Sehr interessanter Thread, schade dass ich den nicht schon früher gefunden habe.
Ich kann die Ausgangsthese aus eigener/n Erfahrung/Erfahrungen zu 100% bestätigen.
Meine Gitarrenkarriere begann irgendwann vor 10-11 Jahren als 15 jähriger Blink182 Fan. Ich habe die ersten Jahre nichts anderes gespielt, alle Alben hoch und runter. Ich war nach einiger Zeit durch viele Covers halbwegs timingfest und hatte Powerchords perfektioniert. Damit habe ich dann einige Zeit zugebracht und meine Fortschritte wurden immer kleiner. Irgendwann hatte ich dann irgendwie auch keine Lust mehr und habe die Gitarre für ein paar Monate weggelegt.
Durch diverse Festivals und andere Umstände habe ich dann zur härteren Seite gefunden - gitarrentechnisch insbesondere Killswitch Engage und Parkway Drive. Mit meinen Blink182-Skills kam ich hier natürlich nicht weit. Die ersten Experimente mit Droptunings, denn anders hätte ich die Sachen nicht nachspielen können. Intensiveres Auseinandersetzen mit meiner Gitarre, "Trussrod", was ist das? Irgendwie bin ich dann in die Metalcore-Schiene gerutscht, habe da gecovert und auch erstmals eigene Sachen geschrieben. Die ganze Zeit konnte ich aber eigentlich nur das, was ich auch gebraucht habe um Songs nachzuspielen die mir gefallen haben.
Irgendwann kam dann die komplexere Phase mit Between the Buried and me. Obwohl ich nie die Geduld hatte, die Songs wirklich zu lernen, wurde ich doch ein Fan von Sweeping. Nach wochenlangem intensivem Lernen konnte ich das dann auch mal halbwegs. Ohne meinen Musikgeschmack in die Richtung hätte ich mich nicht eine Minute mit der Technik auseinander gesetzt.
Mittlerweile bin ich in der *Core/Djent/Progressive Sparte angelangt. Hierfür brauche ich keine Techniken mehr lernen, da ich über die Jahre recht schnell geworden bin und ein ausgeprägtes Rythmusgefühl habe (spiele auch Schlagzeug). Jetzt bewegt sich das Ganze auf einer etwas anderen Ebene: Ich nehme die Songs "theoretisch" auseinander, schaue mir Songwritingtechniken an, gucke mir Dinge ab die ich in eigenen Songs verwenden kann. Das hat mir schon viel gebracht und ich habe mich von einigen Bands stark beeinflussen lassen.
Ich würde behaupten, in meinem Genre ein überdurchschnittlich guter Gitarrist zu sein. Aber eben nur in meinem Genre, wo ich durch meinen Musikgeschmack hingekommen bin. Ich habe extrem wenig Ahnung von Musiktheorie und würde bei einer klassischen Jamsession in Standardtuning mit erfahrenen Musikern hoffnungslos versagen. Das liegt daran, dass ich nie den Anspruch hatte, ein "guter Gitarrist" zu werden. Ich mache einfach das, was mir Spaß macht. Übersetzt heißt das: Ich spiele und schreibe die Musik, die mir gefällt. Das war's.
Im erweiterten Bekanntenkreis beobachte ich nahezu ausschließlich dasselbe. Die Fähigkeiten an der Gitarre gehen direkt mit dem Musikgeschmack einher. Da ist die Highfield-Festival-Fraktion, die den ganzen Tag Mando Diao und Bloc Party oder die Sporties hört. Obwohl die Leute schon seit vielen Jahren eine oder mehrere Gitarren zuhause stehen haben, gehen die Fähigkeiten gerade so bis zu den Dingen, die man braucht, um die Lieblingssongs nachzuspielen. I.d.R. sind das Powerchords und ein paar (meist schief gespielte) Melodien. Das wird dann aber ausgiebig gefeiert.
Auf der anderen Seite kenne ich dann noch die RHCP Fraktion, die sehr timingfest ist aber immer die gleichen Tonfolgen spielt. Fazit: Ja, der Musikgeschmack beeinflusst bei einem Hobbygitarristen maßgeblich und nach meiner Erfahrung so entscheidend wie nichts anders die Fähigkeiten an der Gitarre.
Mit "gut vs. schlecht" hat das wenig, aber nicht gar nichts zu tun. Ich würde mir sofort zutrauen, sämtliche Songs von den oben genannten Bands (vielleicht mit Ausnahme von RHCP) aufnahmefähig spielen zu können. Einfach deshalb, weil die Spieltechnik in "meinem" Genre sehr viel mehr vom Gitarristen fordert. Geübt habe ich sowas nie. Andersrum sehe ich da nicht die geringste Chance.
Ich stelle aber noch eine Hypothese auf: Das Ganze ist eine Typenfrage. Wenn ich extreme Musik höre, bin ich meist eher in der Lage und willens, mich intensiv mit dieser Musik auseinanderzusetzen. Dadurch entsteht eine ganz andere Motivation am Instrument.
Das sind natürlich nur meine eigenen Erfahrungen. Hier im Board gibt es ganz offensichtlich einige Gegenbeispiele. Ich bezweifle allerdings, dass die repräsentativ sind. Der "ab und zu nachspieler" wird selten in Musiker Foren posten. Zumindest macht das niemand von denen, die ich in besagten Genres kenne.
In dieser Überlegung sind zwei Fehlannahmen. Zum einen haben die meisten mehr als nur ein Vorbild und zum anderen kann mann Rhythmusgitarre nicht mit Leadgitarre vergleichen.
Kann ich überhaupt nicht bestätigen. Erstens sind die meisten Vorbilder im Genre arg verwandt und zweitens ist die Aufteilung in Rythmus- und Leadgitarre in moderner Musik weitestgehend überholt.