Beatler90
Registrierter Benutzer
Guten Abend liebe Boardgemeinde!
Was kommt dabei heraus, wenn man ein Musikerforum eine Gitarre bauen lässt?
Oder besser gesagt, was kommt dabei heraus, wenn ein Gitarrenbauer einem so großen Board die Möglichkeit gibt, nach der Vorgabe einer groben Richtung, eine eigene ''Boardgitarre'' zu designen? Diese Frage stellte sich User und Gitarrenbauer Sven aka Sveenie c. in diesem Thread, der vielen höchstwahrscheinlich bekannt ist: https://www.musiker-board.de/thread...r-das-musiker-board-custom-experiment.594395/
(Das Bild stammt nicht von mir, aber da es mir so gut gefällt, war ich so frei es Sven aus seinem Thread zu klauen)
Unsere Vorgaben waren: Da gibt es ein Stück altes Fichtenholz - was soll damit passieren? Stimmt mal ab! Und genau so hat sich der Thread aufgebaut - angefangen bei der Form über das Finish, die Pickups, Hardware, den Hals...eben alles was so an einer Gitarre zu machen ist. Sven hat uns jeweils eine Auswahl an Möglichkeiten gegeben und die Mehrheit hat dann entschieden, wie es mit dem Bau weiter gehen soll. Es wurde (sehr zu meiner Freude) im Endeffekt eine wunderschöne Tele, die, so viel darf ich an dieser Stelle schon einmal verraten, mit zu den besten Gitarren gehört, die ich je spielen durfte.
Doch was für eine Gitarre wollte das Board nun haben?
Hier mal zu den Spezifikationen, die ich von Svens Beitrag im entsprechenden Thread kopiert habe:
Typ: SCG Telecaster - Edition "Musiker-Board Custom" (Einzelstück)
Korpus: Zweiteiliger Fichtenholz Body gebeizt in Honeybrown
Hals: Einteiliger Ahornhals mit 2-wege dual action Halsstab
Griffbrett: Ahorn mit einer Trennschicht aus Nussbaumfurnier
Mensur: 648mm / 25,5" (Fendermensur)
Bünde: 22 Jumbobünde (extrahart)
Pickups: Tonerider Vintage P90 Set
Brücke: Wilkinson "Aschenbecher" mit Messingreitern
Tuner: Wilkinson Deluxe Vintage
Sattel: Knochensattel
Inlays & Logo: Perlmutt
Elektronik: Standard Schaltung mit 3-wege Schalter, 1x Volume, 1x Tone
Gewicht: 3,8 Kg
Finish: geölt
So wollte es das Board also haben: Eine rustikale Nadelholz Tele mit P-90s, minimalistisch, einfach, gut.
Was aber dann tatsächlich dabei entstanden ist, werde ich euch in den folgenden Abschnitten einmal näher beschreiben:
Die Verarbeitung:
Man merkt schon beim ersten Aufnehmen der Gitarre, dass Sven das definitiv nicht zum ersten Mal gemacht hat. Ich hatte schon Selbstbauten in der Hand, bei denen ich direkt bedenken hatte, ob sie den ersten Akkord überleben, hier war das überhaupt nicht der Fall. Dieses Instrument ist insgesamt einfach nur total wertig, schon der durchdachte Übergang zur Kopfplatte zeigt, dass sich hier jemand viele Gedanken darum gemacht hat, wie man das (zweifellos grandiose) Werk von Leo Fender noch einmal verbessern kann. Das geht weiter am Hals-Korpus Übergang, der wirklich einen komfortablen Zugriff auf die oberen Bünde ermöglicht, ohne die ursprüngliche Teleform dabei allzu sehr zu verändern.
Das Ölfinish am Korpus ist makellos ausgeführt, da findet man keine noch so kleine Nachlässigkeit, außer die, die Mutter Natur dem Holz beschert hat, aber die gehören da hin und sind auch gut so! Auch der Ahornhals ist absolut sauber geölt, wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich auf eine hauchdünne Schicht Nitrolack getippt, aber hier ist wirklich nur Öl drauf, das einen das Holz trotzdem noch spüren lässt.
