Rockin'Daddy
Mod Emeritus
Die neue Harley Benton Custom Line Wizard ist mir mehr zufällig beim alltäglichen Bummel durch den Thomann-Onlineshop ins Auge gefallen, als das ich konkret nach einer weiteren Gitarre gesucht hätte. Vielmehr hatte Thomanns Hausmarke Harley Benton meines Wissens nach seit Jahren kein Fullsize Hollowbody ES-Modell mehr am Start und als Gretsch-Fan brennt einem natürlich zwangsläufig der Dreck unter den Nägeln, wenn ein „Lookalike“ zu diesem Kurs auf dem Bildschirm erscheint.
Afair gab es vor einigen Jahren (2005) eine naturfarbene Fullsize 17 Zöller mit allerhand Bling Bling (aufwendige Fretboard- und Headstock Inlays, viel Binding, Gold Hardware) und NoName-B7 „Bigsby“, die auf den mächtigen Namen „Big 1000“ hörte. Damals eine typische Vertreterin ihrer Zunft mit Ähnlichkeiten zur Epiphone Broadway oder ähnlichen Kandidaten. Mit immerhin 444,- Euro im direkten Fight gegen renommierte Marken wie eben Epiphone, Ibanez und Yamaha etc. auch nicht gerade das Schnäppchen, das man sich von Harley Benton vielleicht erhoffte und erwartete.
Eine Nummer kleiner war dann die „Big 900“, welche als kleinere 16 Zöller mit recht schmalen Zargen, spitzem Cutaway und kleinem Sustainblock unter der eingelassenen Tunomatic Bridge ausgeführt war. Dafür aber im Gretsch typischen „Orange Stain“, mit Humbuckern in Filtertron Optik und der eben schon genannten B7-Kopie. Auch dieses Modell hatte verhältnismäßig aufwendige Inlays und Binding und wirkte zumindest auf den ersten Blick sehr Gretsch alike, was wohl durchaus so beabsichtigt war. Mit einem Preis von damals 398,- Euro war aber auch dieses Schätzchen für eine Thomann Hausmarke nicht eben ein Superschnäppchen.
Dementsprechend habe ich diese Modelle weder jemals in den Händen gehalten, noch habe ich viel darüber gelesen oder sie gar im Proberaum oder auf der Bühne erlebt. Zumal sich meine Erfahrungen mit Harley Benton Gitarren zu dieser Zeit auf zwei T-Style Modelle beschränkten, deren Existenz ich eigentlich bis heute zu Vergessen versuche. Somit hat sich bei mir auch kein akutes GAS eingestellt, wenn beide oben genannten Modelle mich auch optisch zumindest ansprachen.
Jedenfalls scheint diese Custom Line Wizard bereits seit September 2013 im Sortiment zu sein und ist bislang völlig an mir vorbeigegangen.
Hier also erstmal der Direktlink zur Thomann-Seite, damit ihr euch ein direktes Bild mit schönen Hochglanzfotos zur orangen Oma machen könnt:
Machen wir uns nichts vor, das schaut für den lächerlich niedrigen Preis von 249 Euro für eine Fullsize Hollowbody erst mal richtig gut aus und auch die bisherigen Bewertungen lesen sich jetzt nicht, als wäre die Gitarre per se ein Griff ins Klo. Mein Interesse war also geweckt und nach kurzer Rücksprache mit einem Mitarbeiter Thomanns (ja, das Musiker-Board hat Gewicht da draußen... ) wurde mir kurzerhand ein Testexemplar zugeschickt.
Der erste Eindruck:
Nach der üblichen Umverpackung und Massen an Luftpolsterfolie kam dann irgendwann der eigentliche Karton zum Vorschein.
Irritiert hat mich zunächst die Tatsache, daß dieser offensichtlich bereits geöffnet und später wieder per Paketband verschlossen wurde. Hat mich da eine B-Stock erwischt? Im Thomann Shop wurde zu dieser Zeit nämlich eine angeboten...
Aber genau hinschauen hilft und dann erklärt sich auch die Voraböffnung durch die Thomänner.
Und lasst euch nicht durch die Harley Benton 335 Kopie irritieren. Auch die bekam ich zum Test zugeschickt und wird noch von mir reviewt. Aber erst mal konzentrieren wir uns auf die dickbäuchige Dame aus dem Sonnenstudio.
Ein Teppichmesser später schielte mich was Großes, Oranges durch noch mehr Schaum- und Füllstoff an.
Also runter mit dem Präser und die Wizard gleich mal kritisch beäugt.
Aha! Da klemmt ein Inspektionszettel der Thomann Qualitätssicherung zwischen den Saiten am Sattel plus einem Harley Benton Hang Tag inklusive wohl dem Eingangs-und Prüfdatumsstempel durch „Martin“.
Von hier aus also einen schönen Gruß an Martin!
Und ich möchte es gleich vorweg nehmen, der zuständige Mitarbeiter hat soweit gute Arbeit geleistet...
Aber fangen wir einfach mal ganz von vorne an.
Die Specs lassen sich auf der Thomann Homepage finden, dazu möchte ich eigentlich gerne im Einzelnen eingehen.
Wie bereits erwähnt, ist dieses Modell eine vollwertige 17“ Hollowbody. Und zwar ziemlich exakt 17,33 Zoll (etwa 44cm). Der Korpus ist an der tiefsten Stelle ungefähr 4,14 Zoll dick (~10,5 cm). Zudem ist sie tatsächlich vollkommen hohl, hat also keinerlei Sustainblock zwischen der laminierter Fichtendecke und dem ebenfalls laminierten Ahornboden und auch keinen (wie bei Gretsch beispielsweise üblich) Soundpost, der beides akustisch miteinander koppelt. Dafür wurde ein relativ kräftiges H-Bracing unter der Decke verleimt, um dem unvermeidlichen Feedback etwas Einhalt zu gebieten und dem Saitendruck des Palisander-Stegs inklusive Tunomatic Bridge auf der Decke entgegenzuwirken.
