Geniale Kompositionen in der Nähe der A-Tonalität

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cvinos
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Hallo,

dieser neue Thread ist dazu da, gute Kompositionen zu nennen, welche, rein von der Kategorisierung her, vermutlich eher der Atonalität zugerechnet würden. Ich verwende den Begriff "atonal" eher ungern, jedoch ist er weit verbreitet und erfüllt somit den Zweck, jene Musik, um die es hier geht, mit einem Wort zu benennen. Der Übergang von 100% Tonalität zu 100% Atonalität ist, wie man weiß, ein fließender, und so gibt es durchaus sehr viele Kompositionen, die weder ganz das eine noch ganz das andere sind.

Die Idee zu dieser Auflistung ist mir beim Gedanken an die vielen oft sinnlosen und einseitigen Beschimpfungen der Musik Arnold Schönbergs gekommen. Meine Gedanken dazu sind, dass eine Betrachtung der Musik Schönbergs zwar sehr hilfreich ist, jedoch für eine Beurteilung der gesamten atonalen Musik lange nicht ausreicht. Schönberg war ein guter Pionier, und er hat einige sehr hochwertige Werke geschaffen. Manche davon werden oftmals übersehen oder ausgeklammert, wie zum Beispiel sein Klavierwerk. Der zweiten Wiener Schule folgten jedoch viele viele andere Komponisten, verwendeten Ideen, wurden inspiriert, forschten und entwickelten eigene Methoden und kamen zu neuen Ergebnissen. Dennoch. Immer wieder hört und ließt man Texte mit anti-musikalischen Inhalten, welche genau nur Schönbergs Musik verschreien und dann mit einer Verdammung der atonalen Musik zu schließen versuchen. Wie man so beschränkt und dumm sein kann, derartige Verallgemeinerungen überhaupt zu versuchen... oder eben, welche Motivation man haben muss, um solche Falschinformation derart dilettantisch zu verbreiten... ist mir immer noch schleierhaft. Letztendlich machen sich die Leute dadurch nur lächerlich. Leider ist es so, dass andere Leute wiederum, die ohne selbst zu denken diesen "Kritiken" folgen, einen gewaltigen Bereich von höchst anspruchsvoller und gediegener Musik unnötig verpassen.

Ich beginne diesen Thread, im Forum Kompositionslehre, da es um die Entdeckung von vermutlich hier eher selten betrachteten Kompositionen geht, nun mit einer Reihe von Videos, welche alle relativ gute Interpretationen richtig genialer Stücke beinhalten. Ich verbleibe ohne weitere Worte.


Francisco Guerrero - REHA
http://www.youtube.com/watch?v=iP6MdQTLQRw

Henry Cowell - The Tides of Manaunaun (1912)
http://www.youtube.com/watch?v=mb4LIN35tfc

John Cage - Sonata V
http://www.youtube.com/watch?v=VYsx5Di3bso

György Ligeti - Atmospherès
http://www.youtube.com/watch?v=DJ70FjT6eTg

Elliott Carter - Shard
http://www.youtube.com/watch?v=KTHXgMEUSs0

Elliott Carter - Changes
http://www.youtube.com/watch?v=AMH-8hPj45M

Anton Webern - Symphonie op. 21
http://www.youtube.com/watch?v=bBf2K4S4Nmk

Hans Erich Apostel - Adagio op. 11
http://www.youtube.com/watch?v=r18f-tunMdo
http://www.youtube.com/watch?v=jyyZhPxF3D0
 
Eigenschaft
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht wäre es angebracht, über sympathiekundgebungen und aufzählungen hinaus uns mit "nach-klassischen" kompositionstechniken zu befassen. Wem eine partitur oder weiterführende information zur verfügung steht, könnte darüber berichten, um zu helfen, ein musikstück zu "durchhören" (oder zu "durchschauen").
Jede musik ist irgendwie "gemacht", verwendet bestimmte materialien, die verarbeitet werden.
 
Hallo.

Ja, die Atonalität ist eine Sache für sich. Auch wenn es sich manchmal sehr komisch anhört, steckt doch viel mehr dahinter.
Ich hätte noch eins von Anton Webern, das wir zur Zeit auch im Musik - LK behandeln.

Anton Webern: Konzert für 9 Instrumente, Opus 24

http://www.youtube.com/watch?v=4OPfHfWBZLY

Der Anfang klingt noch ganz ok. Aber wenn ihr mal ab 5:10 Minuten euch das anhört,
ist es doch erstaunlich, dass etwas, dass so komisch klingt, nicht improvisiert, sondern
doch lange komponiert wurde.
 