Wirklich umgehauen hat mich aber das Griffbrett. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Ahorngriffbrett ausschließlich zu ölen, aber es funktioniert. Das ist nicht rau oder klebrig, das ist einfach das reine, perfekt glatte Holzgefühl. Die Dots mit der kleinen schwarzen Umrandung sind sehr sauber eingelegt, da steht nichts über und auch die Jumbo Bünde sitzen perfekt, da spürt man keine überstehenden Kanten. Das SCG Logo sitzt natürlich auch perfekt, ebenso wie das Musiker Board Logo das die Gitarre nochmals in ihrer Einzigartigkeit auszeichnet. Dazu passend befindet sich unterhalb des Griffbretts nochmal eine dünne Trennschicht Nussbaumfurnier, was der Gitarre wirklich ausgezeichnet steht - das ist zusammen mit der Umrandung der Inlays eine weiteres kleines Detail, das man erst entdeckt, wenn man die Gitarre, die ja auf den ersten Blick doch recht minimalistisch erscheint, persönlich in Augenschein nimmt.
Die Verschraubung des Halses ist ebenfalls sehr clever gelöst, ich kann es als handwerklich beschränkt begabter Mensch leider nicht so gut erklären wie Sven, aber die Schrauben sind hier völlig ohne Widerstand zu drehen, da frisst sich nichts schief ins Holz und bombenfest ist es natürlich trotzdem.
Intonation und Saitenlage sind selbstredend ebenfalls perfekt eingestellt, wenn auch nicht meine Saitenstärke (hier sinds 009er, ich spiele 010er), aber das lässt sich ja problemlos je nach Belieben anpassen.
Der erste Akkord:
Einer der wichtigsten Momente beim Gitarre testen überhaupt: Wenn das nicht passt, kann man die Gitarre eigentlich gleich wieder weglegen.
Was ich hier aber erlebt habe, gehört mit zu den wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine für mich perfekte Gitarre - es war, als würde ich sie schon immer spielen. Das war keine neue Gitarre, das war eine alte Bekannte, die ich schon immer bei mir hatte, mit der ich schon viele Gigs gespielt und Biere getrunken habe - ein verlängerter musikalischer Arm. Um es weniger episch zu formulieren: Das Spielgefühl war für mich einfach perfekt. Der Hals an sich hat, wie von Sven beschrieben, ein schlankes C Profil, dann kommt allerdings noch das Griffbrett, wodurch ein schlankes U entsteht. Man könnte sagen es ist, als hätte man einen 50er Jahre Tele Hals mit fettem U-Profil mal ein paar Wochen bei Weight Watchers angemeldet und das hier ist das Ergebnis. Ich als Vintage-Fan war natürlich direkt begeistert, modernes C kannte ich, mochte ich schon immer, ein moderndes U hatte ich aber so noch nicht - mir liegt das sehr.
Der trockene Sound war das nächste Erlebnis. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass man es hier zwar mit so etwas wie einer Tele zu tun hat, die Specs aber absolut nicht mehr der Ur-Telecaster entsprechen. Trotzdem sprach der erste Akkord für sich: Da hat man eine waschechte Telecaster vor sich. Durch die kleine Aschenbecher Bridge mit den Messing Reitern entsteht der typische Telecaster Twang schon trocken angespielt, man weiß direkt, wo man sich hier befindet. Der Grundsound ist trocken, direktes Attack, langes Sustain, knackig frisch. Der Korpus resoniert hierbei nicht direkt mit, wie man das von einer Strat kennt, das liegt aber erstens an der recht stattlichen Dicke und zweitens auch an der Dichte des Nadelholzes - die 3,8 Kilo sind zwar nicht übermäßig schwer, sprechen aber doch für sich.
Kommen wir nun zum verstärkten Testaufbau - ab an den Amp mit der Tele:
Getestet wurde zunächst an einem Marshall JCM 800 Fullstack. Ja richtig gelesen, ein Fullstack. Svens Schwager war aber so freundlich, uns seinen Probekeller für den Test zur Verfügung zu stellen und uns so ermöglicht die Tele direkt mal an seinem Fullstack zu testen.
Die Einstellung des Amps war bei hartem Anschlag crunchig, also weder lead noch clean.
