Warum Dur und Moll?

whir
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Bekanntlich wurden im Mittelalter die 8 Modi Dorisch, Phrygisch, Lydisch und Mixolydisch, jeweils in authentischer und plagaler Form, verwendet. Ionisch und Äolisch kamen erst in der Renaissance dazu, und innerhalb kurzer Zeit übernahmen sie in Form von Dur und Moll die gesamte Musik (westliche Musik) und drängten die alten Modi radikal zurück. Es heißt immer, Dur und Moll hätten für tonale Musik die besseren Voraussetzungen, aber welche sind das genau?
 
Eigenschaft
 
Genau weiss ich es auch nicht, aber beim Nachdenken kam ich auf die Kadenzen. Nach der Gregorianik kam ja mehr und mehr der Uebergang vom rein melodischen (einstimmigen) zum akkordischen Musizieren. (also nicht unbedingt polyphon, sondern Melodie mit Bass und Akkordbegleitung)
Ich denke, dass das mit den Akkorden der Dur- bzw. Mollkadenz zu tun hat.
also in Moll die Moll-Subdominante und Dur-Tonika (wegen Leitton) bedingen die harmonische Molltonleiter (bei Dorisch wuerde z.B. nich die Moll sondern die Dur-Subdominante dazugehoeren, was die Moll-Wirkung ziemlich abschwaecht)

Vielleicht hat es aber auch noch andere Gruende, wuerde mich auch interessieren!
 
Wie wäre es denn wenn man eine lokrische Kadenz schreiben würde?
Dann hätte man ja eine verminderte Tonika.
 
*push*

Falls Cudo das liest:
Wie stehts denn um deine Forschungen zu dem Thema? Du hattest im Chat mal was dazu angedeutet ...
 
Ein Hinweis, warum die Dur-Tonleiter eine bessere Voraussetzung für funktional gedachte Musik ist, ergibt sich vielleicht folgendermaßen:

Wenn man eine C-Dur Tonleiter von C bis c nimmt und ihre beiden Tetrachorde (=Viertongruppen) einzeln anhört ...

erster Tetrachord
C D E-F

zweiter Tetrachord
G A H-c

... so fällt auf, dass sie identisch sind und dass beide einen Leitton zu ihrem Zielton besitzen.

So kommt man von C über den Leitton E zum F und vom G über den Leitton H wieder zurück zum c. Keine andere Tonleiter besitzt diese Eigenschaft. Kein Modus und auch nicht das reine moll, das wir kennen.

Man kann sehen, dass eine Dur-Tonleiter aufwärts gespielt eigentlich schon alle Elemente besitzt, die eine klassische Kadenz ausmacht.

C (Tonika) zu F(Subdominante) und G (Dominante) zu c (Tonika)

Die moll-Tonleiter kann mit ein paar Anpassungen ebenfalls kadenzfähig gemacht werden. Daraus entstand dann harmonisch und melodisch moll.

Das ist wohl der wesentliche Vorteil der Dur-Tonleiter. Über ihrem Grundton baut sich nicht nur ein Dur Akkord auf, sie <i>ist</i> eine Kadenz.

Grüße
Jörgen
 
joergen schrieb:
Man kann sehen, dass eine Dur-Tonleiter aufwärts gespielt eigentlich schon alle Elemente besitzt, die eine klassische Kadenz ausmacht.

C (Tonika) zu F(Subdominante) und G (Dominante) zu c (Tonika)
Hat das nicht jede Tonleiter, die reine 4. und 5. Stufe hat? (also alle Modi ausser Lokrisch und Lydisch) Das ist wahrscheinlich eine dumme Frage ...

Aber ist denn die Möglichkeit, eine "klassische Kadenz" zu bilden, überhaupt das ausschlaggebende Kriterium? Es könnte in anderen hypothetischen Tonsystemen andere Kadenzen geben.
 