Der gesamte Korpus wirkt wohl auch aufgrund der transparent hellorangen (Signalfarben-) Lackierung und des rundum cremefarbenen Bindings (Decke und Boden eingefasst) auf den ersten Blick ziemlich mächtig.
Dabei ist Lackierung und auch das Binding (auch das der F-Holes) tadellos und vorbildlich ausgeführt. Keine rumpeligen Übergänge, keine Schleifspuren oder Einschlüsse etc. Ich kann da jetzt beim besten Willen nichts erkennen, daß mich die Stirn runzeln lässt. Da ist also alles absolut im grünen Bereich.
Hier auch noch mal die Wizard im direkten Vergleich zu ihrer deutlich höherpreisigen Konkurrentin, einer Gretsch 5420 mit zig Modifikationen, komplett überholter Elektronik und Pickups, plus einem hier im Board gewonnenen PLEK-Verfahren bei Thomann.
Die in der Wizard verbaute Goldhardware erscheint mir als funktionelle Standardware, nicht berauschend aber auch nichts, was sofort in die Tonne wandern müsste.
Das Trapez Tailpiece ist schlicht gehalten und erfüllt seinen Zweck dreipunktverschraubt (inklusive hinterem Gurtpin) in der Zarge. Als Gretscher würde ich mir dort natürlich ein schönes Bigsby B-6/B-3 oder ein gutes Pendant (Bitte keines mit Niederdruckrolle!!!) wünschen, denn in der Folgezeit ist so manches Mal meine Hand automatisch zum „Jammern“ in Richtung vermeintlichen Vibratohebel gewandert und wurde enttäuscht. Phantomschmerz mal anders...
Aber natürlich gibt es massig Gitarristen, die mit so einem monströsen Vibratogebilde überhaupt nichts anfangen können oder wollen und lieber auf eine feste Variante vertrauen.
Der Toggleswitch im oberen Bereich des Korpus (leider mit schwarzem und damit gar nicht zum Rest passenden Knob) sitzt auf der ebenfalls cremefarbenen Rhythm/Treble-Plate, lässt sich sauber und satt schalten, ist jedoch etwas schief zur Achse verbaut. Das schränkt die Funktion nicht ein, sieht aber etwas nachlässig aus und Mancher stört sich an solchen Kleinigkeiten.
Und da kommen wir zu den Potis und der Klinkenbuchse, welche in der Zarge verbaut ist. Die Harley Benton verfügt über zwei separate Volume Potis für jeweils einen der Humbucker, einen Mastertonepoti dahinter und am vorderen Horn nochmal einen Mastervolumepoti, um beide Pickups gemeinsam einzubremsen.
Wer Gretsch spielt, findet sich hier sofort zurecht. Auch die Potis laufen allesamt satt, nicht zu leicht und auch nicht zu schwer. Bernsteinfarbene Knobs im Gibson Style runden das Bild ab, auch wenn hell goldfarbene etwas etwas stimmiger wirken würden.
Warum allerdings Klinkenbuchse und Volumepoti des Stegpickups nicht ordentlich verschraubt sind und sich mitdrehen, bzw. fast in den Korpus fallen, erschliesst sich mir nicht. Bei einer Semi- oder Hollowbody kann eine Reparatur solcher Mängel (sollten die Bauteile tatsächlich im Inneren verschwinden) nämlich gerne den unerfahrenen Nutzer völlig aus der Bahn werfen und die Ader auf die Stirn treiben, weil der Zugang zur Elektronik nur sehr beschränkt, um nicht zu sagen, besch....eiden zu erreichen ist. Da hat der Kollege aus der QS wohl einen kleinen, drögen Moment gehabt.
Um gleich bei der Elektronik zu bleiben... Die Verkabelung im Inneren ist leider nicht annähernd so vorbildlich verlegt, wie ich es z.B. von Gretsch oder Epiphone gewohnt bin. Es werden keine Kabelbinder verwendet, also gibt es lange, lose Strippen und Kabelwege ohne Fixierung. Das birgt mechanische Belastungen auf eventuelle Lötpunkte und zudem sieht es durch die F-Holes einfach unschön aus. Mit drei oder vier Bindern ließe sich das Ganze viel eleganter und professioneller verbauen.
Die (laut Thomann Beschreibung AlNiCo-) Humbucker bergen eine Überraschung. Nicht optisch, sondern rein funktionell. Offene Spulen sind zwar Geschmackssache, Ibanez macht das bei ihren äußerst günstigen AF-Modellen aber ebenfalls und vielleicht wären goldene Cover schon wieder zu viel des Guten. Trotzdem stört es in meinen Augen das Gesamtbild und die Optik wirkt damit nicht so richtig „rund“. Da helfen auch die goldenen Polepieces nichts.
Passend zu den cremefarbenen Humbuckerrahmen hätte man die Spulenabdeckung ebenfalls in Creme statt in schwarz ausführen können. Somit wäre das dann weniger „Bling“ und trotzdem einheitlich. Die angedeutete Überraschung erwischte mich beim Durchmessen auf der Suche nach den (zugegeben nicht 100%ig aussagekräftigen) DC-Werten. Während der Hals-PU zwar kräftige aber doch noch durchschnittliche 7,79 kOhm ins Multimeter drückt,
prügelt der Steg-PU mit vollen 17,63 kOhm in Messgerät, die ich wohl eher in einem hochgezüchteten Metal-PU vermuten würde.
Da geht augenblicklich bei mir der Alarm an und ich befürchte, daß mein kleiner zehn Watt 210er Vollröhren Testamp bereits in der Aufwärmphase alle Fünfe von sich streckt.
Echt jetzt? Soll das so sein? Oder macht das Volumepoti bereits voll aufgedreht etwas dicht? Schauen wir mal, das wird sich bei den Aufnahmen zeigen.
Und damit ich meine kleine Rüffelphase korpusseitig ordnungsgemäß beenden kann, muß ich noch auf das Pickguard und die TOM mit Brücke zu sprechen kommen.