Erstmal der Bridge P90:
Alle Regler auf und ab die Fahrt. Was einen hier erwartet entspricht vum Grundsound her eigentlich dem, was man von einer Tele in der Bridge Position erwartet, wir bekommen Twang, und zwar ordentlich, ABER in diesem Fall Twang mit ordentlich Substanz dahinter, also mehr Bass, mehr Cremigkeit, ohne dabei glattgebügelt zu klingen. Wenn man nun den (sehr dynamisch reagierenden) Tone Regler etwas zurück nimmt, kommt man in Bereiche, die Menschen wie mich absolut schweben lassen - da wohnt der Clapton Woman Tone. Also der Sound, den Clapton in den 60ern mit seiner Band Cream durch Hits wie 'Sunshine Of Your Love' so berühmt gemacht hat. Allerdings war das keine Tele die der Herr Clapton damals spielte und auch keine P90s, sondern eine Gibson SG Mit PAFs. Was lernen wir daraus? Der Tonerider P90 klingt mit offenen Reglern in dieser Gitarre eindeutig nach Tele, oder nach Country, oder nach Twang, oder auch nach Sweet Home Alabama, nach Stairway To Heaven (sorry, aber das Solo enstand wirklich auf einer Tele!) und mit leicht zugedrehtem Toneregler nach richtig gutem britischen 60er Jahre Blues. Klingt für die Meisten jetzt wahrscheinlich nach Anfangseuphorie, aber Sven und ich waren beide begeistert, wie viele verschiedene Sounds man mit diesem Pickup alleine schon aus dem Marshall zaubern kann. Hier lautet das Zauberwort wieder Anschlagdynamik: Haut man rein, bekommt man ACDC oder Status Quo, zupft man sanfter, begibt man sich in den Blues, streichelt man, sind Pop-Akkordbegleitungen (Anm. d. Verfassers: Popmusik!!!) zu hören.
Das war der Marshall. Als weiteren Testamp hatte Sven seinen Crate FW65 mitgebracht, eine reine Transe mit eingebautem Chorus. Hier war der Eindruck plötzlich ein ganz anderer: Statt meinem geliebten Vintage Zeug ging ich ohne nachzudenken durch den doch recht aggressiven Crunch des Amps direkt in Bereiche über, die ich so eigentlich schon lange nicht mehr betreten hatte, da wird die Tele plötzlich zur Crunch und Gainmachine, die erbarmungslos auch böse Metalriffs präsentiert. Dazu muss noch gesagt werden, dass die Tonerider P90s absolut brummfrei sind. Heißt: Highgain mit Singlecoils hat hier auch nicht mehr Lärm gemacht, als Highgain mit aktiven EMGs, was für mich wirklich eine Überraschung war. Wer also auf der Suche nach guten, brummfreien P90s ist, dem würde ich diese Pickups doch noch einmal ans Herz legen.
So: Meine Damen und Herren, zur Erinnerung, wir haben hier erst einen Pickup besprochen, da warten immer noch zwei weitere Positionen auf uns und wir haben trotzdem schon die gesamte Rockgeschichte abgedeckt!
Deswegen weiter zur Zwischenposition:
Hier arbeiten beide P90s klassischerweise zusammen, da findet man keine abgefahrenen Schaltungen, die kein Mensch braucht.
Für mich stellt die Zwischenposition an 2-Pickup Gitarren eigentlich immer die Hauptposition für cleane Akkordarbeit dar und das kann man auch hier so verbuchen. Die Vorzüge des etwas rotzigeren, twangigeren Bridge Pickups vereinen sich hier mit dem cremigen Bass des Neck Pickups, wodurch man hier auch wieder durch etwas spielen am Volume und Tone Poti einen wunderbaren Rhythm Sound zaubert.
Beide Regler aufgedreht und im Marshall eingestöpselt kommt man dann in einen Bereich der mir besonders gut gefällt: Hier ist Peter Green zu Hause. Need Your Love So Bad habe ich hier instinktiv sofort angespielt, weil es sich einfach so natürlich angefühlt hatte. Mit dieser Pickup Kombination erhält man also einen wunderbaren Greeny Sound, obwohl man, zur Erinnerung, immer noch eine Tele (!) aus Nadelholz (!) mit P90s (!), Schraubhals aus Ahorn (!) und KEINE Paula aus Mahagoni mit verdrehten Magneten auf dem Schoß hat!
