Hallo zusammen,
Klangbutter hat ein Thema aufgeworfen, das wohl ewig kontrovers diskutiert werden wird, und bei dem vollkommene Theorie sich mit praktischer Realität trifft. Denn die Realität des Standardbass-Akkordeons ist nun einmal NICHT PERFEKT! (Zitat aus Konrad Wölki, Harmonielehre für Akkordeonspieler, Berlin 1942, Seite 32: ...Wer aber Vollkommenes sucht, muß die Einsicht haben, daß er es hier nicht finden wird. Dazu sind vollkommenere Tonwerkzeuge nötig..; in diesem Werk wird übrigens auch schon die 3-tönige Schaltung der Septakkorde, und insbesondere die Ableitung des modernen Standards behandelt).
Die Vielschichtigkeit der Reaktionen (im Detail) zeigt die Kontroverse ganz deutlich auf. Also melde ich mich als selbsternannter Rufer nach einem allgemein akzeptierten, vernünftigen Standard wieder einmal zu Wort ..
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SELBSTVERSTÄNDLICH (!!!) sollte ein gut ausgebildeter (Standardbass)-Akkordeonist vollständig ausnotierte Bassnoten lesen und verstehen können, aber benötigt er dieses Können auch für das Spielen des Standardbass-Akkordeons? Und ein Anfänger (bis Mittelstufe) wird diese Frage vermutlich anders beantworten als ein Experte - nur, wieviele gibt es von letzteren im Verhältnis zu ersteren? Auch dürfte es - aus meiner bescheidenen Sicht als Nicht-Freebass-Spieler - wohl keine Thema sein, dass jemand der Freebass spielt, ausnotierte Bassnoten vom Blatt lesen können MUSS, er muss die EINZELNEN Töne am Bassmanual ja auch greifen (und die sind dann ja nicht immer nur Standard-Dur und moll...)!
Aber fragt zum Thema doch einen Standardbass-Spieler, der ja gar nicht die Möglichkeit hat, ausnotierte Noten in Form EINZELNER Töne zu spielen. Er muss nehmen was er hat: fix geschaltete Grundbässe und Bass-Akkorde in Umkehrungen, die AUSSCHLIESSLICH von der konkreten Bauweise des jeweiligen Instruments abhängen, d.h. insb. tiefster Ton der Bass-Oktave, aber auch der Oktav-Umbruch bzw. -Vervielfachung bei bestimmten Register-Schaltungen, 3- bzw. 4-Tönigkeit der Septakkorde, etc... Ein vollständig ausnotierter Bass wird also grundsätzlich NIE (!) richtig gespielt werden können! (ich verweise dazu auch wieder auf mehrere Stellen in Wölki, siehe oben).
Das folgende Zitat aus lil würde ich gerne voll unterstützen: <Ich finde es am angenehmsten zu lesen (vor allem beim Vom-Blatt-Spielen, aber auch sonst), wenn Bass und Grundton des Akkords als Noten dastehen, der Akkord dann aber nicht ausnotiert, sondern beschriftet ist>. Einen UNBEZEICHNETEN Bass und Grundton des Akkords zu lesen, wird wohl von jedem Musiker verlangt werden können (Unterstreichung des Terzbasses und Fingersatz wird bereits zu hinterfragen sein, weil dies mit Grifftechnik zu tun hat und nicht mit Notation). Wenn dann der Grundton des Akkord darüber einen Hinweis trägt, ob M, m, 7 oder d, dann wird sowohl die Information über den realistisch MACHBAREN Akkord, als auch seine Länge, Vortragsbezeichnung, etc. vollständig bezeichnet sein. Mehr ist wegen der Bauweise eben NICHT machbar, und damit auch nicht erforderlich!
Dieser Standard ergibt sich auch klar aus den allgemein akzeptierten Vorgaben der A.A.A. aus 1938 (siehe:
https://www.musiker-board.de/attach...korde-mit-stradella-bass-mii-aaa-standard.jpg ). Dieser Standard umfasst auch das von akkotue aufgezeigte ...Übrigens nicht jeden Bass und Akkord: Eine Beschriftung gilt immer bis zur Nächsten....