Das Pickguard scheint aus einer Art furniertem Sperrholz gemacht zu sein, dessen Flammung durchaus gut zum Rest der Gitarre passt und sich schön einfügt.
Der Mitarbeiter in der herstellenden Fabrik hingegen war aber entweder unmotiviert, übermüdet oder angetrunken (oder von allem etwas). Die Passung und das Shaping sind imho gewöhnungsbedürftig. Die Kanten/die Fase sehen an mancher Stelle aus, als wäre die Säge oder Fräse verrutscht oder schlicht Freihand gemacht. Irgendwie „eierig“, wenn ihr versteht, was ich meine.
Die Fräsungen für die Humbuckerrahmen könnten ebenfalls präziser ausgeführt sein. Unten klemmt es, oben hingegen ist es zu weit...
Klar sieht man das alles nur, wenn man nah dran ist und die Brille aufhat. Aber ich bin ja nah dran und setze mir extra für euch die Brille auf (außerdem sehe ich damit aus wie Buddy Holly).
Die TOM ist eine recht simple Ausführung mit Rappelfeder. Insofern nichts Ungewöhnliches. Passt, funktioniert, macht keine Probleme oder Geräusche. Sie sitzt auf (ungewöhnlich für „asiatische Verhältnisse“) 4mm Gewindebolzen mit Rändelrädern. Die Bolzen sind per Mini-Inbus direkt in in das Holz der Palisanderbrücke geschraubt.
Mmmhhhh, diese Palisanderbrücke und ich waren nicht immer Freunde!
Und nun hole ich mal etwas weiter aus und hole tief Luft...
Nach der Begutachtung (die ich hier nach dieser Anekdote gleich fortführe, kleinen Moment) setzte ich mich erwartungsvoll mit der Wizard auf das Sofa, stimmte die Gitarre kurz durch und schlug zwei, drei Akkorde unplugged an. Ja, wie jetzt? Meine Gretschen sind ja auch allesamt nicht so viel lauter (weil eben ausschließlich für die laute Bühne gebaut plus den Resonanz hemmenden Soundposts unter den Stegfüßen und dünnen 10-46er Seilen) aber hier tat sich ja fast gar nichts. Das erinnerte mich eher an meine damalige Gibson 135er Kopie von Hoyer (sehr schlanke Semisolid mit quasi Null akustischem Ton und wenig Sustain).
Da hat mich fast ein wenig die Lust verlassen und ich hab sie mal für fünf Minuten zur Seite gestellt, Kaffee gekocht und ein Fluppe gedreht.
Zweiter Anlauf: Bei der Suche nach eventuell schnarrenden Bünden oder Dead Spots auf dem gesamten Griffbrett fällt mir auf, daß die TOM ruhig einen Hauch weiter oben sitzen könnte, da die Saiten nicht 100% über die Polepieces führten, bzw. die dünne E-Saite zu nah am Griffbrettrand lag. Also schnell die Saiten minimal gelockert und leicht an der Brücke geruckelt.
Nüscht!
Doller?
Nö!
Die haben die Bridge doch nicht etwa gepinnt? Etwas genauer (die Brille, Jungs! Die Brille! Deswegen!) auf die Kontaktfläche zwischen Brücke und Decke geschielt und da ist etwas seltsames, bröselig Weißes zu sehen.
„Die haben die Brücke verklebt! Diese Voll******* haben die Brücke verklebt! Das kann ja wohl nicht.....“
Denkt euch einfach 10 Minuten übelstes Gezeter mit allerhand Mittelfingern Richtung China.
Nun bin aber selbst ich im Stande, mich wieder einzukriegen und an meiner Wahrnehmung zu zweifeln. So einen Fauxpas traue ich Thomann schlicht nicht zu. Und da ich die Bunddrähte eh mit Haarlineal auf Nivellierung prüfen wollte, kamen die Saiten eben gleich komplett runter.
Und siehe da, mit einem Ruck hatte ich plötzlich den Steg in der Hand.
An der Unterseite der Brücke klebt bombenfest eine ziemlich dicke Lage weißen Schaumstoffs. Allerdings nicht um, wie bei Archtops mit floating Bridge gemeinhin üblich deutlich sichtbar, als Transportsicherung zu dienen und die Decke vor Beschädigungen während der Reise zum Endverbraucher zu schützen, sondern die Brücke im Spielbetrieb am versehentlichen Verrutschen zu hindern. Also als dauerhafte Fixierung.
Diesen Job hat der Schaumstoff auch imposant erledigt. Was er aber zudem mit Bravour geschafft hat, ist die komplette akustische Kopplung zwischen Brücke und Decke zu unterbinden. Und die ist bei Akustikgitarren, Jazzboxen und eigentlich allen traditionellen Instrumenten mit solch einem Aufbau, von der Geige bis zum Kontrabass, dringender von Nöten als alles andere, sonst funktioniert ein Resonanzkörper einfach nicht.
Lange Rede, kurzer Sinn: Mit spitzen Fingernägeln, noch mehr Geduld und 800er Schleifleinen wurde der Schaumstoff samt allen Kleberesten von der Brücke entfernt und die ganze Chose inklusive Saiten wieder montiert.
By the way sei lobenswert erwähnt, daß die Brücke wirklich richtig sauber und vollflächig auf der Decke aufliegt und der Wölbung folgt. Es sind keine unschönen Spalte oder hochstehenden Kanten zu erkennen. Damit können die Saitenschwingungen tipptopp direkt auf den Korpus übertragen werden.
Muß so etwas mal nachgearbeitet (Ersatzsteg oder schlicht mangelnde Passung beim Neuinstrument) werden, kann man beim Gitarrenbauer nämlich richtig Geld für diese Strafarbeit loswerden und für DIY sollte man bereits einiges an Erfahrung mitbringen. Das ist kein Job für den Einstiegsbastler!
Und nun schau mal einer an! Da kommt ja plötzlich ein richtig lauter und holziger Ton aus der Wizard! Der Pegel hat sich gefühlt vervielfacht, da ist ordentlich Dynamik im Ton, das ganze Instrument schwingt spürbar und intensiv vom hinteren Gurtpin bis in den Headstock. Toll!