Aber wandern wir weiter zum Neck:
Ich bin ja leidenschaftlicher Neck-Pickup Spieler, sowohlt bei Strat, Tele, als auch bei Les Paul, wahrscheinlich aufgrund meiner Bluesaffinität; und so bin ich natürlich auch hier mit der Erwartung rangegangen, eine ordentliche Bluesmachine geliefert zu bekommen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Also direkt ran, Kabel in den Marshall JCM800 (der übrigens doch überraschend vielseitig ist!), Switch auf die Neckposition und den Blues singen lassen.
Ahhhhhhh, da geht die Sonne auf. Richtig dicke, cremige Bluessounds à la BB King können einen hier verzaubern. Das Schöne bei den P90s ist aber, dass man hier auch wenn man mal kräftiger in die Saiten schlägt und etwas mehr Gain fährt, keine matschigen Gefilde betritt, es bleibt alles klar, definiert, und trotzdem fett. Für die Holzfraktion: Das mag natürlich auch daran liegen, dass der Grundsound von Fichte + Ahorn ein ganz anderer als der von Mahagoni + Mahagoni ist!
Am Crate mit dem eingebauten Chorus kommt man dann auch ganz schnell in eine modernere Richtung, Red Hot Chili Peppers lassen grüßen - Under The Bridge ist hier der Sound, der einen direkt anspringt, obwohl es weder - ich wiederhole mich - eine Strat ist, noch ein normaler Singlecoil wie bei Frusciante!
Fährt man den Volume Regler wieder etwas zurück, wirds auch hier glasklar clean - generell muss ich sagen, dass diese Gitarre allein schon durch das Spielen mit Volume und Tone trotz der zunächst unflexibel erscheinenden Pickupkonfiguration erstaunlich viele Sounds liefert, ohne den eigenen Charakter zu verlieren.
Leider muss ich an dieser Stelle aber auch langsam zum Ende meines kleinen Testberichts kommen, bleibt also nur ein Fazit:
Was ich da heute testen durfte, gehört mit zu den besten Gitarren, die ich je in der Hand hatte. Sven hatte mich darum gebeten ihm rückzumelden, mit welcher Referenzklasse er sich denn meiner Meinung nach messen könne und da fiel es mir nicht schwer, direkt die großen Customshops anzuführen - dort bekommt man auch perfekte Gitarren, aber keine die mit so viel Herzblut gebaut wurden und schon gar keine, die ein Normalsterblicher sich komplett nach den eigenen Vorstellungen bauen lassen könnte.
Man merkt, dass er in dem was er tut einfach komplett aufgeht, der Kunde und das Produkt stehen da definitiv im Mittelpunkt, da geht es nicht um Profit, er ist ganz einfach ein ehrlicher Gitarrist, der zufällig diese Gabe besitzt und wirklich gute Gitarren bauen will und kann, weil ihm das am Herzen liegt und genau das bekommt man hier - nicht mehr und auch nicht weniger, aber was sollte man auch mehr wollen?
Was bleibt da noch zu sagen? Ich hatte es bereits im entsprechenden Thread erwähnt - ich bin dieser Gitarre verfallen und ich werde sie definitiv kaufen, sobald ich die Kosten meiner Hochzeit im Juni im Überblick habe und sicher weiß, dass ich danach nicht auf der Straße sitze (ich hoffe meine Frau liest das jetzt nicht...). Fakt ist aber: Zur Not verkaufe ich noch eine Niere, aber dieses wunderbare Stück Holz muss und werde ich haben, so lange ist sie bei Sven aber in den besten Händen und wartet auf mich. Eventuell werden die Pickupkappen und der Switch dann doch noch gegen Plastikteile in creme getauscht, aber das schauen wir uns erstmal an.
In diesem Sinne wünsche ich euch noch einen schönen Abend, einen guten Start in die neue Woche und möchte mich auch noch ganz offiziell bei Sven für das Projekt bedanken - und natürlich auch für die einmalige Chance, diese Gitarre für das Forum zu testen - es war mir eine Ehre!
P.S. Für weitere (deutlich bessere) Fotos und die gesamte Baugeschichte hier nochmals der Verweis an den zugehörigen Bauthread: https://www.musiker-board.de/thread...r-das-musiker-board-custom-experiment.594395/
Was kommt dabei heraus, wenn man ein Musikerforum eine Gitarre bauen lässt?