Es ist ja nicht so, daß man Tonalität und Harmonielehre zu einem Zweck erfunden hätte. Wie DNALOR schon geschrieben hat, wurde nach und nach aus der horizontal, melodisch, polyphon konzipierten Musik die vertikal, harmonisch, homophon gedachte Musik. Wenn mehrere polyphone Stimmen nebeneinander klingen, hört man ja auch "Harmonien". Und das Gefüge aus Spannung und Entspannung zwischen Zusammenklängen wurde offensichtlich für die damaligen Komponisten immer interessanter, so daß in ihren Arbeiten die uns bekannten Prinzipien entstanden.
Regel-Systeme wie die Funktionelle Harmonielehre und die Stufentheorie sind ja nicht die ursächliche Grundlagen für das Komponieren, sondern erklären theoretisch die hörbaren Prinzipien und Regelmäßigkeiten.
Man muß sich die Musik hier wirklich wie eine Sprache vorstellen: sie verändert sich allmählich durch die Vorlieben und Gewohnheiten der "Benutzer".
Tonalität bedeutet ja, daß ein Grundton als klangliches Zentrum/Zuhause identifizierbar ist. In unserem harmonischen System hören wir plagale und authentische Wendungen, d.h. im Quintenzirkel rechts oder links herum. Authentisch heißt von der Dominante durch Leitton und Quintgefälle zur Tonika. Und diese Auflösung gibt es eben durchgängig nur im Dur-Moll-System. Man könnte sagen: Tonalität und Dur/moll sind systemimmanent, sie bilden das System selbst. Darum ist die Frage nicht wirklich sinnvoll.
Klingt das zu klugscheißerisch? Anders hab ich es nicht hingekriegt.
 
dirk schrieb:
In unserem harmonischen System hören wir plagale und authentische Wendungen, d.h. im Quintenzirkel rechts oder links herum. Authentisch heißt von der Dominante durch Leitton und Quintgefälle zur Tonika. Und diese Auflösung gibt es eben durchgängig nur im Dur-Moll-System. Man könnte sagen: Tonalität und Dur/moll sind systemimmanent, sie bilden das System selbst. Darum ist die Frage nicht wirklich sinnvoll.
Klingt das zu klugscheißerisch? Anders hab ich es nicht hingekriegt.
OK, das würde zumindest erklären, warum es die Dualität Dur und Moll gibt. Warum das eine auf ionisch und das andere auf äolisch basiert, ist damit noch nicht erklärt. Anfangs soll ja Dorisch der bevorzugte Moll-Modus gewesen sein (ich hab die Quelle grad nicht zur Hand, reiche sie bei Interesse nach.)
 
>Hat das nicht jede Tonleiter, die reine 4. und 5. Stufe hat? (also alle Modi
>ausser Lokrisch und Lydisch)

sicher haben die meisten diese reine vierte und fünfte Stufe. Aber der kleine Sekundschritt, der in diese reine Quarte führt ist denke ich ein ganz wesentliches Merkmal. Und wie man die große Terz braucht, um in einem kleinen Sekundschritt zur reinen Quart zu kommen braucht man die große Septim um in einem kleinen Sekundschritt zur reinen Oktav zu kommen. Und damit sind ja schon fast alle charakteristischen Eigenschaften einer Dur Tonleiter genannt: große Terz, reine Quart, reine Quint, große Septim.

>Aber ist denn die Möglichkeit, eine "klassische Kadenz" zu bilden, überhaupt
>das ausschlaggebende Kriterium?

Wäre es das heute, wäre das sehr schade. Aber vor zweihundert Jahren war die klassische Kadenz wohl ausschlaggebend genug, das modale System nach und nach aufzugeben.
 
Ich bezweifele, daß sich die Komponisten hingesetzt haben, um zu überlegen: "Auf welche modi baue ich die neuen Tongeschlechter auf?"
Das wollte ich auch ausdrücken mit meinen Äußerungen über die Geschichte des Komponierens. Ich denke, man muß die Gemeinsamkeiten zwischen Tonleitern (oder Rhythmen oder Klängen, oder...) also eben solche sehen und nicht immer eine ursächliche Erklärung finden. Die gibt´s oft gar nicht.
 
