Der (E-)Gitarrenlehrer Thread

  • Ersteller IcyMcToe
  • Erstellt am
Hallo
Ich hatte zu Beginn meiner Lehrer Aktivität einen mehr oder weniger starren Unterrichtsplan, gerade für die ersten paar Monate / Lektionen. Mittlerweile hab ich den über Bord geworfen und bereite nur noch die allerersten zwei bis drei Lektionen fix vor.

Jeder Schüler ist komplett anders, lernt anders, hat andere Interessen und andere musikalischen Vorlieben. Auch wenn es für mich als Lehrer ein Mehraufwand ist: Ich bereite sämtliche Lektionen individuell vor. Weiter oben habe ich ein Lehrmittel für "E-Gitarre für Kinder" empfohlen, das ich selber auch verwende. Hier kopiere ich die aus meiner Sicht geeigneten Lektionen für die jeweiligen Kinder heraus. Ich gehe das Buch nicht von Anfang bis Ende durch.

Mittlerweile habe ich die ganze Bandbreite an Schülern. Alter 10 Jahre bis 30 Jahre. Akustische Gitarre, E-Gitarre. Vorlieben Fingerstyle, Lagerfeuerbegleitung, Rockriffs, Funk... alles dabei. Wie könnte ich mir da erlauben, für jedes einzelne Individuum dasselbe Lehrmittel ab Seite 1 bis Seite schlag-mich-tot durchzuackern?
 
Mittlerweile habe ich die ganze Bandbreite an Schülern. Alter 10 Jahre bis 30 Jahre. Akustische Gitarre, E-Gitarre. Vorlieben Fingerstyle, Lagerfeuerbegleitung, Rockriffs, Funk... alles dabei. Wie könnte ich mir da erlauben, für jedes einzelne Individuum dasselbe Lehrmittel ab Seite 1 bis Seite schlag-mich-tot durchzuackern?


Ja genau, so gehts mir auch. Jeder Schüler befindet sich auf seinem eigenen Weg mit der Gitarre und als Lehrer mach' ich Vorschläge in welche verschiedene Richtungen es gehen könnte. Die Entscheidung aber welche Weggabelung genommen wird, entscheidet der Schüler. So die Theorie . . .
In der Praxis siehts aber leider so aus, dass (auch hier im fernen Norwegen) jeder Lehrer mit einer vollen Stelle etwa 54 Schüler in der Woche unterrichtet (jeder 22,5 min). Da ist's leider mengenmässig kaum möglich jedem Schüler einen individuellen Lehrplan zuzuschneidern. Für jeden Schüler gibts ca. 7 min Vorbereitungszeit für diese 1-zu-1 Unterrichtsstunde á 22,5 min. Soviel zu den Arbeitsbedingungen eines Vollzeit-Gitarrenlehrers :igitt:

