Noch ein kleines Addendum meinerseits zum ewigen Thema "originalgetreu lernen oder eigene "Version" machen": SRVs Songs sind so gemacht - dies merkt man schnell, wenn man sich mit ihnen spieltechnisch auseinandersetzt - dass fast jeder von ihnen eine kleine technische Tücke und eine besondere Technik enthält, mit der man sich sehr lange auseinandersetzen muss. Bei Cold Shot muss der Shuffle stimmen, bei Pride & Joy die Rakes auf den hohen Saiten im Hauptthema, bei Mary had a little lamb muss des Rhythmus ganz genau sitzen, bei Testify und Rude Mood muss das Tempo natürlich stimmen, und bei Texas Flood musst Du die Bendings und das Vibrato ultra-präzise spielen können. Wenn Du nun diese Riffs und Licks akribisch auseinandernimmst und versuchst, sie möglichst originaltreu nachzuspielen, lernst Du diese Techniken. Diese kannst Du dann später für Deine eigenen Versionen von Songs oder sogar für Eigenkompositionen einsetzen. Stell Dir mal vor, wie glücklich Du z. B. wärst, wenn Du merkst, dass Du gerne einen eigenen Song schreiben würdest und dabei an ein schnelles, Lonnie Mack-inspiriertes Instrumental denkst und Dir sagen kannst: hoppla, ich beherrsche die Techniken, die SRV in Testify verwendete, und ich kann Rude Mood spielen, also ist das Schreiben eines eigenen Songs mithilfe dieses Könnens ein Kinderspiel. Oder Du willst in Deinem eigenen Slow Blues Albert-mäßige Bendings spielen und sagst Dir: ich kann all das verwenden, was ich bei Texas Flood und Tin Pan Alley gelernt habe! Wenn Du Dich hingegen durch jeden SRV-Song "durchwurschtelst" und ihn nur halbwegs lernst, hast Du eben die Spieltechniken auch nur halbwegs gelernt.
In diesem Zusammenhang wird oft gesagt, dass SRV die Songs wie Little Wing oder Leave my girl alone auch auf seine eigene Art gespielt hatte. Ich bin mir aber sicher, dass diese eigene Art zu spielen das Ergebnis von jahrelanger genauer Arbeit war und SRV auch gelernt hatte, indem er die Songs von Jimi und den anderen Heroes genau analysiert hatte.