Mittlerweile habe ich die ganze Bandbreite an Schülern. Alter 10 Jahre bis 30 Jahre. Akustische Gitarre, E-Gitarre. Vorlieben Fingerstyle, Lagerfeuerbegleitung, Rockriffs, Funk... alles dabei. Wie könnte ich mir da erlauben, für jedes einzelne Individuum dasselbe Lehrmittel ab Seite 1 bis Seite schlag-mich-tot durchzuackern?
Ja genau, so gehts mir auch. Jeder Schüler befindet sich auf seinem eigenen Weg mit der Gitarre und als Lehrer mach' ich Vorschläge in welche verschiedene Richtungen es gehen könnte. Die Entscheidung aber welche Weggabelung genommen wird, entscheidet der Schüler. So die Theorie . . .
In der Praxis siehts aber leider so aus, dass (auch hier im fernen Norwegen) jeder Lehrer mit einer vollen Stelle etwa 54 Schüler in der Woche unterrichtet (jeder 22,5 min). Da ist's leider mengenmässig kaum möglich jedem Schüler einen individuellen Lehrplan zuzuschneidern. Für jeden Schüler gibts ca. 7 min Vorbereitungszeit für diese 1-zu-1 Unterrichtsstunde á 22,5 min. Soviel zu den Arbeitsbedingungen eines Vollzeit-Gitarrenlehrers
Was mich interessiert - liebe Stromgitarren-Kollegen - ist, wie ihr ganz praktisch mit der immer grösser werdenden Flut an guten Lehrbüchern, YouTube-Videos, Workshops aus Guitar-Mags usw. fertig werdet, bzw wie ihr neue Unterichts-Ideen in euer "Big Picture" des Lehrens der Gitarre integriert?
Damit's etwas konkreter wird, beschreib' ich mal meinen bisherigen Lehrplan zur E-Gitarre und die verschiedenen Wandlungen.
Als ich vor 6 Jahren mit dem Job als hauptberuflicher Gitarrenlehrer begann hab' ich die deutschen Lehrbücher für E-Gitarre favorisiert:
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Peter Fischer: Rock Guitar Secrets / Survival Guitar / Masters of Rock Guitar I + II
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Volkar Kramarz: E-Gitarre / The Tremendous Electric Guitar
Je mehr ich mich aber ins Thema vertiefte, um so klarer wurde, das der deutsche Lehrbuch-Wald für E-Gitarre doch sehr dürftig ist und für einen fundierten Unterricht an einer Musikschule m.M. nicht ausreicht. Vorallem die Fülle an nicht sehr motivierenden Technik-übungen und die vom Lehrbuch-Author selbstkomponierten Lick-Sammlungen im Stile von XYZ nervten die Schüler doch zunehmend. Dazu erwies sich der Aufbau und das Fortschreiten durch die Schwierigkeitsstufen häufig nicht als sehr praktikabel.
Dann entdeckte ich die Bücher + DVD's von
Troy Stetina die ich sehr empfehlen kann. Allen voran "Total Rock Guitar" was ich als Standard-Werk im E-Gitarren-Unterricht verwende. In 22 Lektionen (mit guter Abstufung von leicht bis schwer) wird alles Wichtige zum Thema "Rock-Guitar" verhandelt. Nach einigen Technik-übungen pro Kapitel gibts dann ein Stück in einem anderen Rock-Style das zu einem guten Play-Back (auf CD) mit gejammt werden kann. (zum Ende gehts mehr und mehr richtung Hardrock + Metal, da ist Troy Stetina auch musikalisch zu hause).
Ein Lehrbuch mit ähnlichem Konzept sucht man auf dem deutschen Büchermarkt meiner Kenntnis nach vergebens. Auch sein Musiktheorie-Buch "Fretboard Mastery" ist für Fortgeschrittene Schüler voll zu empfehlen (Harmonie-Lehre gekoppelt mit Gehörübungen speziell für die Gitarre beschrieben).
Dann kam die "never-ending" Diskussion um
E-Gitarre lernen nach Noten in unserer Musikschule auf. Vorallem talentierte Schüler die vielleicht mal später ein Musikstudium anstreben kommen einfach nicht um Noten herum. Meine Erfahrung hierbei: Hat sich ein Schüler fürs diesen Weg entschieden, gibts dann nur eine Konsequenz - weg mit TABs! Also 95% aller Lehrbücher, Gitarren-Mags usw. scheiden als Unterrichtswerke aus. Auf deutsch kenn' ich nur "Schule der Rockgitarre" von Andreas Scheinhütte die konsequent nur mit Noten arbeitet und in das Lagenspiel auf der E-Gitarre einführt.
Daneben benutze ich auch vielfach Workshops aus dem englischen "Total Guitar" - Magazin was modern aufgemacht gute Lern-häppchen für den Unterricht liefert (im gegensatz zu solch' altbackenen deutschen Blättern wie "Gitarre & Bass" - Gääääääähn - und noch 'nen 12-Takt-Blues in E )
Neuster - und damit sicher schon 4. oder 5. - Unterrichtsansatz ist der Einsatz von
Rocksmith im Gitarrenunterricht. Mittels des Rocksmith2Tab-Konverters kann ich alle Songs 100%-genau als TAB/Noten ausdrucken und kombiniere somit Notenlesen mit den spielerischen Elementen des Guitar-Games. Bei einigen Schüler hat Rocksmith eine unglaubliche Motivation zum üben. Auch Apps wie Songs2See, EarmasterPro, GuitarPro (vorallem der Geschwindigkeits-Trainer wird regelmässig eingesetzt) und Slow-Down-Apps (z.Bsp. AnyTune) kommen im Unterricht zur Anwendung.
. . . Aber das "Big Picture" wird komplexer und komplexer. Wie geht ihr damit um? Was wählt ihr aus? Geht ihr immer von den Wünschen des Schülers aus? Hat dieser überhaupt den überblick? Auch meine "blutigen" Anfänger wünschen sich vornehmlich Songs von "Avenged Sevenfold" o.ä. - naja als Fussball-knirpse wollten wir auch immer nur den Fallrückzieher hinkriegen!
Also Leute - schmeisst Eure Perlen vor die Säue
P.S. Vielen Dank für den Tipp mit dem "Flunks"-Buch. Werde ich mir mal näher anschauen. Muss dann allerdings sowieso alles ins norwegische übersetzen (hier gibt's nämlich noch weniger als nix auf dem heimischen Musik/Noten-Markt)
Heia Norge!