Oder besser gesagt, was kommt dabei heraus, wenn ein Gitarrenbauer einem so großen Board die Möglichkeit gibt, nach der Vorgabe einer groben Richtung, eine eigene ''Boardgitarre'' zu designen? Diese Frage stellte sich User und Gitarrenbauer Sven aka Sveenie c. in diesem Thread, der vielen höchstwahrscheinlich bekannt ist: https://www.musiker-board.de/thread...r-das-musiker-board-custom-experiment.594395/
(Das Bild stammt nicht von mir, aber da es mir so gut gefällt, war ich so frei es Sven aus seinem Thread zu klauen)
Unsere Vorgaben waren: Da gibt es ein Stück altes Fichtenholz - was soll damit passieren? Stimmt mal ab! Und genau so hat sich der Thread aufgebaut - angefangen bei der Form über das Finish, die Pickups, Hardware, den Hals...eben alles was so an einer Gitarre zu machen ist. Sven hat uns jeweils eine Auswahl an Möglichkeiten gegeben und die Mehrheit hat dann entschieden, wie es mit dem Bau weiter gehen soll. Es wurde (sehr zu meiner Freude) im Endeffekt eine wunderschöne Tele, die, so viel darf ich an dieser Stelle schon einmal verraten, mit zu den besten Gitarren gehört, die ich je spielen durfte.
Doch was für eine Gitarre wollte das Board nun haben?
Hier mal zu den Spezifikationen, die ich von Svens Beitrag im entsprechenden Thread kopiert habe:
Typ: SCG Telecaster - Edition "Musiker-Board Custom" (Einzelstück)
Korpus: Zweiteiliger Fichtenholz Body gebeizt in Honeybrown
Hals: Einteiliger Ahornhals mit 2-wege dual action Halsstab
Griffbrett: Ahorn mit einer Trennschicht aus Nussbaumfurnier
Mensur: 648mm / 25,5" (Fendermensur)
Bünde: 22 Jumbobünde (extrahart)
Pickups: Tonerider Vintage P90 Set
Brücke: Wilkinson "Aschenbecher" mit Messingreitern
Tuner: Wilkinson Deluxe Vintage
Sattel: Knochensattel
Inlays & Logo: Perlmutt
Elektronik: Standard Schaltung mit 3-wege Schalter, 1x Volume, 1x Tone
Gewicht: 3,8 Kg
Finish: geölt
So wollte es das Board also haben: Eine rustikale Nadelholz Tele mit P-90s, minimalistisch, einfach, gut.
Was aber dann tatsächlich dabei entstanden ist, werde ich euch in den folgenden Abschnitten einmal näher beschreiben:
Die Verarbeitung:
Man merkt schon beim ersten Aufnehmen der Gitarre, dass Sven das definitiv nicht zum ersten Mal gemacht hat. Ich hatte schon Selbstbauten in der Hand, bei denen ich direkt bedenken hatte, ob sie den ersten Akkord überleben, hier war das überhaupt nicht der Fall. Dieses Instrument ist insgesamt einfach nur total wertig, schon der durchdachte Übergang zur Kopfplatte zeigt, dass sich hier jemand viele Gedanken darum gemacht hat, wie man das (zweifellos grandiose) Werk von Leo Fender noch einmal verbessern kann. Das geht weiter am Hals-Korpus Übergang, der wirklich einen komfortablen Zugriff auf die oberen Bünde ermöglicht, ohne die ursprüngliche Teleform dabei allzu sehr zu verändern.
Das Ölfinish am Korpus ist makellos ausgeführt, da findet man keine noch so kleine Nachlässigkeit, außer die, die Mutter Natur dem Holz beschert hat, aber die gehören da hin und sind auch gut so! Auch der Ahornhals ist absolut sauber geölt, wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich auf eine hauchdünne Schicht Nitrolack getippt, aber hier ist wirklich nur Öl drauf, das einen das Holz trotzdem noch spüren lässt.