Krzysztof Penderecki , "Den opfern von Hiroshima" , klagegesang für 52 streichinstrumente

24 violinen, 10 violen, 10 violoncelli, 8 kontrabässe
Noten kommen nur am rande vor, dafür symbole für: erhöhung um 1/4 und 3/4 ton, erniedrigung dito, höchstmöglicher ton des jeweiligen instrumentes, zwischen steg und saitenhalter, arpeggio dito, auf dem saitenhalter, auf dem steg, mit fingerspitze oder frosch auf decke schlagen, unregelmäßige bogenwechsel, molto vibrato, langsames bis 1/4 ton ausschwingendes vibrato, schnelles, nicht rhythmisiertes tremolo.
Diese 14 symbole muss man sich merken. Keine taktstriche, dafür eine zeitleiste mit sekundenangaben
Anfangs violinen in 4, die anderen in je 2 gruppen, die nacheinander einsetzen mit dem höchstmöglichen ton. Da dieser individuell ist, entsteht ein hohes, weißes rauschen (eng beieinander liegende frequenzen), das in langsames vibrato übergeht.
Schnelle aufeinanderfolge von 7 spielweisen in allen gruppen, zeitlich verschoben, daher mit chaotischer wirkung.
Sich erweiternde cluster und 12tönige klangbänder, sich nach oben und unten fächerförmig öffnende figuren, ebenfalls in allen gruppen und wiederum um sekunden zeitversetzt, abschwellen bis zur unhörbarkeit, reduktion auf soli.
Es folgt ein chaotischer, aber genau in noten bezeichneter abschnitt, in den auch die oben beschriebenen spielweisen verwoben sind und der zu einem klanglichen höhepunkt führt, überlagert von einm 7tönigen, sordinierten cluster von 12 vl. (g3 - cis4), in den die anderen instrumente sich einfügen, bis das stück in einem cluster aller von fff bis pppp endet.
Dauer 8'26''
 
Bei den beiden oben genannten Stücken von Elliott Carter handelt es sich von der Notation her um "normale" Gitarrenliteratur. Changes ist von 1983, Shard ist von 1997.

Die Partitur von Shard liegt mir vor. Carter verwendet rhythmische Modulation, natural Harmonics, Dynamik, Staccato, in Teilen Mehrstimmigkeit, öfter mal Binäre und Tenäre Rhythmik zu gleich (allerdings nicht ins Extreme, sondern noch gut durch eine Person spielbar).
 
György Ligeti, "Musica ricercata" für Klavier
I.
Es regt die phantasie an, wenn man das tonmaterial einschränkt. Mn nehme einen ton und gestalte daraus ein musikstück. Alban Berg hat das in einem zwischenspiel aus "Wozzek" gemacht, hatte aber die klangpalette eines orchesters zur verfügung. Diese variabilität entfällt hier, es werden die verschiedenen oktavlagen ausgenutzt, trommelbässe machen synkopen deutlich, vorgezogene und nachklappende, eine herausforderung für "vom-blatt-spieler" wie das unterbringen von 4 vierteln, dann viertel-quintolen und sextolen in einem takt, als schmankerl an anfang und ende ein resonanz-effekt: stummes niederdrücken von tasten lässt saiten mitschwingen.

II.
E-is und fis schaukeln dahin "quasi parlando" wie prosa bei stets wechselnder taktart, mal einfach, mal vierfach oktaviert. Wie schön, musik ohne harmonisation ! Damit der spieler gefordert wird, abwechslung als ästhetischer reiz wirkt, ein repetitionsgewitter auf g2 mit akzenten auf g3, technisch/virtuos aus dem handgelenk. Auch mit beiden pedalen wird "gespielt" in diesem reizvoll/anspruchsvollen vortragsstück.
 
Ligeti, "Atmosphères"

Ich liste nur die zutaten auf, mit kleinen hinweisen auf zubereitung; kochen, kosten, genießen, verdauen muss jeder selbst.