Was mich interessiert - liebe Stromgitarren-Kollegen - ist, wie ihr ganz praktisch mit der immer grösser werdenden Flut an guten Lehrbüchern, YouTube-Videos, Workshops aus Guitar-Mags usw. fertig werdet, bzw wie ihr neue Unterichts-Ideen in euer "Big Picture" des Lehrens der Gitarre integriert?
Damit's etwas konkreter wird, beschreib' ich mal meinen bisherigen Lehrplan zur E-Gitarre und die verschiedenen Wandlungen.
Als ich vor 6 Jahren mit dem Job als hauptberuflicher Gitarrenlehrer begann hab' ich die deutschen Lehrbücher für E-Gitarre favorisiert:
- Peter Fischer: Rock Guitar Secrets / Survival Guitar / Masters of Rock Guitar I + II
- Volkar Kramarz: E-Gitarre / The Tremendous Electric Guitar
Je mehr ich mich aber ins Thema vertiefte, um so klarer wurde, das der deutsche Lehrbuch-Wald für E-Gitarre doch sehr dürftig ist und für einen fundierten Unterricht an einer Musikschule m.M. nicht ausreicht. Vorallem die Fülle an nicht sehr motivierenden Technik-übungen und die vom Lehrbuch-Author selbstkomponierten Lick-Sammlungen im Stile von XYZ nervten die Schüler doch zunehmend. Dazu erwies sich der Aufbau und das Fortschreiten durch die Schwierigkeitsstufen häufig nicht als sehr praktikabel.
Dann entdeckte ich die Bücher + DVD's von Troy Stetina die ich sehr empfehlen kann. Allen voran "Total Rock Guitar" was ich als Standard-Werk im E-Gitarren-Unterricht verwende. In 22 Lektionen (mit guter Abstufung von leicht bis schwer) wird alles Wichtige zum Thema "Rock-Guitar" verhandelt. Nach einigen Technik-übungen pro Kapitel gibts dann ein Stück in einem anderen Rock-Style das zu einem guten Play-Back (auf CD) mit gejammt werden kann. (zum Ende gehts mehr und mehr richtung Hardrock + Metal, da ist Troy Stetina auch musikalisch zu hause).
Ein Lehrbuch mit ähnlichem Konzept sucht man auf dem deutschen Büchermarkt meiner Kenntnis nach vergebens. Auch sein Musiktheorie-Buch "Fretboard Mastery" ist für Fortgeschrittene Schüler voll zu empfehlen (Harmonie-Lehre gekoppelt mit Gehörübungen speziell für die Gitarre beschrieben).
Dann kam die "never-ending" Diskussion um E-Gitarre lernen nach Noten in unserer Musikschule auf. Vorallem talentierte Schüler die vielleicht mal später ein Musikstudium anstreben kommen einfach nicht um Noten herum. Meine Erfahrung hierbei: Hat sich ein Schüler fürs diesen Weg entschieden, gibts dann nur eine Konsequenz - weg mit TABs! Also 95% aller Lehrbücher, Gitarren-Mags usw. scheiden als Unterrichtswerke aus. Auf deutsch kenn' ich nur "Schule der Rockgitarre" von Andreas Scheinhütte die konsequent nur mit Noten arbeitet und in das Lagenspiel auf der E-Gitarre einführt.
Daneben benutze ich auch vielfach Workshops aus dem englischen "Total Guitar" - Magazin was modern aufgemacht gute Lern-häppchen für den Unterricht liefert (im gegensatz zu solch' altbackenen deutschen Blättern wie "Gitarre & Bass" - Gääääääähn - und noch 'nen 12-Takt-Blues in E )
Neuster - und damit sicher schon 4. oder 5. - Unterrichtsansatz ist der Einsatz von Rocksmith im Gitarrenunterricht. Mittels des Rocksmith2Tab-Konverters kann ich alle Songs 100%-genau als TAB/Noten ausdrucken und kombiniere somit Notenlesen mit den spielerischen Elementen des Guitar-Games. Bei einigen Schüler hat Rocksmith eine unglaubliche Motivation zum üben. Auch Apps wie Songs2See, EarmasterPro, GuitarPro (vorallem der Geschwindigkeits-Trainer wird regelmässig eingesetzt) und Slow-Down-Apps (z.Bsp. AnyTune) kommen im Unterricht zur Anwendung.
. . . Aber das "Big Picture" wird komplexer und komplexer. Wie geht ihr damit um? Was wählt ihr aus? Geht ihr immer von den Wünschen des Schülers aus? Hat dieser überhaupt den überblick? Auch meine "blutigen" Anfänger wünschen sich vornehmlich Songs von "Avenged Sevenfold" o.ä. - naja als Fussball-knirpse wollten wir auch immer nur den Fallrückzieher hinkriegen!

Also Leute - schmeisst Eure Perlen vor die Säue

P.S. Vielen Dank für den Tipp mit dem "Flunks"-Buch. Werde ich mir mal näher anschauen. Muss dann allerdings sowieso alles ins norwegische übersetzen (hier gibt's nämlich noch weniger als nix auf dem heimischen Musik/Noten-Markt)

Heia Norge!
 
Toller Thread, leider nicht so sexy wie die unzähligen "Wie-schnell-könnt-ihr-Griffbrett-surfen?" Threads... daher wohl auch keine grosse Resonanz.

Was mich interessiert - liebe Stromgitarren-Kollegen - ist, wie ihr ganz praktisch mit der immer grösser werdenden Flut an guten Lehrbüchern, YouTube-Videos, Workshops aus Guitar-Mags usw. fertig werdet, bzw wie ihr neue Unterichts-Ideen in euer "Big Picture" des Lehrens der Gitarre integriert?
Ich bastle mir meine eigenen Unterrichtsblätter zusammen, jeweils auf den einzelnen Schüler abgestimmt. Das ist zwar einiges mehr Arbeit als wenn ich alles aus dem Internet kopieren würde, doch solche Lehrer gibts ja bereits zur Genüge. Vieles von 'meinem' Material kann ich in der Zwischenzeit wiederverwenden.
In Sachen Harmonielehre und Rhythmuslehre habe ich mir ganz einfache Unterlagen selber erstellt (Word-Dokumente).

Natürlich verweigere ich mich nicht der Flut von guten Informationen, die da im Netz rumschwirren. Wenn mir persönlich etwas passt, dann übernehme ich das.