Wirklich umgehauen hat mich aber das Griffbrett. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Ahorngriffbrett ausschließlich zu ölen, aber es funktioniert. Das ist nicht rau oder klebrig, das ist einfach das reine, perfekt glatte Holzgefühl. Die Dots mit der kleinen schwarzen Umrandung sind sehr sauber eingelegt, da steht nichts über und auch die Jumbo Bünde sitzen perfekt, da spürt man keine überstehenden Kanten. Das SCG Logo sitzt natürlich auch perfekt, ebenso wie das Musiker Board Logo das die Gitarre nochmals in ihrer Einzigartigkeit auszeichnet. Dazu passend befindet sich unterhalb des Griffbretts nochmal eine dünne Trennschicht Nussbaumfurnier, was der Gitarre wirklich ausgezeichnet steht - das ist zusammen mit der Umrandung der Inlays eine weiteres kleines Detail, das man erst entdeckt, wenn man die Gitarre, die ja auf den ersten Blick doch recht minimalistisch erscheint, persönlich in Augenschein nimmt.
Die Verschraubung des Halses ist ebenfalls sehr clever gelöst, ich kann es als handwerklich beschränkt begabter Mensch leider nicht so gut erklären wie Sven, aber die Schrauben sind hier völlig ohne Widerstand zu drehen, da frisst sich nichts schief ins Holz und bombenfest ist es natürlich trotzdem.
Intonation und Saitenlage sind selbstredend ebenfalls perfekt eingestellt, wenn auch nicht meine Saitenstärke (hier sinds 009er, ich spiele 010er), aber das lässt sich ja problemlos je nach Belieben anpassen.
Der erste Akkord:
Einer der wichtigsten Momente beim Gitarre testen überhaupt: Wenn das nicht passt, kann man die Gitarre eigentlich gleich wieder weglegen.
Was ich hier aber erlebt habe, gehört mit zu den wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine für mich perfekte Gitarre - es war, als würde ich sie schon immer spielen. Das war keine neue Gitarre, das war eine alte Bekannte, die ich schon immer bei mir hatte, mit der ich schon viele Gigs gespielt und Biere getrunken habe - ein verlängerter musikalischer Arm. Um es weniger episch zu formulieren: Das Spielgefühl war für mich einfach perfekt. Der Hals an sich hat, wie von Sven beschrieben, ein schlankes C Profil, dann kommt allerdings noch das Griffbrett, wodurch ein schlankes U entsteht. Man könnte sagen es ist, als hätte man einen 50er Jahre Tele Hals mit fettem U-Profil mal ein paar Wochen bei Weight Watchers angemeldet und das hier ist das Ergebnis. Ich als Vintage-Fan war natürlich direkt begeistert, modernes C kannte ich, mochte ich schon immer, ein moderndes U hatte ich aber so noch nicht - mir liegt das sehr.
Der trockene Sound war das nächste Erlebnis. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass man es hier zwar mit so etwas wie einer Tele zu tun hat, die Specs aber absolut nicht mehr der Ur-Telecaster entsprechen. Trotzdem sprach der erste Akkord für sich: Da hat man eine waschechte Telecaster vor sich. Durch die kleine Aschenbecher Bridge mit den Messing Reitern entsteht der typische Telecaster Twang schon trocken angespielt, man weiß direkt, wo man sich hier befindet. Der Grundsound ist trocken, direktes Attack, langes Sustain, knackig frisch. Der Korpus resoniert hierbei nicht direkt mit, wie man das von einer Strat kennt, das liegt aber erstens an der recht stattlichen Dicke und zweitens auch an der Dichte des Nadelholzes - die 3,8 Kilo sind zwar nicht übermäßig schwer, sprechen aber doch für sich.
Kommen wir nun zum verstärkten Testaufbau - ab an den Amp mit der Tele:
Getestet wurde zunächst an einem Marshall JCM 800 Fullstack. Ja richtig gelesen, ein Fullstack. Svens Schwager war aber so freundlich, uns seinen Probekeller für den Test zur Verfügung zu stellen und uns so ermöglicht die Tele direkt mal an seinem Fullstack zu testen.
Die Einstellung des Amps war bei hartem Anschlag crunchig, also weder lead noch clean.