Hallo Whir,
unseren vor einiger Zeit geführten Chat habe ich nicht vergessen.
Auch wenn ich nach so langer Zeit immer noch nicht vermag Dir eine Antwort auf Deine Frage zu geben werde ich Dir berichten was ich in der Zwischenzeit in Erfahrung brachte.
Ich habe unter anderem 3 Fachleute angeschrieben. Einer davon verwies auf das Buch „Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Allgemeine Enzyklopädie der Musik“ erschienen im Metzler Verlag. Dort gibt es 2 interessante Artikel zu besagtem Thema. Einer wurde als Leseprobe sogar kostenlos in’s Netz gestellt. Er ist von Peter Benary. Der Artikel ist wirklich gespickt mit Informationen und da ich das niemandem vorenthalten möchte, hier der Auszug:

Dur und Moll
Inhalt: I. Begriff. II. Erscheinungsformen. III. Entwicklung.
IV. Theorie.


I. Begriff
Dur und Moll werden in der nachantiken und mittelalterlichen Terminologie bezogen auf die genera, auf Ganz- und Halbton (re-mi und mi-fa), auf deren Position in Tetrachord und Hexachord, auf große und kleine Terz über einem Ton oder im Quintrahmen sowie auf die Tonstufen h und b (b durum und b molle), später auf Dreiklang, Tonleiter, Tongeschlecht und Tonalität. Dur und Moll als Tongeschlechter zu bezeichnen, geht auf die antiken (diatonischen, chromatischen oder enharmonischen) çÛîè zurück und entspricht als Übersetzung des lat. genus (Gattung) der dualen oder polaren Auffassung von Dur und Moll. Als besonders nachhaltig erwies sich
die Verbindung zwischen hexachordum durum (über g) mit Ganzton re-mi (a-h) und hexachordum molle (über f) mit Halbton mi-fa (a-b), denn aus ihr ging die Identifizierung von Dur mit großer Terz und Moll mit kleiner Terz hervor.
G. Zarlino (Istitutioni harmoniche, III, Kap. 31, S. 181f.) gelangte 1558 durch die „proportionalita o mediatio Arithmetica (6:5:4)“ zum Durdreiklang ("si pone la Terza maggiore nella parte grave") und durch die „divisione Harmonica (15:12:10)“ zum Molldreiklang mit der großen Terz oben („si pone nell acuta“). Es kam Zarlino jedoch weniger auf die Unterschiedlichkeit dieser Proportionen als darauf an, dass sie beide auf den Proportionen 5:4 und 6:5 basieren. Joh. Lippius bezeichnete 1612 diese beiden Dreiklangsformen als trias harmonica perfecta oder naturalis bzw. trias harmonica imperfecta oder mollis. Statt perfecta sagte man später auch major, statt imperfecta (oder minus perfecta) auch minor (so noch heute für Dur und Moll in den romanischen Sprachen). H. Glareans (1547) Modusnamen Ionisch für den 11. (bzw. 12.) Modus und Aeolisch für den 9. (bzw. 10.) Modus setzten sich nur teilweise durch; bevorzugt wurde eine (unterschiedliche) Zählung der traditionell acht, nach Glarean 12 Kirchentöne.
Im Vorfeld der Dur-Moll-Unterscheidung herrschten die Bezeichnungen Ionicus und Dorius vor. H. Riemann (1920) meinte, daß sich bei den deutschen Praktikern schon vor 1687 (A. Werckmeisters Musicus mathematicus hodegus curiosus) die Termini Dur und Moll eingebürgert hätten. Doch umschrieb Joh. H. Buttstedt noch 1716 „tota musica“ mit „Ut Mi Sol, Re Fa La“ und J. S. Bach im Wohltemperierten Klavier (BWV 846-893, 1722) Dur mit „tertiam majorem oder Ut Re Mi anlangend“ - und Moll mit „Tertiam minorem oder Re Mi Fa betreffend“. Da Ionisch und Dorisch, nicht aber Ionisch und Aeolisch als die beiden wichtigsten Modi galten, findet sich noch in der Bachzeit die so genannte dorische Vorzeichnung (z.B. g-Moll mit einem b), seltener eine lydische Vorzeichnung (z.B. B-Dur mit einem b). Seltsam steht Galantes neben veralteten Tonartenbezeichnungen im Titel von Joh. C. F. Fischers „Blumen Strauss, aus dem anmuthigsten Kunst Garten [ . . . ] gesamlet, und in acht tonos ecclesiasticos oder Kirchen Thon eingetheilet“ (nach 1732). Mozart schrieb für A-Dur „ex A", aber für h-Moll "H mol“ - vermutlich ein Reflex des quantitativen Vorrangs der Durtonarten im 18. Jahrhundert. Im 20. Jh., so bei Hindemith, meint „in E“ eine E-Tonalität, die nicht mehr an Dur oder Moll
gebunden ist.
Die Assoziationen, die heute mit den Begriffen Dur und Moll verbunden sind, werden der Musik vor etwa 1650 nicht gerecht. Deren tonale Struktur war modal und die konsonante Terzenschichtung intervallisch und nicht akkordisch begründet. Wenn in einer gregorianischen Melodie die Tonfolge f-a-c vorkommt, so ist dies keine Dreiklangsbrechung, noch weniger die eines Dur Dreiklangs. Man sollte also entsprechende Erscheinungen in vor- und frühbarocker Musik dural oder mollar nennen und die Begriffe Dur und Moll ihrer späteren tonalen Bedeutung wegen vermeiden.
Der Begriff Zigeunermoll ist in beiden Wortteilen irreführend. Es findet sich vor allem in einer mehrheitlich ungarischen Musizierweise, die charakterisiert ist durch modale Wendungen, nichtfunktionales Dur oder Moll, kleine (phrygische) und übermäßige Sekunden. Der Tonvorrat (d-e-f-gis-a-b-cis-d oder d-es-fis-g-a-b-cis-d) ist mehr tetrachordal als heptatonisch strukturiert.

