Wer die heutigen Möglichkeiten - nicht nur der Jugend - anschaut, ob Kommerz oder nicht, unzählige Fernsehsender und Radioprogramme, vom Internet ganz zu schweigen, kann sich vielleicht nicht mehr vorstellen, dass man noch Mitte der Siebziger Probleme hatte, Popmusik überhaupt im Radio anzuhören. Ich war froh, dass ich abends immer einen gewissen Sender empfangen konnte - bei Tag funktionierte das überhaupt nicht.
Aber es gab doch in den 70ern massenweise Popmusik im Radio - ABBA, GrandPrix, deutscher Schlager, der Umbau der Senderwellen zu stilistisch gebundener Musikauswahl...daher kann ich deine Aussage nicht bestätigen:
In der RTL-Chronik werden für Mitte der 70er Bezüge zur Popmusik erwähnt:
http://www.radio-journal.de/luxi/rtlradio-chronik/1975/1975.htm . In der Wikipedia "Rundfunkjahr"-Rubrik sind z.B. erwähnt:
1972: "Sendung Popmuseum ist auf den Frequenzen von Ö3 erstmals zu hören.",
Januar 1974: "Start der Schlagerrallye im WDR.",
1.1.1976: "1. Januar - Die dritte Senderkette des Südwestfunks, SWF3 wird zur Popwelle umgebaut.". Und auch meine persönliche Erinnerung (*1972) sagt mir, dass z.B. im HR durchaus Popmusik lief.
Jugendkulturen gab es auch vor der Rockmusik schon: Die
Swingjugend riskierte unter den Nazis ihr Leben oder wenigstens ihre Freiheit, ist aber in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannt - es war nur eine relativ kleine Gruppe. Deren Themen hören sich aber ähnlich an.
Swing war in der Tat eine amerika- und europaweite Jugendkultur, die sich u.a. in der Musik niederschlug, aber auch in der Mode, im Sozialverhalten und im Protest gegen das Bürgerliche. Diese Tendenzen ab ~1935 wurden allerdings ab 1939 durch den Krieg überdeckt: Vermeintlich patriotische und konservative Werte standen dem Freiheitsgedanken des Jazz und des Swing entgegen. Das galt schon in Amerika (bis Glenn Miller es schaffte, Militärmusik und Swing zu vereinigen), aber natürlich viel mehr noch in Deutschland: Jazz und Swing wurden zwar nur im Rundfunk offiziell verboten, aber auch sonst vielfach faktisch unterdrückt. Insgesamt nahm die Swing-Bewegung aber viele Tendenzen des Rock'nRoll vorweg: enthemmte Tänze, Nonsense-Texte, den Star-Kult, die orgiastische Wirkung von Konzerten, die zertrümmerten Theaterstühle. Wäre der zweite Weltkrieg nicht gewesen, hätte der Rock'nRoll vielleicht schon ~1942 stattgefunden.
Auch die mediale Öffentlichkeit gab es faktisch in den 30ern schon, sobald es Radio und Schallplatten gab. Daher ist es IMHO gerechtfertigt, beim Swing der 1930er Jahre zum ersten Mal von Popmusik zu sprechen. Auch deswegen, weil hier die typische Wechselwirkung von kommerziellem Erfolg und produziertem Sound zum ersten Mal stattfand.
Ich bin der Meinung, daß Musik unter Einfluß aller anderen Medien-und sonstigen Informationen die man so erhält, als eine Art "Konservator" für die Gefühlssituationen mit denen man die Musik in Verbindung bringt wenn man sie hört, eventuell eine Auswirkung auf die Geschichte haben könnte.
Das aber auch nur deshalb, weil die Verbreitung der Informationen kanalisiert über Maßenmedien verbreitet wird.
Musik für sich selbst, ohne die Unterstützung der Medien, erreicht zu wenige Leute und ist somit für sich selbst gesehen relativ wirkungsfrei.
Guter Punkt, das sehe ich auch so. Popmusik und Medien bedingen sich gegenseitig, das Eine kann nicht ohne das Andere. Vor allem
Songtexte stehen ja immer im Spannungsfeld, einerseits individuelle Gefühle in Worte zu fassen, andererseits aber medial zustimmungsfähig zu sein, sodass >1 Mio. Menschen zustimmen können. Das Resultat der Vorbedingungen "glaubhaft authentische Aussage" und "Massenkompatibilität" ist dann halt, dass die Auswahl von Songtext-Themen extrem klein wird ("I love you, yeah, yeah, yeah"
).
Harald