Tatsächlich hatte ich bei der Aufnahme das Buch aufgeschlagen vor mir liegen, weil ich es nicht so wirklich auswendig konnte.
Das ist ok, Dein "Problem" ist nicht, dass Du hinsehen musst. Auch Musiker, die vom Blatt spielen schauen auf Noten und nicht aufs Griffbrett. Dein "Problem" ist, dass Du während des Spielens - wie ein Zuhörer - erst mitkriegst, was Du spielst. Du musst das vorher schon wissen, damit Du sicher und bestimmt das Lick ansetzen kannst.
weil ich mich da immer irgendwie wie damals in der Schule vor einen Prüfung fühle.
Das ist ein generelles Manko der Normierung unseres Bildungssystems. Es geht hier um die "Angst vor der Angst" oder um die "Angst, zu versagen" kombiniert (konditioniert) mit der Erfahrung, "runter gemacht" zu werden. Dieser Zustand verursacht Stress in Deinem Gehirn. Wenn Du an einer Stelle ein paar mal fliegst, reagierst Du wie ein
Pawlowscher Hund und Dein Gehrin ist bereits auf Versagen an dieser Stelle konditioniert. Aufnehmen oder vor Publikum spielen stacheln den Perfektionismus "ich darf nicht scheitern" an und steigern Deinen inneren Druck, nicht versagen zu wollen, um Dich nicht bloss zu stellen, um nicht wieder normiert zu werden. Das Gehirn hat aber schon gelernt, die Stelle schaff ich nicht. Deine Neuronen versetzen Dein Gehirn in einen extremen Stress knapp bevor Du überhaupt hinkommst. Unter Stress senkt die Leistungsfähigkeit. Übel. Deine Chancen, da drüber zu kommen stehen schlecht.
Dieser Wahnsinn wird in unserer Leistungsgesellschaft bis zur Blüte perfektioniert. Es ist eine Leistungsschau, auf die kleinsten Fehler hinzuweisen und den Rotstift bei jedem falschen Beistrich kritisch anzusetzen.
Die Befreiung von diesem Wahnsinn ist etwas paradox: Sch**ß drauf!
Ich würde da in zweifacher Hinsicht ansetzen:
1) Herausfinden, welche Stellen Dich extrem stressen und genau diese kurzen Sequenzen loopen und üben. Langsam und dann Tempo steigern.
2) Ändere Deine Einstellung zum Versagen und programmier Dein Denken um: Du nimmst keinen perfekten Take auf, sondern im Gegenteil: Du nimmst Deine Fehler auf! Spiele Deine Fehler mit Lust und Freude und pfeif auf die Perfektion. Geh mal mit der Einstellung ans Recorden: "Ich bleib so sch**ße wie ich bin, nehm den Dreck auf und quäl die anderen im Workshop damit."
Und jetzt ran an den Track, spiel Deine Fehler mit Begeisterung, hör Dir den vergeigten Take dann mit Genuss an und ... Du wirst daraus lernen. Wenn Du die Geduld hast, Dich mit Üben durchzubeißen, dann schaffst Du das am Ende! Wenn Du die Stelle ein paar mal schaffst, ohne daran zu scheitern, lernt Dein Gehirn schnell um und denkt: coole Passage, die ist geil zu spielen und ich bin so gut, dass ich sie schaff!
Schwierige Passagen sind nicht in Stein gemeißelt, nimm Hammer und Meißel und mach was cooles draus!