II. Erscheinungsformen
Dur und Moll sind in der Musik des 18. und 19. Jh. die beiden nahezu unangefochten herrschenden tonalen Ausprägungen. Indem sie aus den acht Kirchentonarten hervorgegangen sind, können auch sie als Modi gelten. Sie treten nun als Tonleiter, als Dreiklang und als Tonalität in Erscheinung.
Die Durtonleiter baut sich aus zwei intervallisch übereinstimmenden Tetrachorden (ut-re-mi-fa) auf. Die beiden Halbtonabstände (mi-fa) übernahmen im Laufe der Zeit eine leittönige Funktion. Der Tritonus zwischen 4. und 7. Leiterstufe (mi contra fa), das einzige chromatische Intervall, bestätigte in seinem Gefälle zu sekundisch erreichter Konsonanz die tonale Funktion des Grundtons. Die im Mittelalter aufgestellte Quintenreihe f-c-g-d-a-e-h betraf Tonsystem und Tonvorrat; erst später bezog man sie auf die Durtonleiter. Dies gilt auch für die seit dem 16. Jh. belegte Terzenreihe f-a-c-e-g-h-d, die ursprünglich im Zusammenhang mit den drei Hexachorden auf f, c und g stand.
Theoretisch lassen sich drei Ausprägungen der Molltonleiter unterscheiden: 1. das reine oder natürlich genannte Moll; es entspricht dem Aeolisch (= Dorisch mit b); 2. das melodische Moll; es kombiniert den unteren Moll- mit dem oberen Dur-Tetrachord; fallend (so will es die Schulbuchweisheit) stimmt es mit dem reinen Moll überein. Sinnvoll ist diese Unterscheidung allenfalls auf die Tonleitern bezogen, während Moll, als Tonalität verstanden, über einen aus ihnen gesamthaft resultierenden Vorrat von neun Tönen (z.B. a-h-c-d-e-f-fis-g-gis) verfügt - im Unterschied zum nur siebentönigen Dur. Das (3.) harmonische Moll ist weniger Skala als Tonvorrat, der sich aus den Molldreiklängen auf der I. und IV. Stufe sowie dem dominantischen Dur Dreiklang auf der V. Stufe ergibt. Man vergegenwärtigt es sich musikalisch sinnvoll als kleinsekundisch umrahmten Quintraum über dem Grundton; ihm entsprechen viele barocke Fugenthemen, z.B. das der Fuge g-Moll in Bachs Wohltemperiertem Klavier I (vgl. Notenbeispiel 1).
Der Dur- und Molldreiklang besteht in Grundstellung und als Sextakkord aus drei konsonanten Intervallen. (Der Quartsextakkord galt dagegen wegen der Quart über dem Basston als dissonant.) Diese vier Dreiklangsformen sind die einzigen, die derart konsonierend in der siebenstufigen Diatonik enthalten sind. Darauf beruht ihre Bedeutung für die mehrstimmige Musik seit dem 15. Jahrhundert.
Dass die ersten sechs Partialtöne einen Dur Dreiklang bilden, hat die Theorie seit J. Sauveur (1700/01) ebenso fasziniert wie irritiert. Ob ein Vorrang des Dur vor dem Moll besteht, hängt von dessen qualitativem oder quantitativem Verständnis ab. Ein qualitativer Vorrang besteht im größeren Konsonanzgrad des Dur Dreiklangs und der größeren „Helligkeit“ der duralen großen Terz. Dem steht die größere Expressivität des Moll gegenüber, begründet in der höheren Zahl verminderter und übermäßiger Intervalle. Ein quantitativer Vorrang des Dur ist begründet im Partialtonvorrat mancher Blasinstrumente, in der überwiegend duralen Volksmusik Westeuropas und seit dem Barock im affirmativen Effekt der Dur-Tonalität. In vorbarocker
Musik ist weder quantitativ noch qualitativ ein Vorrang von Dur oder Moll festzustellen, sieht man von der für Finalklänge geforderten vollkommenen Konsonanz ab. Im hexachordalen Achttonvorrat, wie er sich aus den drei ineinander verzahnten Hexachorden (durum, naturale und molle, vgl. Tab. 1) ergibt, stehen vier Dur Dreiklänge (C, F, G, B) gleichwertig vier Molldreiklängen (d, e, g, a) gegenüber. über je zwei Finales stehen große (f und g) und kleine (d und e) Terzen. In duralen Modi der Mehrstimmigkeit überwiegen als konsonante Zusammenklänge Dur-, in mollaren Molldreiklänge. Wie sich durale und mollare Modi quantitativ zueinander verhalten, wäre zu klären. Die Bevorzugung des Durdreiklangs als Finalklang ist vermutlich weniger akustisch als darin begründet, daß er stabiler als der Molldreiklang wirkt: Die größere Terz unter der kleineren konveniert zum raumanalogen Hören. Zudem nimmt das Ohr die Teilung der Quint in zwei Terzen gemäß deren größeren oder kleineren Abständen zu Grundton und Quint, also diastematisch, wahr und nicht gemäß ihren Schwingungsverhältnissen, also proportional.
Die harmonische Bedeutung des Dur beruht vor allem darauf, daß die in der Durtonleiter enthaltenen drei Dur- und drei Molldreiklänge jeweils im Abstand reiner Quinten stehen. Auch der Quintabstand der Tetrachorde ut-re-mi-fa in der Durtonleiter (in C-Dur auf c und g) begünstigte die analoge Erschließung des zwölfstufigen Tonvorrats sowie die auf Quintabständen beruhende funktionale Harmonik.
Die harmonische Bedeutung des Moll, soweit sie von derjenigen des Dur abweicht, beruht auf der vergleichsweise größeren Zahl der in den Mollskalen enthaltenen verminderten und übermäßigen Intervalle und Dreiklänge samt dem daraus resultierenden expressiven Moment. - Im tonalen Sinn von Dur und Moll verschränken sich ihre Skalen-, Dreiklangs- und (funktional-)harmonischen Aspekte. So lässt sich die Durtonleiter verstehen als zwei durch einen Ganzton getrennte, gleich strukturierte Tetrachorde wie auch als ein mit Durchgangstönen ausgefüllter Dreiklang (Notenbeispiel 2). Jede Leiterstufe lässt sich als Grundton, Terz oder Quint auf je drei verschiedene Stufen beziehen, und jeder Dreiklang ist zu zwei anderen, funktional unterschiedlichen Dreiklängen terzverwandt, z.B. e zu C und G oder F zu d und a.