Erstmal der Bridge P90:
Alle Regler auf und ab die Fahrt. Was einen hier erwartet entspricht vum Grundsound her eigentlich dem, was man von einer Tele in der Bridge Position erwartet, wir bekommen Twang, und zwar ordentlich, ABER in diesem Fall Twang mit ordentlich Substanz dahinter, also mehr Bass, mehr Cremigkeit, ohne dabei glattgebügelt zu klingen. Wenn man nun den (sehr dynamisch reagierenden) Tone Regler etwas zurück nimmt, kommt man in Bereiche, die Menschen wie mich absolut schweben lassen - da wohnt der Clapton Woman Tone. Also der Sound, den Clapton in den 60ern mit seiner Band Cream durch Hits wie 'Sunshine Of Your Love' so berühmt gemacht hat. Allerdings war das keine Tele die der Herr Clapton damals spielte und auch keine P90s, sondern eine Gibson SG Mit PAFs. Was lernen wir daraus? Der Tonerider P90 klingt mit offenen Reglern in dieser Gitarre eindeutig nach Tele, oder nach Country, oder nach Twang, oder auch nach Sweet Home Alabama, nach Stairway To Heaven (sorry, aber das Solo enstand wirklich auf einer Tele!) und mit leicht zugedrehtem Toneregler nach richtig gutem britischen 60er Jahre Blues. Klingt für die Meisten jetzt wahrscheinlich nach Anfangseuphorie, aber Sven und ich waren beide begeistert, wie viele verschiedene Sounds man mit diesem Pickup alleine schon aus dem Marshall zaubern kann. Hier lautet das Zauberwort wieder Anschlagdynamik: Haut man rein, bekommt man ACDC oder Status Quo, zupft man sanfter, begibt man sich in den Blues, streichelt man, sind Pop-Akkordbegleitungen (Anm. d. Verfassers: Popmusik!!!) zu hören.
Das war der Marshall. Als weiteren Testamp hatte Sven seinen Crate FW65 mitgebracht, eine reine Transe mit eingebautem Chorus. Hier war der Eindruck plötzlich ein ganz anderer: Statt meinem geliebten Vintage Zeug ging ich ohne nachzudenken durch den doch recht aggressiven Crunch des Amps direkt in Bereiche über, die ich so eigentlich schon lange nicht mehr betreten hatte, da wird die Tele plötzlich zur Crunch und Gainmachine, die erbarmungslos auch böse Metalriffs präsentiert. Dazu muss noch gesagt werden, dass die Tonerider P90s absolut brummfrei sind. Heißt: Highgain mit Singlecoils hat hier auch nicht mehr Lärm gemacht, als Highgain mit aktiven EMGs, was für mich wirklich eine Überraschung war. Wer also auf der Suche nach guten, brummfreien P90s ist, dem würde ich diese Pickups doch noch einmal ans Herz legen.
So: Meine Damen und Herren, zur Erinnerung, wir haben hier erst einen Pickup besprochen, da warten immer noch zwei weitere Positionen auf uns und wir haben trotzdem schon die gesamte Rockgeschichte abgedeckt!
Deswegen weiter zur Zwischenposition:
Hier arbeiten beide P90s klassischerweise zusammen, da findet man keine abgefahrenen Schaltungen, die kein Mensch braucht.
Für mich stellt die Zwischenposition an 2-Pickup Gitarren eigentlich immer die Hauptposition für cleane Akkordarbeit dar und das kann man auch hier so verbuchen. Die Vorzüge des etwas rotzigeren, twangigeren Bridge Pickups vereinen sich hier mit dem cremigen Bass des Neck Pickups, wodurch man hier auch wieder durch etwas spielen am Volume und Tone Poti einen wunderbaren Rhythm Sound zaubert.
Beide Regler aufgedreht und im Marshall eingestöpselt kommt man dann in einen Bereich der mir besonders gut gefällt: Hier ist Peter Green zu Hause. Need Your Love So Bad habe ich hier instinktiv sofort angespielt, weil es sich einfach so natürlich angefühlt hatte. Mit dieser Pickup Kombination erhält man also einen wunderbaren Greeny Sound, obwohl man, zur Erinnerung, immer noch eine Tele (!) aus Nadelholz (!) mit P90s (!), Schraubhals aus Ahorn (!) und KEINE Paula aus Mahagoni mit verdrehten Magneten auf dem Schoß hat!
