[Gitarre] Vergleich Les Paul Custom: Ost & West

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Les Paul Custom: Ost & West

Diese Überschrift hat nichts mit dem damaligen Konflikt (kalter Krieg) zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt zu tun, nein, hier soll es vielmehr um das friedliche Miteinander zweier Gitarrenbrands einer Mutter gehen.

Angetreten für Team West ist die Gibson Les Paul Custom in Form der R7, hergestellt in den US of A. Die 7 bezieht sich hierbei auf das Baujahr der historischen Vorlage von 1957, deren Reissuemodell die Custom ist. Auf der anderen Seite, stellvertretend für Team Ost haben wir es auch mit einer Reissue zu tun. Dies hört auf den vollständigen Namen Orville by Gibson Les Paul Custom Reissue und stammt aus Japan:



Gibson Les Paul Historie:
Die Gibson Les Paul Custom erblickte erstmals 1954 das Licht der Welt, und stellte die Krönung der Les Paul-Reihe dar. Damals war sie in Ermangelung von Pickupalternativen mit einem P-90 am Steg und einem, extra für sie von Seth Lover entwickelten Alnico am Hals bestückt. Augenfälligstes Merkmal dieses Tonabnehmers waren die rechteckigen Polstücke. Lover hasste es, bestehend Design einfach zu kopieren, er wollte sie schlichtweg besser machen. Ein Erfolg war dieser Pickup allerdings nie. Im Jahre 1957 folgte dann Lovers zweiter Geniestreich, er „erfand“ den Humbucker. Es gab zu diesem Zeitpunkt zwar schon mehrere Patentanmeldung, so dass Lover dieses erst bekommen sollte, wenn er tatsächlich einen solchen Humbucker bauen würde, hat er und Gibson dann auch getan. Standard war die Bestückung mit 3 PAF-Humbuckern, eine Zweiervariante gab es auch, aber die waren in der Minderheit. Auf Grund ihrer ausschließlich schwarzen Lackierung und der goldenen Hardware wurde sie von Volkes Mund „Black Beauty“ oder auch wegen der flachen Bunddrähte „Fretless Wonder“ genannt. 1968 erfolgt dann zusammen mit der Gold Top die Renaissance dieses Gitarrenmodells, das bis heute in unzähliger Vielfalt angeboten wird. Eine Gitarrewelt ohne Les Paul, heutzutage undenkbar.

Wie kam es zu Orville?
Gibson sowie Orville by Gibson besitzen eine Gemeinsamkeit in ihrem Namen, wie kommt das? Greifen wir doch noch mal meinen ersten Satz auf. Ab Mitte der 1970er tauchte aus dem Osten eine weitere Gefahr auf, diese war zum Glück nicht tödlich, aber dennoch bedrohlich für die Weltherrschaftsanspruch der etablierten Größen des Gitarrengeschäfts G & F. Die Rede ist von den sehr detailgetreuen Nachbauten aus Japan. Firmen wie Ibanez, Greco, Burny, Tokai, Fresher und viele mehr waren angetreten, dem Westen zu zeigen, wie man Qualität zu unschlagbaren Preisen produziert, erstgenannte hatte nämlich im besagten Zeitraum stark gelitten (die berüchtigte Norlin-Ära). Beiden Faktoren sind natürlich Garanten für hohe Verkaufszahlen und einer großen Akzeptanz. So blieb es auch nicht nur bei einem Achtungserfolg! Gerade Deutschland war für Ibanez ein wichtiger Markt, wer konnte sich damals auch schon ein US-Original leisten? Da kamen die auf 5 Meter Abstand den zum verwechseln ähnlichen ausschauenden Vorbildern gerade recht.