Akustisch hat sie nun in etwa die gleiche Lautstärke wie meine uralte Epiphone AJ-100 (Steelstring) und taugt als Akustikgitarre damit sogar locker für mikrofonierte Strummings bei Recordings im Studio oder Zuhause. Da kommen meine Gretschen nicht mal annähernd mit und ich komme nicht umhin, meiner 5420 und 6118 dafür einen schiefen und leicht bösen Blick zuzuwerfen. Aber okay, letztendlich zählt ja die Leistung am Amp. Wir sind primär verstärkt bei teils richtig hohen Bühnenlautstärken unterwegs. Unkontrolliertes Gehupe ist da auch nicht zwingend gewünscht. Dieses Drama habe ich schon mit meiner Epiphone Swingster (ebenfalls komplett Hollowbody, massive Decke) hinter mir und es hat je nach Location etwas von „unkalkulierbarem Risiko“.
Das die Gitarre akustisch nun soviel Druck macht, ist sicherlich auch der ungewohnt langen (Fender-) Mensur von 64,8cm zu verdanken. Gretsch baut afaik 62,2 cm und Gibson wie immer 62,8 cm. Diese zwei Zentimeter mehr in Kombination mit dem sehr straffen (laut Digital-Messschieber) 12-54er Saitensatz erzeugen natürlich mächtig Druck auf die Tunomatic-Brücken Konstruktion und damit auch tonal Fülle. Alles über Halbtonbendings hinaus ist damit aber pure Strafe, das versteht sich von selbst, denke ich. Einige Jazzboxen renommierter Hersteller (als Beispiel mal die Tal Farlow oder die Byrdland von Epiphone oder Gibson gehen den Weg der verkürzten Mensur, was ja zum Bleistift bei gestreckten Akkorden durchaus Sinn ergibt. Dafür hat man bei der Wizard zumindest massiv Twäng am Steg, sollte man zumindest meinen...
Die Thomann Homepage spricht übrigens von D'Addario Strings. Ich kann es nicht beurteilen, kenne diese eigentlich nur noch mit den farbigen Ballends und die hat der hier aufgezogene Satz nicht.
Wenn wir aber schon bei den Saiten und der Mensur sind, können wir auch gleich zum Rest der Gitarre kommen. Dem Hals und Headstock samt Details.
Der aus Mahagoni gefertigte Hals ist ebenfalls Hochglanz transparent lackiert und besitzt insgesamt ein sehr angenehm kräftiges Profil.
Kein Flitzefingerhals wie oft bei Ibanez oder Yamaha angetroffen und auch kein mittlerweile standardisiertes (und von mir gemiedenes) Gibson Shape ala „60s Slim Tapper“ oder „late 50s“. Selbst die Epiphonehälse meiner letzten Exemplare kommen mir noch deutlich schlanker vor. Aber ich mag kräftige Hälse. Ich würde bei der Harley Benton auf ein fleischiges C-Profil tippen, ähnlich den 50s Vintage Telecastern, nur eben insgesamt breiter. Das fühlt sich jedenfalls nach richtig Masse in der Hand an und das kann dem Ton nur gut tun.
Der Halsfuß (in dem übrigens der vordere Gurtpin verschraubt ist) beginnt Mitte des 12. Bundes und geht zwischen 14. und 15. Bund in den Korpus über.
Spätestens da muß man also seine Finger ordentlich strecken und/oder es wird in Daumenlage gespielt, wenn man sich da pentatonisch austoben möchte. Das ist aber kein Manko, sondern eher ein charakteristisches Merkmal dieser Bauart. Man hat da also zu kämpfen, dafür ist die Belohnung mit einem gelungenen Lick dann umso schöner.
Des weiteren ist die Halsauflage auf dem Korpus nicht bis zum letzten (22.) Bund ausgeführt, sondern ab dem 18. Bund wieder von der Decke entkoppelt, um eben diese nicht unnötig einzubremsen. Mitgedacht, Freunde!
Das Griffbrett Material ist verhältnismäßig unauffälliges Palisander mit sauber eingelegten „Crown“-Inlays aus Kunststoff. Das wiederum eingefasst in cremefarbenen Binding. All das ohne jeglichen erkennbaren Mangel. Auch hier saubere Lackkanten und keine Patzer.
Der Griffbrettradius scheint mir ein 14“ zu sein, darauf platzieren sich 22 wiederum spiegelblanke Neusilber Bünde ohne Riefen, Grate oder Überstände. Mit dem digitalen Messschieber ermittle ich durchschnittliche 2,4 mm Breite x 1,3 mm Höhe Bunddrahtprofil, was (nach offensichtlich vorgenommener Abrichtung) einem Medium Jumbo Format gleichkommen dürfte. Die Bundenden liegen auf dem Halsbinding auf, die Anker sind also ausgeklinkt.
In den Bundhöhen gibt es auf dem kompletten Griffbrett keine Ausreißer, kein Schnarren oder gar Deadnotes durch differentes Niveau der Bundkronen. Auch hier ist alles mit hoher handwerklicher Präzision umgesetzt worden. Bravo! Ein solches Ergebnis kann man sich von vielen teureren Produkten nur wünschen. Der zuständige Angestellte war jedenfalls bestimmt ein anderer als der, der sich am Pickguard versuchte.
Afair gab es vor einigen Jahren (2005) eine naturfarbene Fullsize 17 Zöller mit allerhand Bling Bling (aufwendige Fretboard- und Headstock Inlays, viel Binding, Gold Hardware) und NoName-B7 „Bigsby“, die auf den mächtigen Namen „Big 1000“ hörte. Damals eine typische Vertreterin ihrer Zunft mit Ähnlichkeiten zur Epiphone Broadway oder ähnlichen Kandidaten. Mit immerhin 444,- Euro im direkten Fight gegen renommierte Marken wie eben Epiphone, Ibanez und Yamaha etc. auch nicht gerade das Schnäppchen, das man sich von Harley Benton vielleicht erhoffte und erwartete.
BIG1000
- Rockin'Daddy
Eine Nummer kleiner war dann die „Big 900“, welche als kleinere 16 Zöller mit recht schmalen Zargen, spitzem Cutaway und kleinem Sustainblock unter der eingelassenen Tunomatic Bridge ausgeführt war. Dafür aber im Gretsch typischen „Orange Stain“, mit Humbuckern in Filtertron Optik und der eben schon genannten B7-Kopie. Auch dieses Modell hatte verhältnismäßig aufwendige Inlays und Binding und wirkte zumindest auf den ersten Blick sehr Gretsch alike, was wohl durchaus so beabsichtigt war. Mit einem Preis von damals 398,- Euro war aber auch dieses Schätzchen für eine Thomann Hausmarke nicht eben ein Superschnäppchen.
BIG900
- Rockin'Daddy
Dementsprechend habe ich diese Modelle weder jemals in den Händen gehalten, noch habe ich viel darüber gelesen oder sie gar im Proberaum oder auf der Bühne erlebt. Zumal sich meine Erfahrungen mit Harley Benton Gitarren zu dieser Zeit auf zwei T-Style Modelle beschränkten, deren Existenz ich eigentlich bis heute zu Vergessen versuche. Somit hat sich bei mir auch kein akutes GAS eingestellt, wenn beide oben genannten Modelle mich auch optisch zumindest ansprachen.
Jedenfalls scheint diese Custom Line Wizard bereits seit September 2013 im Sortiment zu sein und ist bislang völlig an mir vorbeigegangen.
Hier also erstmal der Direktlink zur Thomann-Seite, damit ihr euch ein direktes Bild mit schönen Hochglanzfotos zur orangen Oma machen könnt:
Machen wir uns nichts vor, das schaut für den lächerlich niedrigen Preis von 249 Euro für eine Fullsize Hollowbody erst mal richtig gut aus und auch die bisherigen Bewertungen lesen sich jetzt nicht, als wäre die Gitarre per se ein Griff ins Klo. Mein Interesse war also geweckt und nach kurzer Rücksprache mit einem Mitarbeiter Thomanns (ja, das Musiker-Board hat Gewicht da draußen... ) wurde mir kurzerhand ein Testexemplar zugeschickt.
Der erste Eindruck:
Nach der üblichen Umverpackung und Massen an Luftpolsterfolie kam dann irgendwann der eigentliche Karton zum Vorschein.
002-Umverpackung
- Rockin'Daddy
004-Umverpackung 2
- Rockin'Daddy
Irritiert hat mich zunächst die Tatsache, daß dieser offensichtlich bereits geöffnet und später wieder per Paketband verschlossen wurde. Hat mich da eine B-Stock erwischt? Im Thomann Shop wurde zu dieser Zeit nämlich eine angeboten...
Aber genau hinschauen hilft und dann erklärt sich auch die Voraböffnung durch die Thomänner.
007-Aufkleber QS
- Rockin'Daddy
Und lasst euch nicht durch die Harley Benton 335 Kopie irritieren. Auch die bekam ich zum Test zugeschickt und wird noch von mir reviewt. Aber erst mal konzentrieren wir uns auf die dickbäuchige Dame aus dem Sonnenstudio.
Ein Teppichmesser später schielte mich was Großes, Oranges durch noch mehr Schaum- und Füllstoff an.
009-Beide Gitarren Entpackt
- Rockin'Daddy
Also runter mit dem Präser und die Wizard gleich mal kritisch beäugt.
Aha! Da klemmt ein Inspektionszettel der Thomann Qualitätssicherung zwischen den Saiten am Sattel plus einem Harley Benton Hang Tag inklusive wohl dem Eingangs-und Prüfdatumsstempel durch „Martin“.
Von hier aus also einen schönen Gruß an Martin!
Und ich möchte es gleich vorweg nehmen, der zuständige Mitarbeiter hat soweit gute Arbeit geleistet...
QS-Zettel
- Rockin'Daddy
Hang Tag HB
- Rockin'Daddy
Hang Tag Rückseite
- Rockin'Daddy
- 2
Aber fangen wir einfach mal ganz von vorne an.
Die Specs lassen sich auf der Thomann Homepage finden, dazu möchte ich eigentlich gerne im Einzelnen eingehen.
Wie bereits erwähnt, ist dieses Modell eine vollwertige 17“ Hollowbody. Und zwar ziemlich exakt 17,33 Zoll (etwa 44cm). Der Korpus ist an der tiefsten Stelle ungefähr 4,14 Zoll dick (~10,5 cm). Zudem ist sie tatsächlich vollkommen hohl, hat also keinerlei Sustainblock zwischen der laminierter Fichtendecke und dem ebenfalls laminierten Ahornboden und auch keinen (wie bei Gretsch beispielsweise üblich) Soundpost, der beides akustisch miteinander koppelt. Dafür wurde ein relativ kräftiges H-Bracing unter der Decke verleimt, um dem unvermeidlichen Feedback etwas Einhalt zu gebieten und dem Saitendruck des Palisander-Stegs inklusive Tunomatic Bridge auf der Decke entgegenzuwirken.
Der gesamte Korpus wirkt wohl auch aufgrund der transparent hellorangen (Signalfarben-) Lackierung und des rundum cremefarbenen Bindings (Decke und Boden eingefasst) auf den ersten Blick ziemlich mächtig.
Gitarre Vorne
- Rockin'Daddy
Gitarre Seitlich
- Rockin'Daddy
Gitarre Schräg Oben
- Rockin'Daddy
Boden Flammung1
- Rockin'Daddy
Boden Flammung
- Rockin'Daddy
Dabei ist Lackierung und auch das Binding (auch das der F-Holes) tadellos und vorbildlich ausgeführt. Keine rumpeligen Übergänge, keine Schleifspuren oder Einschlüsse etc. Ich kann da jetzt beim besten Willen nichts erkennen, daß mich die Stirn runzeln lässt. Da ist also alles absolut im grünen Bereich.
F-Hole Binding1
- Rockin'Daddy
F-Hole Binding
- Rockin'Daddy
Hier auch noch mal die Wizard im direkten Vergleich zu ihrer deutlich höherpreisigen Konkurrentin, einer Gretsch 5420 mit zig Modifikationen, komplett überholter Elektronik und Pickups, plus einem hier im Board gewonnenen PLEK-Verfahren bei Thomann.
Direkte Konkurrenz1
- Rockin'Daddy
Die in der Wizard verbaute Goldhardware erscheint mir als funktionelle Standardware, nicht berauschend aber auch nichts, was sofort in die Tonne wandern müsste.
Das Trapez Tailpiece ist schlicht gehalten und erfüllt seinen Zweck dreipunktverschraubt (inklusive hinterem Gurtpin) in der Zarge. Als Gretscher würde ich mir dort natürlich ein schönes Bigsby B-6/B-3 oder ein gutes Pendant (Bitte keines mit Niederdruckrolle!!!) wünschen, denn in der Folgezeit ist so manches Mal meine Hand automatisch zum „Jammern“ in Richtung vermeintlichen Vibratohebel gewandert und wurde enttäuscht. Phantomschmerz mal anders...
Aber natürlich gibt es massig Gitarristen, die mit so einem monströsen Vibratogebilde überhaupt nichts anfangen können oder wollen und lieber auf eine feste Variante vertrauen.
Tailpiece
- Rockin'Daddy
Der Toggleswitch im oberen Bereich des Korpus (leider mit schwarzem und damit gar nicht zum Rest passenden Knob) sitzt auf der ebenfalls cremefarbenen Rhythm/Treble-Plate, lässt sich sauber und satt schalten, ist jedoch etwas schief zur Achse verbaut. Das schränkt die Funktion nicht ein, sieht aber etwas nachlässig aus und Mancher stört sich an solchen Kleinigkeiten.
Position Toggle
- Rockin'Daddy
Und da kommen wir zu den Potis und der Klinkenbuchse, welche in der Zarge verbaut ist. Die Harley Benton verfügt über zwei separate Volume Potis für jeweils einen der Humbucker, einen Mastertonepoti dahinter und am vorderen Horn nochmal einen Mastervolumepoti, um beide Pickups gemeinsam einzubremsen.
Master Volume
- Rockin'Daddy
Klinkenbuchse
- Rockin'Daddy
Wer Gretsch spielt, findet sich hier sofort zurecht. Auch die Potis laufen allesamt satt, nicht zu leicht und auch nicht zu schwer. Bernsteinfarbene Knobs im Gibson Style runden das Bild ab, auch wenn hell goldfarbene etwas etwas stimmiger wirken würden.
Warum allerdings Klinkenbuchse und Volumepoti des Stegpickups nicht ordentlich verschraubt sind und sich mitdrehen, bzw. fast in den Korpus fallen, erschliesst sich mir nicht. Bei einer Semi- oder Hollowbody kann eine Reparatur solcher Mängel (sollten die Bauteile tatsächlich im Inneren verschwinden) nämlich gerne den unerfahrenen Nutzer völlig aus der Bahn werfen und die Ader auf die Stirn treiben, weil der Zugang zur Elektronik nur sehr beschränkt, um nicht zu sagen, besch....eiden zu erreichen ist. Da hat der Kollege aus der QS wohl einen kleinen, drögen Moment gehabt.
Um gleich bei der Elektronik zu bleiben... Die Verkabelung im Inneren ist leider nicht annähernd so vorbildlich verlegt, wie ich es z.B. von Gretsch oder Epiphone gewohnt bin. Es werden keine Kabelbinder verwendet, also gibt es lange, lose Strippen und Kabelwege ohne Fixierung. Das birgt mechanische Belastungen auf eventuelle Lötpunkte und zudem sieht es durch die F-Holes einfach unschön aus. Mit drei oder vier Bindern ließe sich das Ganze viel eleganter und professioneller verbauen.
Die (laut Thomann Beschreibung AlNiCo-) Humbucker bergen eine Überraschung. Nicht optisch, sondern rein funktionell. Offene Spulen sind zwar Geschmackssache, Ibanez macht das bei ihren äußerst günstigen AF-Modellen aber ebenfalls und vielleicht wären goldene Cover schon wieder zu viel des Guten. Trotzdem stört es in meinen Augen das Gesamtbild und die Optik wirkt damit nicht so richtig „rund“. Da helfen auch die goldenen Polepieces nichts.
Hals PU
- Rockin'Daddy
Steg PU Und TOM1
- Rockin'Daddy
Passend zu den cremefarbenen Humbuckerrahmen hätte man die Spulenabdeckung ebenfalls in Creme statt in schwarz ausführen können. Somit wäre das dann weniger „Bling“ und trotzdem einheitlich. Die angedeutete Überraschung erwischte mich beim Durchmessen auf der Suche nach den (zugegeben nicht 100%ig aussagekräftigen) DC-Werten. Während der Hals-PU zwar kräftige aber doch noch durchschnittliche 7,79 kOhm ins Multimeter drückt,
Hals Humbucker DC-Wert
- Rockin'Daddy
prügelt der Steg-PU mit vollen 17,63 kOhm in Messgerät, die ich wohl eher in einem hochgezüchteten Metal-PU vermuten würde.
Steg Humbucker DC-Wert
- Rockin'Daddy
Da geht augenblicklich bei mir der Alarm an und ich befürchte, daß mein kleiner zehn Watt 210er Vollröhren Testamp bereits in der Aufwärmphase alle Fünfe von sich streckt.
Echt jetzt? Soll das so sein? Oder macht das Volumepoti bereits voll aufgedreht etwas dicht? Schauen wir mal, das wird sich bei den Aufnahmen zeigen.
Und damit ich meine kleine Rüffelphase korpusseitig ordnungsgemäß beenden kann, muß ich noch auf das Pickguard und die TOM mit Brücke zu sprechen kommen.
Das Pickguard scheint aus einer Art furniertem Sperrholz gemacht zu sein, dessen Flammung durchaus gut zum Rest der Gitarre passt und sich schön einfügt.