III. Entwicklung
Die Schwierigkeiten, die sich dem Versuch entgegenstellen, die Entstehung des Dur und Moll einleuchtend darzustellen, haben mehrere Ursachen; so etwa die Neigung, Früheres auf Späteres zu beziehen oder sogar von diesem her zu erklären, z.B. wenn man tonale Bedeutungen des Dur und Moll auf Erscheinungen bezieht, denen dieser Kontext noch unbekannt war. Eine andere Ursache, die zur Sache selbst gehört, liegt darin, dass die verschiedenen Erscheinungsformen des Dur und Moll (s.o.) nicht immer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Nachteilige Verwirrung stifteten die Verkennung eines kirchentonalen Acht- (und nicht Sieben) Tonvorrats
und der unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Stufe im modalen und im dur-moll-tonalen Zusammenhang sowie die unklare Abgrenzung von Ton- und Stimmungssystemen.
Der Übergang von den duralen Modi (vor allem Lydisch) zum neuzeitlichen Dur und von den mollaren Modi (vor allem Dorisch) zu Moll verlief allmählich und mit beträchtlichen zeitlichen Überlagerungen.
Die duralen Modi, in der Volksmusik längst verankert, erlaubten einen bruchlosen Übergang zum neuzeitlichen Dur. Das keineswegs widerspruchsfreie Nebeneinander von Tetra- und Hexachordlehre, die unterschiedlichen Erklärungen des „b“ durum und „b“ ) molle, der Umstand, dass der normative Ambitus kirchentonaler Melodien nur bedingt dem Oktavraum über der Finalis entspricht, die Divergenzen von Vorzeichen- und Akzidentiensetzung . . . (
Peter Benary)