Aber wandern wir weiter zum Neck:
Ich bin ja leidenschaftlicher Neck-Pickup Spieler, sowohlt bei Strat, Tele, als auch bei Les Paul, wahrscheinlich aufgrund meiner Bluesaffinität; und so bin ich natürlich auch hier mit der Erwartung rangegangen, eine ordentliche Bluesmachine geliefert zu bekommen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Also direkt ran, Kabel in den Marshall JCM800 (der übrigens doch überraschend vielseitig ist!), Switch auf die Neckposition und den Blues singen lassen.
Ahhhhhhh, da geht die Sonne auf. Richtig dicke, cremige Bluessounds à la BB King können einen hier verzaubern. Das Schöne bei den P90s ist aber, dass man hier auch wenn man mal kräftiger in die Saiten schlägt und etwas mehr Gain fährt, keine matschigen Gefilde betritt, es bleibt alles klar, definiert, und trotzdem fett. Für die Holzfraktion: Das mag natürlich auch daran liegen, dass der Grundsound von Fichte + Ahorn ein ganz anderer als der von Mahagoni + Mahagoni ist!
Am Crate mit dem eingebauten Chorus kommt man dann auch ganz schnell in eine modernere Richtung, Red Hot Chili Peppers lassen grüßen - Under The Bridge ist hier der Sound, der einen direkt anspringt, obwohl es weder - ich wiederhole mich - eine Strat ist, noch ein normaler Singlecoil wie bei Frusciante!
Fährt man den Volume Regler wieder etwas zurück, wirds auch hier glasklar clean - generell muss ich sagen, dass diese Gitarre allein schon durch das Spielen mit Volume und Tone trotz der zunächst unflexibel erscheinenden Pickupkonfiguration erstaunlich viele Sounds liefert, ohne den eigenen Charakter zu verlieren.
Leider muss ich an dieser Stelle aber auch langsam zum Ende meines kleinen Testberichts kommen, bleibt also nur ein Fazit:
Was ich da heute testen durfte, gehört mit zu den besten Gitarren, die ich je in der Hand hatte. Sven hatte mich darum gebeten ihm rückzumelden, mit welcher Referenzklasse er sich denn meiner Meinung nach messen könne und da fiel es mir nicht schwer, direkt die großen Customshops anzuführen - dort bekommt man auch perfekte Gitarren, aber keine die mit so viel Herzblut gebaut wurden und schon gar keine, die ein Normalsterblicher sich komplett nach den eigenen Vorstellungen bauen lassen könnte.
Man merkt, dass er in dem was er tut einfach komplett aufgeht, der Kunde und das Produkt stehen da definitiv im Mittelpunkt, da geht es nicht um Profit, er ist ganz einfach ein ehrlicher Gitarrist, der zufällig diese Gabe besitzt und wirklich gute Gitarren bauen will und kann, weil ihm das am Herzen liegt und genau das bekommt man hier - nicht mehr und auch nicht weniger, aber was sollte man auch mehr wollen?
Was bleibt da noch zu sagen? Ich hatte es bereits im entsprechenden Thread erwähnt - ich bin dieser Gitarre verfallen und ich werde sie definitiv kaufen, sobald ich die Kosten meiner Hochzeit im Juni im Überblick habe und sicher weiß, dass ich danach nicht auf der Straße sitze (ich hoffe meine Frau liest das jetzt nicht...). Fakt ist aber: Zur Not verkaufe ich noch eine Niere, aber dieses wunderbare Stück Holz muss und werde ich haben, so lange ist sie bei Sven aber in den besten Händen und wartet auf mich. Eventuell werden die Pickupkappen und der Switch dann doch noch gegen Plastikteile in creme getauscht, aber das schauen wir uns erstmal an.
In diesem Sinne wünsche ich euch noch einen schönen Abend, einen guten Start in die neue Woche und möchte mich auch noch ganz offiziell bei Sven für das Projekt bedanken - und natürlich auch für die einmalige Chance, diese Gitarre für das Forum zu testen - es war mir eine Ehre!
P.S. Für weitere (deutlich bessere) Fotos und die gesamte Baugeschichte hier nochmals der Verweis an den zugehörigen Bauthread: https://www.musiker-board.de/thread...r-das-musiker-board-custom-experiment.594395/
- Eigenschaft