Pickguard Komplett2
- Rockin'Daddy
Pickguard HB Logo-001
- Rockin'Daddy
Der Mitarbeiter in der herstellenden Fabrik hingegen war aber entweder unmotiviert, übermüdet oder angetrunken (oder von allem etwas). Die Passung und das Shaping sind imho gewöhnungsbedürftig. Die Kanten/die Fase sehen an mancher Stelle aus, als wäre die Säge oder Fräse verrutscht oder schlicht Freihand gemacht. Irgendwie „eierig“, wenn ihr versteht, was ich meine.
Pickguard Lange Seite
- Rockin'Daddy
Pickguard Fase1
- Rockin'Daddy
Die Fräsungen für die Humbuckerrahmen könnten ebenfalls präziser ausgeführt sein. Unten klemmt es, oben hingegen ist es zu weit...
Pickguard Steg PU Fräsung1
- Rockin'Daddy
Pickguard Hals PU Fräsung1
- Rockin'Daddy
Klar sieht man das alles nur, wenn man nah dran ist und die Brille aufhat. Aber ich bin ja nah dran und setze mir extra für euch die Brille auf (außerdem sehe ich damit aus wie Buddy Holly).
Die TOM ist eine recht simple Ausführung mit Rappelfeder. Insofern nichts Ungewöhnliches. Passt, funktioniert, macht keine Probleme oder Geräusche. Sie sitzt auf (ungewöhnlich für „asiatische Verhältnisse“) 4mm Gewindebolzen mit Rändelrädern. Die Bolzen sind per Mini-Inbus direkt in in das Holz der Palisanderbrücke geschraubt.
Tunomatic Bridge
- Rockin'Daddy
Mmmhhhh, diese Palisanderbrücke und ich waren nicht immer Freunde!
Und nun hole ich mal etwas weiter aus und hole tief Luft...
Nach der Begutachtung (die ich hier nach dieser Anekdote gleich fortführe, kleinen Moment) setzte ich mich erwartungsvoll mit der Wizard auf das Sofa, stimmte die Gitarre kurz durch und schlug zwei, drei Akkorde unplugged an. Ja, wie jetzt? Meine Gretschen sind ja auch allesamt nicht so viel lauter (weil eben ausschließlich für die laute Bühne gebaut plus den Resonanz hemmenden Soundposts unter den Stegfüßen und dünnen 10-46er Seilen) aber hier tat sich ja fast gar nichts. Das erinnerte mich eher an meine damalige Gibson 135er Kopie von Hoyer (sehr schlanke Semisolid mit quasi Null akustischem Ton und wenig Sustain).
Da hat mich fast ein wenig die Lust verlassen und ich hab sie mal für fünf Minuten zur Seite gestellt, Kaffee gekocht und ein Fluppe gedreht.
Zweiter Anlauf: Bei der Suche nach eventuell schnarrenden Bünden oder Dead Spots auf dem gesamten Griffbrett fällt mir auf, daß die TOM ruhig einen Hauch weiter oben sitzen könnte, da die Saiten nicht 100% über die Polepieces führten, bzw. die dünne E-Saite zu nah am Griffbrettrand lag. Also schnell die Saiten minimal gelockert und leicht an der Brücke geruckelt.
Nüscht!
Doller?
Nö!
Die haben die Bridge doch nicht etwa gepinnt? Etwas genauer (die Brille, Jungs! Die Brille! Deswegen!) auf die Kontaktfläche zwischen Brücke und Decke geschielt und da ist etwas seltsames, bröselig Weißes zu sehen.
„Die haben die Brücke verklebt! Diese Voll******* haben die Brücke verklebt! Das kann ja wohl nicht.....“
Denkt euch einfach 10 Minuten übelstes Gezeter mit allerhand Mittelfingern Richtung China.
Nun bin aber selbst ich im Stande, mich wieder einzukriegen und an meiner Wahrnehmung zu zweifeln. So einen Fauxpas traue ich Thomann schlicht nicht zu. Und da ich die Bunddrähte eh mit Haarlineal auf Nivellierung prüfen wollte, kamen die Saiten eben gleich komplett runter.
Und siehe da, mit einem Ruck hatte ich plötzlich den Steg in der Hand.
An der Unterseite der Brücke klebt bombenfest eine ziemlich dicke Lage weißen Schaumstoffs. Allerdings nicht um, wie bei Archtops mit floating Bridge gemeinhin üblich deutlich sichtbar, als Transportsicherung zu dienen und die Decke vor Beschädigungen während der Reise zum Endverbraucher zu schützen, sondern die Brücke im Spielbetrieb am versehentlichen Verrutschen zu hindern. Also als dauerhafte Fixierung.
Schaumstoff Steg
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Diesen Job hat der Schaumstoff auch imposant erledigt. Was er aber zudem mit Bravour geschafft hat, ist die komplette akustische Kopplung zwischen Brücke und Decke zu unterbinden. Und die ist bei Akustikgitarren, Jazzboxen und eigentlich allen traditionellen Instrumenten mit solch einem Aufbau, von der Geige bis zum Kontrabass, dringender von Nöten als alles andere, sonst funktioniert ein Resonanzkörper einfach nicht.
Lange Rede, kurzer Sinn: Mit spitzen Fingernägeln, noch mehr Geduld und 800er Schleifleinen wurde der Schaumstoff samt allen Kleberesten von der Brücke entfernt und die ganze Chose inklusive Saiten wieder montiert.
By the way sei lobenswert erwähnt, daß die Brücke wirklich richtig sauber und vollflächig auf der Decke aufliegt und der Wölbung folgt. Es sind keine unschönen Spalte oder hochstehenden Kanten zu erkennen. Damit können die Saitenschwingungen tipptopp direkt auf den Korpus übertragen werden.
