Ziemlich beeindruckend, diese Variax. Ich könnte mir vorstellen, dass sich "Gitarrenmodelling" - ob jetzt direkt in der Gitarre oder vielleicht auch "nachgezogen" in einem externen Gerät bzw. als Bestandteil eines Modelling-Amps - langfristig durchaus weiter verbreiten kann. Paula-, Tele-, oder Strat-Sound sozusagen auf Knopfdruck und immer schön mit der Gitarre, die einem haptisch am besten liegt ... das hat schon was!
Und dass Modelling langfristig allen anderen Techniken (Transistoren und Röhren) ganz schwer das Wasser abgraben (sie vielleicht nicht komplett ersetzen, aber immer mehr in kleine Nischen drücken) wird, steht für mich sowieso außer Frage und ich könnte Dutzende von Gründen dafür anführen. Ich könnte einfach mal damit ansetzen, dass die ersten Modelling-Amps so um Mitte der 1990er Jahre entstanden, also vor gerade mal knapp 20 Jahren. Und wenn man mal einen großen Zeitsprung wagt von den ersten knisternd-fizzeligen Geräten hin zum Axe-Fx, Kemper KPA, Two Notes Torpedo an der Spitze, gefolgt von den weit weniger kostspieligen "Volks-Modellern" á la Pods, Mustangs, Vypyrs usw., ganz zu schweigen von den vielen kostenlosen bzw. sehr preisgünstigen Plugins auf dem Computer, dann sieht man deutlich, welche unglaubliche Dynamik in diesem Bereich freigesetzt wird. Und diese Dynamik wird nicht nur anhalten, sie wird von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit den steigenden Erfahrungen wachsen und wachsen.
Natürlich werden Puristen einwerfen, dass Modelling eine schicke Notlösung ist und für manche Bereiche ganz sinnvoll eingesetzt werden kann, aber dass nur der echte Röhren-Amp das Nonplusultra ist, als das soundmäßige Endziel, nach dem jeder Gitarrist streben sollte. Mag sein. Aber dieser Ansicht wird in der Zukunft durch zwei Entwicklungen arg zugesetzt werden. Erstens werden Modelling-Amps immer besser. In 10 Jahren dürfte die Axe-FX-Qualität in jedem halbwegs anständigen Modeller für 300 oder 400 Euro drin stecken und wie weit die Spitzenmodelle dann sein werden ... keine Ahnung, aber sie werden verdammt gut klingen. Zweitens wachsen im Lauf der Zeit immer mehr und mehr junge Gitarristen auf, die niemals großartig in ihrem Leben einen Röhren-Amp gespielt haben und dies aus diesem Grund auch gar nicht sonderlich vermissen. Was ich damit sagen möchte ist, dass der alte Blueser, der einem jungen Kollegen väterlich auf die Schulter klopft und sagt "glaub' mir, letztlich wirst du den Sound deines Lebens nur mit 'ner guten Röhre erreichen und wenn dein Gehör und dein Spielen mal anständig durchgebildet sind, wirst du das von selbst erkennen" heute noch Ehrfurcht oder Respekt hervorruft, aber in 20 Jahren vielleicht nur noch ein mildes Lächeln (er meint's ja gut, aber hat keine Ahnung davon, was ich mit meinen Modellern alles machen kann).
Als letzten Punkt könnte ich noch kurz den kommerziellen Aspekt anreißen. Dass Hersteller wie Fender, Marshall, Peavey usw. sich bereits stark im Bereich des Modellings engagieren, wird schon seine Gründe haben. Und wer mit Modelling-Amps gut fährt, Entwicklungsstätten aufbaut und sich vor allen Dingen das menschliche Know-How einkauft und sichert, der wird einen Teufel tun, diesen lukrativen Markt wieder abzuschießen. Langfristig gesehen, ist die Produktion von Modelling-Amps erheblich günstiger, weil hier keine gitarrenverstärker-spezifischen Bauteile anfallen, sondern das ganze Innenleben mit den gleichen Bausteinen gebastelt werden kann, wie sie in vielen anderen Geräten drinstecken. Die leistungsfähigen Plugins beweisen ja, dass man diese Technik sogar auf ganz normalen Feld-Wald-Und-Wiesen-CPUs zum Laufen bringen kann (wobei designierte DSPs natürlich noch ganz andere Vorteile haben) und man muss nicht viel Fantasie haben, um zu erkennen, wie der Einsatz von ganz normalen und in Massen gefertigten elektronischen Baugruppen sich preislich niederschlägt. Und dann gibt's natürlich den Punkt "Flexibilität". Wie wichtig der ist, sehen wir bereits heute im Konsumenten-Bereich, wo die CD (und noch viel mehr die hochauflösende CD, die ein absoluter Verkaufsflopp war) immer mehr von MP3 u.a. kompressionsbehafteten Verfahren verdrängt wird, die nach Ansicht von HiFi-Fans deutlich schlechter klingen, aber halt sehr praktisch sind. Ich gehe ja straff auf die 50 zu und gehöre noch der Generation an, für die in Jugendjahren die HiFi-Anlage und Plattensammlung das A und O waren ... fragt mal die Jungs und Mädels von heute danach, die halten dir einfach ihre winzigen Player mit 2.000 Songs hin und haben zu Hause vielleicht eine Docking-Station oder Mini-Anlage stehen.
Um ganz zum Schluss nochmals den Bogen zum Gitarrenmodelling zu schlagen: Sobald andere Bereiche ausgereizt sind (Software-Emulation von Effekten, Amps, Cabs, Mikrofonen usw.) wird es vermutlich nicht lange dauern, bis die ersten Hersteller auf der Suche nach neuen Features auf den Trichter kommen werden, dass ein vor ihren Modelling-Amp geschaltetes Gitarren-Modelling das Knie der Biene wäre. Im Prinzip gibt's da ja bereits schon, aber es ist noch arg in den Kinderschuhen. Wenn aber der erste Hersteller diesen Bereich mal wirklich für sich entdeckt und man dann ein Gitarrenmodelling hat, das sich in etwa so anhört wie ein Two Notes Trobedo CAB gegen eine herkömmliche DI-Box, dann wüsste ich nicht, weshalb sich das nicht weiter verbreiten sollte.
Zum Schluss vielleicht noch ein Hinweis: Ich hab' jetzt etwas Längeres geschrieben, das aber bitte keinesfalls zum Zankapfel werden, sondern einfach nur sachlich meine Meinung widergeben soll. Dass andere Menschen das eventuell völlig unterschiedlich sehen, ist mir klar.