavier gespielt habe und dann den Besitzer spontan gefragt habe: Sag mal, stimmt bei Dir der Bodo? Und ich jabe dann immer ein Ja als Antwort bekommen. Deshalb gehe ich davon aus, daß man das hört, wenn ein Klavier nach Software gestimmt wurde.

Mich stört es nicht, wenn ein Klavier nach Software gestimmt wurde, das mache ich bei meinem Rhodes ja auch so. Aber Bodo bietet mir halt klanglich das gewisse Extra mehr, das ich nicht mehr missen möchte.

Viele Grüße,
McCoy
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Ja, das sagt mein Klavierstimmer auch, dass er den Vorgänger hört, der gestimmt hat.

Meinem habe ich mal gesagt, dass mir die B-tonarten irgendwie nicht passten. Ich weiß jetzt nicht, ob das in der Zeit vor der Software war.

Ich könnte ihn auch um “charaktervolle“ Stimmung bitten.

Aber ich als lupenreiner Popmusiker, da passt sicher am besten die wohltemperierte.

Wenn ich beim digi mal was anderes einstelle und arpeggien spiele kommt mir das gleich sehr schräg vor.

Mein Klavierstimmer bietet auch immer an, 2 hz höher zu stimmen, ist aber nichts für mich.
 
Warum nun aber ein "Hochziehen" im Endeffekt eine stabilere Stimmung ergibt als ein "Absenken" ist mir noch nicht ganz klar.

Mir hat das vor langer Zeit mal ein Physiker und Musiker erklärt, abert nagelt mich bitte nicht drauf fest, ich weis es nur von seiner Erzählung und hab mir nie weiter Gedanken darum gemacht. Es klang nur damals schon irgendwie verrückt für mich. :rolleyes:

Eine Saite scheint sich wohl an ihren physischen Zustand zu gewöhnen und die Moleküle sortieren sich. Beim Stimmen gerät die "Ordnung" wieder durcheinander und die Saite möchte wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Durch überspannen und anschliessendes entspannen gewöhnt sie sich wohl leichter daran.
 
:gruebel:
Nach Deiner Lesart würde die Stimmung also besser halten, wenn man von oben kommt, also absenkt.
Ich hatte das genau umgekehrt verstanden.

Aber irgendwie passt das zumindest ein wenig zu meiner folgenden Beobachtung:
Wenn ich beim Stimmen der Akkordzither bis genau an den Punkt von unten herauf ziehe, dann ist entweder der Wirbel noch nicht "eingerastet" oder die Saite selbst hat irgendwie noch zu viel Spiel. Was auch immer da passiert, sobald ich den Stimmschlüssel loslasse, gibt die Tonhöhe nicht immer aber doch immer wieder mal (bei Gitarre und Akkordzither beobachtet) minimal nach. Wenn ich dann das Gefühl habe, dass ich den Wirbel nicht auf den Punkt bekomme, ziehe ich bei der Akkordzither einen klitzekleinen Tick drüber und wippe dann mit dem Finger auf der Saite, damit sich die Spannung zwischen den verschiedenen Saitenabschnitten ausgleicht. Bei der Gitarre bin ich da brutaler. Ich drehe 1/2 Drehung rauf und dann von oben in den Ton rein. Das mache ich sogar relativ oft. :gruebel:
Ob man das nun mit dem Klavierstimmen vergleichen kann? :confused:
 
Hallo Bassmüller, hab aus dem Handyvideo ein mp3 File gemacht, gezippt und hier hochgeladen. Ist nicht die beste Qualität, aber man hört leicht übersteuert wenigstens was. Habe das Klavier geöffnet aufgenommen. Keine Ahnung warum hier keine mp3 Files zum hochladen gehen. Gruß
 

Anhänge

  • klavier.zip
    337,7 KB · Aufrufe: 439
Keine Ahnung warum hier keine mp3 Files zum hochladen gehen.
Für mp3s kann man sehr gut Soundcloud benutzen.

ich habe gestern nach den vielen Berichten hier noch mal mein Klavier "bearbeitet".
hab aus dem Handyvideo ein mp3 File gemacht, gezippt und hier hochgeladen.
Sorry, daß ich es so direkt sage, aber so schräg klingt mein Klavier noch nicht mal ein Jahr, nachdem der Stimmer da war. :ugly:

Schon in der großen Oktave stimmen z.B. die beiden Seiten eines Tones häufig nicht überein und haben Schwebungen.

Viele Grüße,
McCoy
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben