Man muß natürlich auch unterscheiden, aus was für einem Umfeld die Leute kommen.
Gerade auf dem Land und in den Einfamilienhaus-Vorstädten gibt's die "Einmal Spießer, immer Spießer"-Fraktion. Musikalisch geht bei denen nur das, was die typischen Sender Marke "Radio Sterbehilfe" senden, z. B. die diversen NDR1 vor ihren jüngsten Relaunches. Neue Schlager, alte Schlager, Softoldies Anfang 60er bis Mitte 80er (Beatles bis einschließlich Revolver und ab Let It Be, Bee Gees der 60er und 80er, nicht aber der Discoära, Simon & Garfunkel, ABBA quer durchs Beet, Peter Kent, F.R. David hatten wir schon, Cliff Richard, George Baker Selection, Goombay Dance Band, vielleicht noch Boney M., Tony Christie...). Bitte nichts zu Abgedrehtes. In südlicheren Gefilden (also jenseits des Mains) kommt Volksmusik dazu, während die Ü70 nördlich der Elbe vielleicht sogar mal La Paloma hören wollen.
So einen hatten wir mal bei einem Gig in einem Hamburger Außenbezirk. O-Ton: "Warum spielt ihr nicht mal ein deutsches Lied?"
Wer urbane Einflüsse genießen konnte in seiner Zeit, wen etwa auch die 68er Welle und die Hippiezeit erfaßt hat, bevor sie vorbei war (und das war eigentlich schon 1970 der Fall), dem wird das zu langweilig sein. Der hört dann tatsächlich gern auch mal Stones, Purple, Zeppelin, Steppenwolf, The Who, Jimi, Janis, vielleicht sogar die frühen Black Sabbath, obwohl die technisch schon voll unter Metal fallen, aber das tun die frühen Led Zeppelin ja auch. Vielleicht geht denen auch mal richtig das Herz auf, wenn man eine alte Bob-Dylan-Nummer mit einbaut. Das ist dann auch nicht die Sorte Mensch, für die AC/DC die härteste Band aller Zeiten ist, die dann aber nur einen AC/DC-Song kennt. Wenn der lange genug bei der Stange blieb und sich nicht an "ihrer" Zeit festgeklammert hat, geht's noch weiter, etwa mit Queen, dem frühen Bowie, eben AC/DC oder neueren Stones-Sachen.
Zwei ziemlich inkompatible Menschenschläge.
Womöglich hat man's gar zu tun mit einem aus der breitgefächerten Kategorie der Altrocker, die das Ganze richtig als Serious Business ansehen. Die Genesis noch vor Abacab oder gar Invisible Touch kannten. Die sich In The Court Of The Crimson King oder Piper At The Gates Of Dawn gekauft haben, als sie neu war. Oder denen Crazy Horse, The Band oder Buffalo Springfield noch was sagen. Sind selten, aber gibt's.
Ü50 ist auch nicht unbedingt leicht. Die Leute sind jünger, aber gerade hier gibt's wieder gewaltige Unterschiede. Ü50 heißt, man war jung in der Disco-Ära. Und gerade da ging's bunt zu. Die Leute können damals schon im Seichtpop-Softrock-Sumpf gesessen haben (Smokie, die harmloseren ABBA-Sachen etc.), können so spießig gewesen sein oder hinterm Mond gelebt haben, daß sie in dem Alter schon auf Schlager abonniert waren, können die Disco-Ära gelebt haben (Post-SNF-Bee Gees, Kool & The Gang, Earth, Wind & Fire), können auf den damaligen Rock abgefahren sein (siehe weiter oben), können mit entsprechenden Einflüssen auch gesagt haben, das ist mir alles zu mainstream, aber die New Wave ist cool (vielleicht waren sie sogar heimlich in Debbie Harry verschossen)... Weil das jeweils zu deren Zeit™ war, kann man solche Leute häufig heute noch kaum über einen Kamm scheren.
Mitunter kann man auch am Anlaß erahnen, mit was für Leuten man es bei einem Gig zu tun haben könnten. Wir trauern beispielsweise nicht wirklich dem unlängst abgesagten Auftritt bei einem Weinfest mit Publikum um die 60 nach. Das hätte nicht gepaßt.
Martman