Ich kann eine Taste so langsam herunterdrücken, daß kein Ton erklingt, der Hammer also die Saite nicht berührt. Der Hammer ist in diesem Fall immer in unmittelbarem Kontakt mit der Taste, er fliegt also nicht weg von ihr. Dadurch ist er aber auch immer in unmittelbarem Kontakt mit meinem Finger. Den Abstand, den der Hammer zur Saite hat bevor er wieder zurückfällt, nennt man Auslösung. Diesen Abstand kann man mit einer Stellschraube einstellen. Nehmen wir mal an, wir stellen die Auslösung auf Null Millimeter (spieltechnisch ist das natürlich Unsinn), d.h. dann, daß ich mit meinem Finger den Hammer mittels der Taste direkt auf die Saite drücken kann. Der Hammer berührt also die Saite genau in dem Augenblick, wo ich die Taste herunterdrücke. Die Taste ist zu diesem Zeitpunkt natürlich recht weit unten (vermutlich kann man das auch irgendwie einstellen: Tastenhub), aber der Augenblick, an dem der Hammer in diesem theoretischen Fall die Saite berührt, ist exakt der gleiche wie der, an dem ich die Taste drücke, er ist nicht um auch nur eine Millisekunde verzögert.
Nun ist das aber nicht der Fall, sondern es besteht eben diese Auslösung von ein paar Millimetern. In genau diesen Millimetern verliert der Hammer also den Kontakt zur Taste und damit zu meinem Finger und fliegt zur Saite. Das ist also genau die Zeit, in der ich den Hammer nicht mehr unter der Kontrolle meiner Finger habe. Diese Zeit könnte ich nun als Latenz bezeichnen. Um die Zeit, die der Hammer braucht, um diese Strecke zurückzulegen, zu berechnen, müßte ich nun die Hammergeschwindigkeit wissen und die Größe der Auslösung. Wie schnell der Hammer fliegt, hängt aber davon ab, wie schnell ich die Taste herunterdrücke. Aufgrund der Hebelwirkung ist die Hammergeschwindigkeit höher als die Geschwindigkeit, mit der die Taste sich nach unten bewegt.
Überschlag:
Der Tastenhub bei meinem Klavier beträgt ca. 1cm, der Abstand der Hämmer zur Saite ca. 4,5 cm. Wir nehmen mal eine Auslösung von 0,5cm und ziehen diese von den 4,5cm ab. Der Hammer bewegt sich also 4cm weit in genau der gleichen Zeit, in der die Taste sich um 1cm nach unten bewegt, er ist also in etwa 4x schneller als die Taste.
Wenn ich bei leisestem Pianissimospiel 1/2 Sekunde brauche, um die Taste um 1cm nach unten zu drücken, hat die Taste eine Geschwindigkeit von 2cm/s. der Hammer also ein Geschwindigkeit von 8cm/s. Er legt nun die Strecke der Auslösung 0,5 cm, zurück in 1/16tel Sekunde, d.h. in 0,0625 Sekunden. Das wäre also eine "Latenz" von 62,5 ms. Wohlgemerkt, bei extremstem pianissimo! Bei vielen Klavieren wird wohl bei dieser langsamen Tastendrückgeschwindigkeit gar kein Ton mehr erklingen, weil der Hammer die Saite nicht berührt.
Wenn ich meine Hand aus 10cm Höhe im freien Fall ungebremst auf die Tasten fallen lasse, hat diese am Ende eine Geschwindig keit von ca 45cm/s, der Hammer demnach eine Geschwindigkeit von 180cm/s (6,48km/h). Die Latenz beträgt demnach 0,0027 Sekunden, d.i. 2.7ms. Die Auslösung bei einem gut eingestellten Flügel beträgt aber nur 1-3mm, und bei fortissimo ist die Geschwindigkiet der Hämmer wohl noch höher, ich kann meinen Arm ja noch schneller nach unten Bewegen als beim freien Fall nach 10cm.
Viele Grüße,
McCoy