Prinzipiell richte ich mich nach den Wünschen meiner Schüler, damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Kleines Beispiel: Die C-Dur Tonleiter rauf und runter üben gefällt niemandem so richtig, auch wenn ich das als wichtig empfinde. Aber die Gesangsmelodie seines Lieblingssongs spielt jeder gerne nach.... entsprechend transponiert haben Lehrer und Schüler beide ihre Ziele erreicht.
 
anytune
  • Gelöscht von C_Lenny
  • Grund: Hier trotz Hinweis per PN falsch gepostet
Hallo Leute,

ich möchte den Thread gern nochmals reaktivieren und direkt meine aktuelle Frage posten, in der Hoffnung es gibt ein paar Anregungen die ich in meinem Unterricht einbauen könnte.

Ich habe 2-3 Schüler die Probleme haben bei Songs mit der Musik zusammen zu spielen. Es geht darum eine Akkordfolge mit Rhythmus zum original Song zu spielen. Die Akkordfolge selber, sowie der Rhythmus, funktionieren und können, wenn ich zähle,umgesetzt werden.

Sobald jedoch das Lied läuft kommen die besagten Schüler nicht "rein". Können den Rhythmus nicht auf das Lied und das Tempo übertragen und finden oft auch die "Eins" nicht. Obwohl ich sehe das Sie mit dem Fuß oder anderen Körperteilen im Takt mitgehen.

Das Problem scheint noch zu sein, dass die "Orientierung" und das finden des Taktes beim Hören des Songs, noch nicht wirklich funktioniert. Vermutlich lassen sie sich von den vielen Instrumenten, Effekten etc. bei den Songs "ablenken".

- Ich habe schon probiert die Schüler verschiedenste Songs einfach mal "auszählen" zu lassen. Also den Song hören und versuchen durchgehend "1-2-3-4" zu zählen um ein solches Gefühl und eine Orientierung aufzubauen.

- Weiterhin habe ich probiert es über das Körperliche zu machen. Ganz einfach einen Song angemacht und wir sind dazu "gegangen". 1+3 gleich rechter Fuß, 2+4 gleich linker Fuß (oder umgekehrt..wichtig ist ja nur, dass es sich nicht während des gehens dreht).


Habt ihr vielleicht weitere Tipps, Übungen etc. parat und kennt ihr das "Problem" ggf. auch?

Über Rückmeldungen würde ich mich freuen.
 
Hoi @IcyMcToe
Ich unterrichte sehr oft in dieser Weise. Ich lasse den Originalsong laufen und die Schüler spielen dazu. Hier ein paar Tipps, wie ich das jeweils mache
  • Song zuerst 'trocken' einüben. Das heisst, die Akkordfolge merken, ohne Zwänge bezüglich Rhythmus und Timing
  • Song verlangsamen. Ich verwende hier die App 'anytune', bei der ich Songs verlangsamen kann, ohne dass sich die Tonhöhe ändert.
  • Mitspielen und Zählen: Ich spiele vor allem zu Beginn immer mit und zähle schwierige Passagen laut. So können sich die Schüler jederzeit an mir orientieren.

Mit anytune hab ich, resp. meine Schüler, die besten Fortschritte erzielt. Meistens liegt das Problem im Echtzeit Erfassen von Akkord- und Taktwechseln. Bei einem Song, der nur noch in reduzierter Geschwindigkeit mitläuft, geht das viel einfacher.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Hallo Startom,

vielen Dank für deine Rückmeldung. Deine Vorgehensweise gefällt mir und spiegelt auch meinen Ansatz wieder.
Ich nutze für das Verlangsamen Logic Pro... meistens mache ich mehrere Versionen mit den man sich nach und nach an das original Tempo ran arbeiten kann.

Zu Beginn wird die Akkordfolge, ohne Rhythmus, eingeübt. Rhythmus wird erst im nächsten Schritt eingebaut.
Das klappt soweit auch ganz gut, wenn ich mitzähle.

Sobald aber die Musik läuft und sie auf sich "allein gestellt" sind, was das erkennen und finden des Takts, vor allem der "Eins", angeht, fällt es den besagten Schülern schwer mitzuspielen und längere Zeit "drin" zu bleiben.
Und das obwohl die Einzelnen Elemente klappen, sobald ich zähle.

Ich müsste halt irgendwas machen, was die Orientierung innerhalb der abgespielten Musik und das Wiedererkennen musikalischer Parameter trainiert... :gruebel:
 
Hast du es schon mal mit anderen rhythmischen Uebungen (ohne Gitarre) versucht?

