Das finde ich sehr interessant, was ihr erzählt Bell* und Shana! Hoffentlich melden sich auch alle anderen GL an Board.
Interessant finde ich auch, dass sich da vieles mit dem deckt, was meine Mutter erzählt. Sie ist klassische Klavierlehrerin und sieht es recht ähnlich. Ich kann mir vorstellen, dass es bei klassischen Gesangslehrern ähnlich aussieht. Vielleicht interessiert das auch den ein oder anderen.
Da sie nur Klassik und ein bißchen Pop unterrichtet, erübrigt sich das mit dem Musikgenre. Wenn da jemand kommt und Jazzpiano lernen will, verweist sie an andere Kollegen, die das besser können. Ein Klassiker kann die charakteristische Rhythmik und das Improvisieren nämlich nicht so gut rüberbringen wie ein Jazzer. Da muss man also seine eigenen Grenzen eingestehen. Anders als beim Gesang, besteht ihr Klientel hauptsächlich aus Kindern und Teens und nur ein paar Erwachsenen (meist 50-60 Jahre), die sich noch nen langgehegten Traum erfüllen wollen. Ansonsten nimmt sie eigentlich jeden, der anfangen will, versucht es aber Leuten diskret auszureden, wenn sie merkt dass der Schüler unfreiwillig und nur wegen der übereifrigen Mutter da ist, die ihre eigenen Versäumnisse in der Kindheit an ihrem eigenen Filius nachholen will. Es ist nämlich Zeit- und Nervenverschwendung, für den Schüler zusätzlich Geldverschwendung, wenn der jedes Mal mit langem Gesicht in die Stunde kommt, nicht geübt hat und meckert, dass er lieber jetzt Fußballspielen will und Klavier scheiße ist. Meist hören die nach ein paar Monaten von selbst auf, aber das sind trotzdem immerhin ein paar Monate, die man aushalten muss. Zwar versucht meine Mutter durch beliebte Stücke (einfache Pop- und Disneysongs, Flohwalzer, Pink Panther) die Motivation zu wecken, aber nur ganz ganz ganz selten findet der Schüler plötzlich Spaß an der Musik.
Am liebsten hat sie Schüler, die Talent und Motivation mitbringen. Mit solchen Schülern macht es einfach am meisten Spaß, weil die fröhlich in die Stunde kommen, sogar mehr geübt haben als sie eigentlich sollten und man den Fortschritt spürbar merkt. Für solche Schüler legt sie sich besonders in Zeug, arbeitet mit ihnen auch an feinen Details und Ausdruck und sucht ihnen Vorspielmöglichkeiten und/oder einen Duettpartner. Junge Schüler, die Klavier studieren wollen, bereitet sie auf Wettbewerbe vor (schickt sie aber nur hin, wenn sie wirklich gut genug sind, dass da ja keiner mit Trostpreis nach Hause kommt und dann frustriert ist), vermittelt diese wenn sie älter sind dann aber an erfahrene Dozenten, die gezielt auf Aufnahmeprüfungen vorbereiten und noch einen letzten Schliff verpassen.
Sie hat vier Lieblingsschüler, die ganz verschieden sind. Die eine ist ein Mädel mit großem Talent, aber leider genauso großen Selbstzweifel. Im Unterricht zeigt sie unglaubliche Leistungen, lernt sehr schnell und hat eine Auffassungsgabe wie ein hungriger Schwamm und einen tollen Ausdruck. Auf der Bühne aber vermasselt sie alles, ist gar nicht wiederzuerkennen. Da Talent auch den Lehrer verpflichtet, muss meine Mutter oft die Seelenklempnerin geben. Die Mühe lohnt sich dann aber, wenn sie merkt, dass die Blockaden immer weiter abnehmen und sie nicht mehr weit davon entfernt sind, dass sie auch draußen auf der Bühne so aufblüht wie im behüteten Unterricht. Der zweite Schüler war gerade mal 6 Jahre alt, als er angefangen hat und ist einer der sowohl großes Talent, als auch viel Motivation mitbringt. Was sie an ihm besonders mag, ist seine Experimentierfreudigkeit (er kommt manchmal in die Stunde und kann plötzlich ein Stück durchspielen, das sie gar nicht im Unterricht hatten) und die ansteckende Spielfreude. Meine Mutter erzählte mir, dass er sich gibt wie ein kleiner Langlang. Er strahlt wie ein kleiner Sonnenschein, spielt mit viel Mimik und Gestik, ja tanzt regelrecht beim Klavierspielen und das obwohl er mit seinen kurzen Beinen kaum auf dem Hocker sitzen kann. Und überall wo ein Klavier steht, muss er hinrennen und darauf seine Lieblingslieder klimpern. Die dritte Schülerin ist eine, die zwar "normales" Talent mitbringt, aber sehr fleißig und ehrgeizig ist. Sie zu fordern und zu sehen, wie sie sich reinhängt und die Stücke zwar mit Arbeit und Mühe, aber Erfolg meistert, macht sehr viel Spaß und fasziniert meine Mutter sehr wieviel man aus jemanden rauskriegt, der einen besonderen Willen und Geduld mit sich selbst hat. Der vierte Schüler ist einer, der zwar trotz langjährigem Unterricht technisch eher mittelmäßig ist und meine Mutter kaum noch in technischer Hinsicht was aus ihm rauskitzeln kann, weil entsprechendes Talent und Ehrgeiz fehlen, aber trotzdem hat sie ihn sehr gern, weil er trotz seines mittelmäßigen Niveaus das beste draus macht und vor allem viel Freude am Spielen hat und mit dem zufrieden ist, was er kann. Obwohl er seit Jahren "nur" Stücke mittleren Schweregrades spielt, macht es trotzdem Spaß, weil er immer mit Freude dabei ist und die Stücke toll rüberbringt. Außerdem spielt er neben dem Unterricht Stücke, die er sich selbst ausgesucht hat und komponiert sogar was eigenes. Man muss nicht immer auf dem höchsten technischen Niveau sein und auf Auftritte und Preise geil sein, um vom Lehrer besonders ins Herz geschlossen zu werden.
Leider sind bei Klavier die guten Schüler eher rar gesäht, weil die meisten eben doch von den Eltern geschickt wurden und nicht von sich aus Klavier lernen wollten. Meistens sind es doch Schüler, die jede Stunde was vorgesetzt bekommen wollen und vor sich hindümpeln. Man passt sich dann halt ans Lerntempo an und fordert und fördert eben in kleinen Schritten. Manchmal kommen die Schüler auch einfach gerne wegen ihr, wie zu einer Freundin. Erzählen von ihrem Leben, unterhalten sich über Musik, Klatsch und Tratsch, aber manchmal auch um ihren seelischen Müll loszuwerden, sich alte Chinesische Weisheiten anzuhören (meine Mum ist da eine echte Expertin) oder weil sie sich drauf freuen nach dem Klavierunterricht in unserem Garten mit dem Mops zu spielen (bzw. damals mit mir, als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe und zur Schule gegangen bin). Das macht meiner Mutter zwar nicht ganz so viel Spaß, aber so ist es nun mal. Nicht jeder brennt für die Musik und will einfach ein schönes Hobby haben, was ja völlig erlaubt ist. Und würde sie nur die Schüler behalten mit denen das Unterrichten viel Spaß macht, hätt sie dann wahrscheinlich nur noch acht von 40 Schülern die Woche und davon ein paar nicht kennengelernt, eben weil die Musik einen auch erst später packen kann.
EDIT: Mir fällt noch ein, was meine Mutter hasst ist, wenn die Eltern beim Unterricht immer dabei sind. Die hemmen das Kind nämlich sehr und besonders nervtötend ist es, wenn die immer alles kommentieren müssen und noch schlimmer, selbst total unmusikalisch sind und alles angeblich besser wissen. Das geht echt gar nicht, aber es ist oft schwer und nervenaufreibend, die Eltern aus dem Unterricht fernzuhalten.