Schade dass der Auszug hier zu Ende geht. Das im Inhaltsverzeichnis angekündigte Kapitel "Theorie" fehlt leider. Die Sache ist wirklich hochinteressant und ich finde das von dnalor, dirk und vor allen Dingen joerg Gesagte widerspricht diesem Artikel nicht unbedingt. Im Gegenteil!

Weiterhin verwies man mich auf den Artikel „Tonalität“ von Carl Dahlhaus in selbigem Werk.

Hier noch ein paar Kommentare der von mir angeschriebenen Fachleute:

…Allerdings wäre es auch durchaus möglich, dass man die Herausbildung der
Dur-Moll-Tonalität als reines Phänomen zur Kenntnis nehmen müsse, für die
es keine tiefer gehende Erklärung gäbe - quasi als Mode Erscheinung.
Zumindest schien es in der Wissenschaft bisher keine wirklich plausible
Erklärung zu geben…

Weiterhin…

…Es sei schon schwierig überhaupt von „Durchsetzen“ zu sprechen, denn noch zu Bachs Zeiten (und auch in seinen Werken) seien Ausweichungen in die sog. Kirchentonarten recht häufig zu finden gewesen…

…Nicht erst seit Bach sei aber ein Thema sehr häufig im Mittelpunkt gewesen: „wie kann man auf einem Instrument in andere Tonarten modulieren und welche Anforderungen stellt dies an die verwendete Stimmung?“

…Diese Frage sei Hauptbeweggrund, sich auf die beiden genannten Modelle zu konzentrieren, denn hier böte sich ein reiches Betätigungsfeld…