Und ganz besonders wird diese Symbol-Notation ihre Vorteile zeigen, wenn es sich um (zusammengesetzte) Jazz-Akkorde handelt. Wohl kaum jemand wird in der Lage sein, aus einem komplexen Notenbild ad-hoc sowohl die eigentlichen Basis- und (Ergänzungs)Akkord(e) herauszulesen, als auch zu erkennen, aus welchen der eben nur eingeschränkt verfügbaren fixen Bass-Akkorde die bestmögliche Griff-Kombination zu gestalten wäre (wenn überhaupt nicht nur der/ein Grundakkord zielführender wäre - weniger ist machmal mehr)! In ihrem Kommentar verweist lil auf diese Thematik, wobei sich dort aber eine kleine Ungenauigkeit eingeschlichen hat: das Beispiel gm + dm = gm7 stimmt so nicht, sondern das ergibt gm9 (weil das a im dm der 9-er des gm ist), gm7 ergäbe sich hingegen aus gm + b.
Ein weiteres Zitat von lil behandelt DARÜBER HINAUS die harmonische Zuordnung im Ablauf der Takte: <Interessant finde ich auch die Version, wie sie Hans-Günther Kölz und Wolfgang Russ benutzen: sie schreiben zum ausnotierten Akkord (was für meinen Geschmack zu viel ist) unter die Basszeile die zu greifenden Knöpfe und zusätzlich über die Melodie den insgesamt klingenden Akkord (also Diskant + Bass - siehe Beispiel 3). Wenn sie statt des ausnotierten Akkord nur den jeweiligen Grundton notieren würden, wäre es für meinen Geschmack das Optimale.> Die von ihr bezeichnete Beschriftung geht m.E. weit über die Frage der Bass-Notation hinaus, und zeigt (vor allem im Jazz üblich, als Rahmen für freieres Spiel) die harmonischen Hintergründe deutlich auf.
Und m.E. besteht keine Sorge, dass Pianisten, Organisten, Gitarristen, Harfinisten (und andere polyphone) das Bedürfnis zeigen, bass-symbolgeschriebene Akkordeonnoten (noch dazu vom Blatt) zu spielen, die Chance dafür dürfte gegen 0 laufen. Auch dass sie ein Akkordeon in die Hand nehmen um darauf unausgebildet zu spielen...
Also, aus meiner Sicht als Standardbass-Spieler insgesamt NUR Vorteile einer speziellen Symbolschrift, die noch dazu seit 1938 (!) international genormt wäre, aber KEINE Nachteile und das nicht nur vordergründig (Zitat Reini2), sondern ganz real. Es hat wohl auch seinen guten Grund, dass <das Lesen der Noten im Baßschlüssel in Akkordeonistenkreisen etwas stiefmütterlich behandelt wird> (Zitat; ich füge an: LEIDER!). All dies sind aber technische Überlegungen zum Akkordeon-Spiel, die selbstverständlich nichts mit dem möglich Bedürfnis eines Musikers zu tun haben, bei der Erarbeitung eines Musikstückes mehr darüber zu erfahren, also zB: die vom Komponisten vermutlich aus gutem Grunde! - gewählte spezifische Umkehrung eines Bass-Akkordes (Stimmführung...) und dessen Abstand zum Basston (JA! - auch dieser kann meist nicht so gespielt werden, wie er original notiert ist!!!), etc... Ein Thema das vor allem im Bereich Klassik seine volle Berechtigung haben dürfte, aber eher kaum im Bereich Jazz! Und das brächte mich zu der Frage, wie schön (im Sinne von musikalisch zufriedenstellend) man ein Chopin-Nocturne, eine Bach-Kantate, etc. auf dem Standardbass-Akkordeon überhaupt spielen kann, und vor allem, was die eigentlichen Komponisten zu diesem futuristischen Frevel wohl sagen würden... aber das ist vermutlich schon der übernächste Faden...
Tja, soviel zum existierenden Standard, seiner Einhaltung, aber auch zur Individualität von Akkordeonisten...
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Und übrigens, falls auch Gitarristen unter euch sind: gleiches Problem mit der (für Gelegenheits-Gitarristen) genialen TAB-Notierung (sowie Lage-Angaben, etc.) im Vergleich zur normalen Notation...
lg, walter
PS: und DANKE an Klangbutter für seine Ausarbeitung von Nr.4