Auflage Steg
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Auflage Steg1
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Muß so etwas mal nachgearbeitet (Ersatzsteg oder schlicht mangelnde Passung beim Neuinstrument) werden, kann man beim Gitarrenbauer nämlich richtig Geld für diese Strafarbeit loswerden und für DIY sollte man bereits einiges an Erfahrung mitbringen. Das ist kein Job für den Einstiegsbastler!
Und nun schau mal einer an! Da kommt ja plötzlich ein richtig lauter und holziger Ton aus der Wizard! Der Pegel hat sich gefühlt vervielfacht, da ist ordentlich Dynamik im Ton, das ganze Instrument schwingt spürbar und intensiv vom hinteren Gurtpin bis in den Headstock. Toll!
Akustisch hat sie nun in etwa die gleiche Lautstärke wie meine uralte Epiphone AJ-100 (Steelstring) und taugt als Akustikgitarre damit sogar locker für mikrofonierte Strummings bei Recordings im Studio oder Zuhause. Da kommen meine Gretschen nicht mal annähernd mit und ich komme nicht umhin, meiner 5420 und 6118 dafür einen schiefen und leicht bösen Blick zuzuwerfen. Aber okay, letztendlich zählt ja die Leistung am Amp. Wir sind primär verstärkt bei teils richtig hohen Bühnenlautstärken unterwegs. Unkontrolliertes Gehupe ist da auch nicht zwingend gewünscht. Dieses Drama habe ich schon mit meiner Epiphone Swingster (ebenfalls komplett Hollowbody, massive Decke) hinter mir und es hat je nach Location etwas von „unkalkulierbarem Risiko“.
Das die Gitarre akustisch nun soviel Druck macht, ist sicherlich auch der ungewohnt langen (Fender-) Mensur von 64,8cm zu verdanken. Gretsch baut afaik 62,2 cm und Gibson wie immer 62,8 cm. Diese zwei Zentimeter mehr in Kombination mit dem sehr straffen (laut Digital-Messschieber) 12-54er Saitensatz erzeugen natürlich mächtig Druck auf die Tunomatic-Brücken Konstruktion und damit auch tonal Fülle. Alles über Halbtonbendings hinaus ist damit aber pure Strafe, das versteht sich von selbst, denke ich. Einige Jazzboxen renommierter Hersteller (als Beispiel mal die Tal Farlow oder die Byrdland von Epiphone oder Gibson gehen den Weg der verkürzten Mensur, was ja zum Bleistift bei gestreckten Akkorden durchaus Sinn ergibt. Dafür hat man bei der Wizard zumindest massiv Twäng am Steg, sollte man zumindest meinen...
Die Thomann Homepage spricht übrigens von D'Addario Strings. Ich kann es nicht beurteilen, kenne diese eigentlich nur noch mit den farbigen Ballends und die hat der hier aufgezogene Satz nicht.
Wenn wir aber schon bei den Saiten und der Mensur sind, können wir auch gleich zum Rest der Gitarre kommen. Dem Hals und Headstock samt Details.
Der aus Mahagoni gefertigte Hals ist ebenfalls Hochglanz transparent lackiert und besitzt insgesamt ein sehr angenehm kräftiges Profil.
Hals Rückseite
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Hals Rückseite1
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Kein Flitzefingerhals wie oft bei Ibanez oder Yamaha angetroffen und auch kein mittlerweile standardisiertes (und von mir gemiedenes) Gibson Shape ala „60s Slim Tapper“ oder „late 50s“. Selbst die Epiphonehälse meiner letzten Exemplare kommen mir noch deutlich schlanker vor. Aber ich mag kräftige Hälse. Ich würde bei der Harley Benton auf ein fleischiges C-Profil tippen, ähnlich den 50s Vintage Telecastern, nur eben insgesamt breiter. Das fühlt sich jedenfalls nach richtig Masse in der Hand an und das kann dem Ton nur gut tun.
Der Halsfuß (in dem übrigens der vordere Gurtpin verschraubt ist) beginnt Mitte des 12. Bundes und geht zwischen 14. und 15. Bund in den Korpus über.
Halsfuß
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Spätestens da muß man also seine Finger ordentlich strecken und/oder es wird in Daumenlage gespielt, wenn man sich da pentatonisch austoben möchte. Das ist aber kein Manko, sondern eher ein charakteristisches Merkmal dieser Bauart. Man hat da also zu kämpfen, dafür ist die Belohnung mit einem gelungenen Lick dann umso schöner.
Des weiteren ist die Halsauflage auf dem Korpus nicht bis zum letzten (22.) Bund ausgeführt, sondern ab dem 18. Bund wieder von der Decke entkoppelt, um eben diese nicht unnötig einzubremsen. Mitgedacht, Freunde!
Hals Floating
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Das Griffbrett Material ist verhältnismäßig unauffälliges Palisander mit sauber eingelegten „Crown“-Inlays aus Kunststoff. Das wiederum eingefasst in cremefarbenen Binding. All das ohne jeglichen erkennbaren Mangel. Auch hier saubere Lackkanten und keine Patzer.
Griffbrett Komplett
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Crown Inlay
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Der Griffbrettradius scheint mir ein 14“ zu sein, darauf platzieren sich 22 wiederum spiegelblanke Neusilber Bünde ohne Riefen, Grate oder Überstände. Mit dem digitalen Messschieber ermittle ich durchschnittliche 2,4 mm Breite x 1,3 mm Höhe Bunddrahtprofil, was (nach offensichtlich vorgenommener Abrichtung) einem Medium Jumbo Format gleichkommen dürfte. Die Bundenden liegen auf dem Halsbinding auf, die Anker sind also ausgeklinkt.
Bünde Und Binding
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Inlays 1
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In den Bundhöhen gibt es auf dem kompletten Griffbrett keine Ausreißer, kein Schnarren oder gar Deadnotes durch differentes Niveau der Bundkronen. Auch hier ist alles mit hoher handwerklicher Präzision umgesetzt worden. Bravo! Ein solches Ergebnis kann man sich von vielen teureren Produkten nur wünschen. Der zuständige Angestellte war jedenfalls bestimmt ein anderer als der, der sich am Pickguard versuchte.
- Eigenschaft
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