„Was tun?“ dachte man sich daraufhin bei Gibson. Die Lösung lag nahe: in Japan gab es wie man erfahren musste einige Firmen, die es durchaus verstanden, eine gute und vor allen Dingen konstante Fertigungsqualität abzuliefern und somit viele Gitarrenherzen gewinnen konnten. Eine gängige Möglichkeit ist es, die Fertigung auszulagern (neudeutsch: outsourcing). Daraufhin entschied man sich für die Fertigungsstätten von Terada und Fujigen. Bezüglich der Namensgebung verhielt es sich bei Gibson etwas anders als im Falle Fender. Gibson steht nur dann auf einer Gitarre, wenn sie auch in den USA produziert wurde, demzufolge musste für die Japan-Serie ein eigener Brand gefunden werden. Wie wäre es denn z.B. mit dem Vornamen des Firmengründers Orville Gibson? Man blieb damit quasi in der Familie, gut – wäre das Thema schon mal abgehakt.

Da Gibson nun mal eben Gibson ist, macht man es gleich richtig. So erschienen auf dem Markt sogleich zwei Modellreihen: einmal die etwas günstigere Orville und zum anderen die höherpreisige Orville by Gibson. Erstgenannte setzt komplett auf Hardware aus Japan, letztere sollte mit solcher aus den USA ausgestattet sein; sollte, aber bei meinen beiden konnte ich das nur in geringem Masse feststellen (maximal die Pickups kamen aus den USA). Hergestellt wurden die Orville zwischen 1988 und 1998, die Orville by Gibson hielt nur bis ca. Anfang 1995 durch. Vorgesehen waren sie ausschließlich für den Japanischen Markt, weil dieser nur Gibson-like Gitarren mit der korrekten Kopfplatte kaufen wollte. Als man ab 1998 die Serie zugunsten von Epiphone aufgab, entfachte das in Japan ein Sturm der Entrüstung. Aus diesem Grund wurden auch weiterhin die Epiphone für das Land mit der aufgehenden Sonne als Staatswappen mit Gibson-Kopfplatte versehen.

Eine Einschätzung jener Zeit besagte, dass die Qualität der Orville mit denen der Standard-Gibson und die der Orville by Gibson mit denen des Custom Shop gleichzusetzen war. Ich würde meinen, das sagt einiges über die Fertigungsgüte der Orville-Reihen aus!

Über den Orville by Gibson-Modellen rangierten quasi als „Top of the line“ die Reissues. Sie wurden nur zwischen 1992 und 1995 gebaut. Diese Modelle bestehen den Vergleich mit den Gibson Les Paul Customs am besten.

Worin liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede?
Dies will ich anhand den beiden mir vorliegenden Reissues aufzeigen. Die Gemeinsamkeiten überwiegen bei beiden Gitarren, gemein sind ihnen:
- Vollmahagonikorpus
- Long Tenon Neck
- Mahagonihals
- Ebenholzgriffbrett
- 17 Grad gewinkelte Kopfplatte
- Halsbindingnibs
- Bridgebefestigung via Gewindestiften.

Zwei Unterschiede konnte ich ausmachen und einer davon ist doch recht gravierend. So wird vielerorts beschrieben, dass die Orville by Gibson ebenfalls mit Nitro lackiert wurde. Einen diesbezüglichen Beweis können meine beiden nicht antreten, ich glaube auch nicht, dass es viele davon gab und wenn, dann nur zum Start der Reihe (dies sind allerdings Spekulationen meinerseits; gerne erfahre ich mehr dazu). Der zweite Punkt betrifft das Inlaymaterial des Griffbrettes, beim Original besteht es aus Perlmutt, bei der Japanerin muss schnödes Kunststoff ausreichen. Da baut man schon so ein tolles Instrument und dann spart man sich ein paar Cent für die Inlays! Ein Umstand, den sich viele Japanische Herstellern teilen. Schade!