Bei mir dürfen (müssen?) die Kinder immer wieder mal zu Songs mitklatschen und dabei unterschiedliche Zählzeiten betonen.
Ab und zu mach ich mit ihnen auch die typischen Drum-Rhythmus-Uebungen wie den Paradiddle, die Mühle, Flam Tap usw. Solche Uebungen machen wir jeweils, in dem wir mit den Handflächen auf die Knie schlagen. Als Hobbydrummer sind mir solche Rhythmusübungen sehr wichtig und den Kindern machen sie Spass.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Das Problem scheint noch zu sein, dass die "Orientierung" und das finden des Taktes beim Hören des Songs, noch nicht wirklich funktioniert. Vermutlich lassen sie sich von den vielen Instrumenten, Effekten etc. bei den Songs "ablenken".

Das mit der Ablenkung leuchtet mir ein, weil es bei mir früher genauso war. Es ist einfach zu komplex - und man hört mehr auf den song statt sich auf sich selbst zu konzentrieren.
Eine Möglichkeit ist, dass die Schüler den song so oft hören, dass sie das nicht mehr ablenkt, weil sie den song dann einfach drin haben.
Die Möglichkeit mit dem langsam ablaufen lassen finde ich auch gut.
Man könnte auch - wenn man die technischen Möglichkeiten hat - den song zunächst auf ein paar Instrumente reduzieren und wenn das klappt, mehr Instrumente reinnehmen.

Ein einfacherer Einstieg kann auch dadurch passieren, dass man eben nicht von Anfang an mitzählt (zwar den Takt mitwippt etc.), aber erst ab dem Einsatz eines markanten Instrumentes, das vorher zu hören ist, mitzählt und dann einsteigt. Beispielsweise: Achte auf den Einstieg vom Bass, der spielt 2 Takte und danach steigst Du ein ...

Hilfreich finde ich die Frage, ob bzw. ab wann die Schüler selbst merken, dass sie den "Faden" verlieren ... Das hilft ihnen, in sich schon Anzeichen des Rausfallens zu bemerken, bevor sie dem verfallen und dann gegensteuern können. Meiner Erfahrung nach ist dabei ein wichtiger Punkt, dass das nicht selten dann geschieht, wenn sie eigentlich drin sind, sie anzufangen, es zu genießen und in die Musik zu fallen (und eigentlich ist es ja das, worauf es hinauslaufen soll), dass sie aber, indem sie das machen, ihre Konzentration auf das eigene Instrument nachläßt und dann die Verspieler einsetzen.

Wir hatten ein Schulmusikprojekt, wo zunächst der song in Einzelgruppen geübt wurde und jede Einzelgruppe war in ihrem Part eigentlich ganz fit. Bei den ersten Zusammenspielen klappte aber gar nix mehr - bis die Situation als solche gewohnt war.
Ich denke, man unterschätzt als gestandener Musiker diese Hürde und ist versucht, wieder auf die Stufe des Einzeleinübens zurückzukommen, weil man denkt, dass dort der Hase im Pfeffer liegt. Die Einzelgruppen konnten aber ihre parts, weshalb ich denke, dass es eher an der ungewohnten Situation und der Komplexität liegt und daran, dass viele Schüler überfordert sind in ihrer Konzentration - sie achten einfach auf viel zu viele Dinge gleichzeitig.

In gewisser Weise muss man da durch - es hilft aber, bei diesem Einstieg den Ball zu Anfang flach zu halten (wie ja bei sonstigen Übungsstunden auch): weniger Instrumente, geringeres Tempo, Haltepunkte für den eigenen Einsatz und die Pausen zu finden und bei sich zu bleiben.

Herzliche Grüße

x-Riff
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Ein toller toller Thread, leider ohne Resonanz. Vielleicht, weil es nicht um Blues geht? ;)

Mich interessiert auch die Seite der Schüler. Was gefällt euch an euren Lehrern, wo sind die Kritikpunkte? E

Auch die Lehrer dürfen fleissig weiterposten aus ihrem Rucksack an Erfahrungen. Ich habe immer wieder mal Schüler, bei denen ich das Gefühl habe, nicht richtig zu ihnen 'vorzudringen'. Da denke ich, meine Art, meine Uebungen, meine Methodik kommen nicht zum Ziel. Nicht jeder Deckel passt auf jeden Topf. Da ist es gut, Alternativen zu haben.
 
Man könnte auch - wenn man die technischen Möglichkeiten hat - den song zunächst auf ein paar Instrumente reduzieren und wenn das klappt, mehr Instrumente reinnehmen.

Ich nutze - als Schüler - gerne Anytune dafür. Es kann Tempo, Tonhöhe und per "EQ-Presets" recht gut auf die E-Gitarrenspur reduzieren. Gerade für Raushören echt gut - aber auch um mitzuspielen ohne zu viel Song zu hören.

Gruß
Martin
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben