Huch, da stöbert man einfach mal so im PA-Forum rum und stolpert dann über schon längst vergessen geglaubtes:
Der User
LeGato hatte da mal einen zu köstlichen Beitrag auf seinem Blog - irgendwas in die Richtung "Der komische Typ vor der Bühne". Einfach zum schießen lustig und wahr - ich find das Ding leider grade nicht mehr, weder im Board noch im Netz. Hat jemand von den Kollegen grade den Link parat...?
Au weia, das hatte ich ja selbst schon ganz vergessen! Den Blog gibt es schon lange nicht mehr - frisst zu viel Zeit! Also habe ich leider auch keinen Link parat... Aber ich habe gerade noch mal auf meiner Festplatte gestöbert und tatsächlich den gesuchten Eintrag (geschrieben am 13.06.2007...!) gefunden. Lieber livebox, Hut ab vor deinem Gedächtnis, ich selbst hatte das wie gesagt schon lange verdrängt...
Auch auf die Gefahr hin, dass das hier ein bisschen OT ist, hier noch mal der alte Blog-Eintrag:
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DER SELTSAME TYP VOR DER BÜHNE
Musiker, die öfter mal live spielen, wissen sofort, wen ich meine. Es gibt ihn überall, bei jedem Gig. In allen Alters- und Bildungsklassen. Wenn die Band zum Aufbau kommt, ist er schon da. Und dem Alkoholpegel nach zu urteilen ist er auch schon eine ganze Weile da, denn mit
der Schlagseite ist er eindeutig nicht mehr in der Lage, größere Strecken zurückzulegen. Aber bis zu mir schafft er es dann meistens doch noch...
Schon bei der ersten Bühnenbesichtigung habe ich ihn gesehen. Wie immer steht er einige Meter vom Bühnenrand entfernt und betrachtet mit geschultem Blick kritisch jede meiner Bewegungen. Ich versuche ihn zu ignorieren. Einfach nicht hinschauen. Vielleicht habe ich ja diesmal Glück.
Natürlich habe ich auch diesmal kein Glück. Natürlich weiß er, dass ich ihn gesehen habe. Und meine Missachtung seiner Person passt ihm nicht. Schließlich war er lange vor mir hier, er hat hier die älteren Rechte. Er beschließt, diese auch einzufordern.
"Ey du!"
Seine Stimme klingt rau und kratzig. Das Ergebnis eines jahrzehntelang gewissenhaft eingehaltenen Diätplans, in dem Zigaretten, Bier und Korn die Hauptrolle spielen. Ich versuche, so beschäftigt wie möglich auszusehen, indem ich Kabel ein- und ausrolle, an meinem Verstärker rumfummle und dabei möglichst konzentriert vor mich hinstiere. Aber ich habe keine Chance:
"Ey du, komm ma' her!"
Ich bin doch kein Hund! Ich werde mich auf keinen Fall wie sein persönliches Haustier zu ihm ranpfeifen lassen! Man hat ja auch seinen Stolz! Ich gucke ihn kurz verächtlich an, um dann demonstrativ weiter aufzubauen.
"Heee, komm doch ma' kurz her..."
Sein Ton klingt jetzt kumpeliger als vorhin, so als hätte er in mir einen seit Jahren verschollenen Bekannten wiedererkannt, den er jetzt auf ein kleines Schwätzchen bittet. Ich seufze innerlich. Den Ton kenne ich: Er wird sich jetzt auf keinen Fall abwimmeln lassen. Er wird weiter nach mir rufen, betteln, fluchen - notfalls stundenlang. Er hat ja sonst offensichtlich auch nichts weiter vor. Ich kann es ebenso gut gleich hinter mich bringen. Ich gehe also zum vorderen Bühnenrand und beuge mich nach unten.
"Was gibt's denn, Meister?"
Sicherlich nicht die originellste Gesprächseröffnung, aber wir beide wissen, dass feinsinnige Rhetorikkonstrukte hier reine Verschwendung wären. Er muss jetzt etwas loswerden, und je schneller wir beide das hinter uns bringen, desto besser. Außerdem ist es mir unmöglich, in dieser Alkoholwolke klar zu denken.
"Habt ja 'ne Menge Zeugs dabei!"
"Joa, Was man halt so braucht..."
Das war sozusagen das Intro. Das Gespräch ist eröffnet, der Höflichkeit Genüge getan. Jetzt kommt gleich, was immer an dieser Stelle kommt. Ich bin bereit, hohe Geldbeträge auf seine nächsten Worte zu wetten. Und ich werde nicht enttäuscht:
"Ich hab' ja früher mal selbst Musik gemacht!"
Jetzt sind wir also beim Thema.
"Aha" antworte ich wenig inspiriert.
"Jau, Spielmannszug, hier aus Hutzelhausen." Er schwankt leicht auf mich zu.
"Wir ham' ja überall gespielt! Kleinkleckersdorf, Hintertupfingen, ÜBERALL! Auch in Dings, hier, na - Göttingen hamwa gespielt!"
In seiner Begeisterung ist er jetzt nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.
"Wo kommt ihr eigentlich her?"
Ach du meine Güte, gleich haben wir noch ein Thema, über das wir gemeinsam plaudern können. Aus dem Augenwinkel sehe ich Bandkollegen zu mir herüberlächeln, die Schadenfreude nur unvollkommen verborgen. Ich füge mich in das Unvermeidliche:
"Göttingen..."
"Ach nee, siehste! Schönes Städtchen. Wir ham da mal gespielt, beim Stadtfest. Viele Studenten. Und Studentinnen...!" Er grinst verschwörerisch.
"Gab einiges zu gucken. Bier war auch lecker da!"
"Joa, wir fühlen uns da ganz wohl..." antworte ich matt.
Ich suche nach einer Rückzugsmöglichkeit. Irgendwie muss es doch möglich sein, sich einigermaßen höflich aus der Affäre zu ziehen. Er fährt gnadenlos fort:
"Und was macht'er für Musik? Nur Jazz?"
Ich bin einen Moment irritiert. Jazz? Wie kommt er denn jetzt auf Jazz? Es dauert einen Moment, bis es mir dämmert: "Jazz" ist für ihn alles, was nicht Volksmusik oder Spielmannszug ist. Auf dem Dorf findet man diese Genre-Einteilung durchaus öfter. Nur die Begrifflichkeiten wechseln: Neger- oder Urwaldmusik, Rock'n Roll (als Sammelbegriff für alle Songs, die nach 1950 geschrieben wurden), Besatzermusik - "Jazz" ist da durchaus noch einer der freundlicheren Ausdrücke.
"Nee, kein' Jazz" versuche ich eine Erklärung. Aber eigentlich interessiert ihn das auch kaum.
"Und du spielst Gitarre? Schööönes Instrument! Kannste so spielen wie Hendrix?" unterbricht er mich.
Jetzt hab' ich ihn! Er hat seinen ersten Fehler gemacht, und ich nutze ihn gnadenlos aus:
"Nee, ich spiel' Bass. Unser Gitarrist steht da drüben! Der is' auch Hendrix-Fan!" Ich deute rüber zu Dan, der ahnungslos seine Gitarre stimmt. Mein Plan geht auf: Ohne sich weiter um mich zu kümmern, wankt unser Local Hero rüber zur anderen Bühnenseite, postiert sich direkt am Rand und beginnt das Gespräch:
"Ey du!"
Zufrieden baue ich den Rest meines Equipments auf.