Klang & Weltanschauung:
Klanglich liegen beide, Gibson wie Orville by Gibson sehr nah beisammen. Ich könnte mir vorstellen, dass man bei einem Blindtest, bestehend aus 5 Gibson und einer Orville nicht sofort bis gar nicht die Orville heraushören würde. Ich für meinen Teil hatte beim Vergleich beider Instrumente das Gefühl, dass die Gibson noch ein Stück weit wuchtiger klingt. Des Weiteren unterscheidet sich das Klangbild beider Gitarren nur in Nuancen, da die Basis weitestgehend identisch ausfällt. Allerdings sind die Streuungen innerhalb einer Serie recht groß und die hervorragende Qualität der Orville tut ihr übriges, um mit der Gibson auf Augenhöhe zu spielen. Zudem ist Holz nicht gleich Holz (die alte Schreinerweisheit eben). Ich kann nichts über die Herkunft des Mahagonis oder des Ebenholzes sagen, aber vielleicht hatte Gibson den Japanischen Herstellern den Weg zu den selben Ressourcen eröffnet, glaube aber eher, dass die Japaner ebenfalls über erstklassige Quellen verfügen. Ich denke, es handelt sich gegenüber den Originalen aus den USA keinesfalls um schlechteres Holz und dies ist auf jeden Fall schon einmal ein gesundes Fundament. Andere Japanische Fabrikate beweisen zudem, dass es sich nicht an nur einer Marke festmachen lässt, da sie ebenfalls aus den weiter oben genannten Herstellungsbetrieben stammten.

Beide lassen die Wärme des Mahagonis erkennen, beide haben diesen Druck nach vorne, dabei treten die Höhen etwas in den Hintergrund. Sie klingen mächtiger als eine Standard.

Es ist schwer, den Sound einer Gitarre zu beschreiben, zu schnell verflüchtigt sich all dies in der Erinnerung. Mein Rat kann an der Stelle nur lauten: Wenn sich Euch die Gelegenheit bietet, eine Orville antesten zu können, tut es. Es wird sich garantiert lohnen und vielleicht habt Ihr dann auch eine Gibson mit am Start, eventuell könnte Ihr dann meine Erfahrungen teilen.

Was ist mit der anderen Orville by Gibson Custom, der Normalen?
Sie entspricht vom Aufbau her mit ihrem Palisandergriffbrett und ihrem Ahorntop eher einer Standard. Ihr Kopfplattenwinkel beträgt auch nur 14 Grad. Vielleicht ist sie so etwas wie eine Standard-Custom. Sucht man jedoch eine wirkliche Alternative zur Gibson Custom, bei der der große Namen Programm ist, so sind die Reissue-Modell der Orville by Gibson eine hervorragende Wahl, wenn man eine findet!

Wenn Euch das hier geschriebene gefallen haben sollte, so möchte ich an dieser Stelle gerne auf meine Orville-Galerie verweisen. Dort gibt es weitere Einzelheiten zu dieser bei uns doch relativ unbekannten Marke zu erfahren.





Erkennt Ihr, welche die Gibson und welche die Orville ist?

 
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Reaktionen: 7 Benutzer
Schöner Einblick in einen Teil der Gitarrenhistorie, danke :).
Die linke auf dem letzten Foto ist die Gibson - das Inlay am ersten Bund ;) hat sie verraten.
 
Korrekt und gut kombiniert! :)

Dank Euch für die Kekse!
 
Das "offene Buch" an der Kopfplattenoberkante scheint mir bei der Gibson auch etwas schwungvoller. 100%ig gleich sind sie mMn nicht. ;)
 
Das Horn an der Gibson ist spitzer, die Hardware matter ...
Wer findet noch was?
 
Oh prima, ein Ratespiel! Macht nur weiter und sucht die Unterschiede... :)

Genau wie bei Gibson variierte die Kopfplattenform auch bei Orville. Hier ein Foto meiner Orville by Gibson Les Paul Custom:

 
Wirklich ein klasse Bericht
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. Weiß denn jemand ob für die Orville afrikanisches Mahagoni benutzt wurde so wie es viele Hersteller heute tun?
 

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