Ein fürwahr großes orchester: 4fach holz, 6 hörner, 4 trompeten, 4 posaunen, tuba, klavier, großer streicherchor

2 spieler bedienen den flügel, spielen aber nicht auf den tasten, sondern bearbeiten mit jazzbesen, zusammengeknüllten tüchern und kleinen und großen kleiderbürsten die bei offenem deckel zu tage liegenden saiten. Wie jeweils, steht in der partitur.
Wie wir schon kennen, dichte cluster für alle, oder instrumentengruppen, in denen sich später auch "etwas bewegt", einzelne instrumente setzen aus und wieder ein, der klang verdünnt oder verdichtet sich, wird auch über diminuendo und crescendo vom pppp zu f schwächer oder stärker. Takt 22 beginnt ein oszillieren, zunächst langsamer, dann schneller werdende wechsel zwischen 2 tönen jedes instruments, das immer dichter wird und verstummt bei beibehaltenem cluster der kontrabässe. Es folgt eine klangfläche, die genau ausnotiert ist, bewegung von unten nach oben, die in den höchsten tönen (flöten, violinen) abrupt fffff endet. T 40 als nahtstelle ein tiefer cluster der KB über 4 takte hinweg, dann eine neue, bewegte klangfläche rhythmisierter, kurzer chromatischer figuren. Sie endet abrupt takt 53, nur flöten und klarinetten murmeln "kaum hörbar" weiter.
All diese elemente kehren wieder, variiert, mit flageolett- glissandi und anderen klanglichen delikatessen bis alles im pppp versinkt, nur am klavier bearbeitet man die saiten noch 5 takte lang mit immer weicheren bürsten.
Etwa 8'15'' oder etwas mehr sind vergangen: organisierte zeit.

http://www.youtube.com/watch?v=aI0P1NnUFxc&feature=related
klanglich weit besser als obiger link, wo es aber mehr zu sehen gibt: beides ansehen und anhören!
 
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Zusammenfassung:

Das 20.jh hat unsere musikausübung erweitert und bereichert: das "Prokrustes-bett" der 8taktigen periode, der melodiebildung nach harmonischem rezept, die sucht nach immer neuen modulationen und endlose wiederholung geläufiger und einprägsamer wurde verlassen, neue spielweisen traditioneller instrumente gesucht, nicht immer zum vergnügen der musiker, die nicht so gern auf ihre kostbare violine klopfen, klappengeklapper von holzblasinstrumenten ließe sich ebenso durch schlaginstrumente erzeugen, aber einfallsreichtum auf vielen ebenen lässt sich nicht verleugnen, und insgesamt hat der geräuschanteil an der musik zugenommen.
Kompositorisch begann das jh. mit schonungsloser, linearer polyphonie, auf rigorose reglementierung von tonhöhen, -dauern und lautstärken folgte eine periode der zufallsmanipulationen und schließlich, nicht zuletzt unter dem einfluss elektronischer mittel, die hinwendung zum "klang" als primärem gestaltungsmittel.
Cluster und glissandi ersetzen "stimmen", das melodische element wird zurückgedrängt zugunsten von stehenden oder in sich bewegten klangflächen. Das wort "klangteppich" ist einerseits anschaulich, trifft aber insofern nicht zu, als ich einen teppich so lange anschauen kann, bis ich seine ornamentik und "patterns" wahrgenommen habe, während musik vorüberrauscht und mir nicht die zeit lässt, all die informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Der hörer nehme das fertigprodukt wahr, kette, schuss und das gerumpel des webstuhls gehen ihn nichts an. (Hoch interessant war für mich das seidenweber-museum in Lyon, das leider abgebrannt ist.)
Wenn Ligeti in seinem ton-gewebe einen klarinettenton auf as2 auf dem zweiten viertel als zweiten ton einer 1/16quintole aufleuchten lässt, wird ihn wohl niemand beim ersten hören als solchen wahrnehmen, der hörer muss sich mit dem gesamteindruck begnügen.
Das ist nicht neu, denn auch in der klassischen musik werden nebenstimmen und kunstvolle verarbeitungen kaum wahrgenommen. Solche genau positionierten töne zwingen aber die musiker zu nie zuvor gekannter präzision, und es sind nicht umsonst die radio-sinfonieorchester, die "neue musik" pflegen, sie haben nicht die allabendliche oper zu bespielen, und ihnen sitzt immer der tonmeister im nacken.
Neue musik hat viel dazu beigetragen, die qualität der ausbildung und wiedergabe zu verbessern, und komponisten akzeptieren, so weit ich weiß, dass sie mit einem nebenjob leben müssen, weil ihre arbeiten sich nicht vermarkten lassen. "Kunstmarkt" gehorcht anderen kriterien.
Am rande vermerkt, das war mit unserer literarischen klassik im 18./19.jh. genau so wie bei den plein-air-malern. Das honorar Homers und Dantes war auch nicht bezifferbar, De Vere hatte es nicht nötig (wer ist denn das?).
 
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