…Für die weitere Entwicklung bzw. das Durchsetzen von Dur und Moll wären sicherlich mehrere Faktoren verantwortlich gewesen. Für entscheidend werden hierbei die sich verändernden Hörgewohnheiten, die in mehrerlei Hinsicht die Erfordernisse an eine "gute" Musik prägten, gehalten…

…Ionisch und Äolisch würden klanglich meist befriedigendere Ergebnisse erzielen, wenn es um die Bildung von Melodiefloskeln gehe - in Relation natürlich zum Finalton, also besonders auch in Betreff auf die Schlusskadenz einer Komposition. Die älteren Toni würden da möglicherweise bereits als etwas "unvollendet" empfunden worden sein…

…In diesem Zusammenhang zu berücksichtigen wäre dabei der sich im Lauf der Renaissance immer deutlicher vollziehende Wechsel von der horizontalen-sukzessiven zur horizontal-simultanen Kompositionsweise…


Empfohlen werden u.a. auch die Werke von Martin Vogel, (Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik über 120 Bände).


CIAO
CUDO
 
Danke für deine Mühen, Cudo. Der Text ist der, den du mir schon damals gegeben hattest, und das ist der, auf den ich mich mit «Anfangs soll ja Dorisch der bevorzugte Moll-Modus gewesen sein (ich hab die Quelle grad nicht zur Hand, reiche sie bei Interesse nach.)» bezogen habe.
Wenn ich den Text kondensiere, komme ich zum Schluß, dass die Dualität Dur/Moll nicht direkt auf den Kirchenmodi mit entsprechendem Tonvorrat aufbaut, sondern auf den Akkorden der Hauptfunktionen. Wir haben zwei konsonante Dreiklänge, Dur und Moll, die als Tonikadreiklänge ihr jeweiliges Tongeschlecht begründen. Die Dur-Tonleiter ergibt sich direkt, wenn man die im Quintabstand liegenden Stufen I, IV und V als Dur-Akkorde bildet. In Moll haben wir, vereinfacht gesagt, einen Moll-Tonika-Akkord, während IV und V variabel Dur oder Moll sein können.
Das das eine mit ionisch und das andere größtenteils mit äolisch übereinstimmt, ist dann wohl mehr oder weniger Zufall, so dass man eigentlich nicht sagen kann, die beiden Neuankömmlinge unter den Modi hätten sich "durchgesetzt".

Da steckt natürlich immer noch ein gewisser Anteil "Dogma" drin, aber mir ist mit der Erklärung schon wesentlich wohler.
 
Wenn ich den Text kondensiere, komme ich zum Schluß, dass die Dualität Dur/Moll nicht direkt auf den Kirchenmodi mit entsprechendem Tonvorrat aufbaut, sondern auf den Akkorden der Hauptfunktionen.

Ergänzend:
Die entwicklung verlief vom melodisch-einstimmigem zum harmonisch-mehrstimmigen und da halfen leit(halb)-tönige schlüsse.
Den modi wurden verschiedene charaktere zugeordnet: dorisch-männlich/kriegerisch, phrygisch-weichlich/traurig ("o haupt voll blut und wunden"), lydisch-bukolisch/hirtengesang. Die spartaner fühlten sich als Dorer, der Trojaner Paris, der die schöne Helena entführte, war Phrygier (mit der mütze). Aus dem hellenistischen erbe schöpfte die byzantinische musik, und es gelangte so in die junge kirche. Papst Gregor II. (nach 600) ließ ordnung in die vielfalt bringen, und es brauchte jahrhunderte, um die dann blühende polyphonie (als grundlage, als cantus firmus dienten noch lange die alten gesänge) zu entfalten.
Mehrstimmigkeit bedeutet verzicht auf melismatik und tonschwebungen, bereicherung ist auch verarmung.
Die folge V-I traute sich schon Débussy vor über hundert jahren nicht mehr anzuwenden, er nannte sie "die umarmung der alten dame", und wer will die schon?
 

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