es gibt aber Renaissance Stücke, da sind manchmal wirklich alle regeln des strengen satzes beachtet.
Und der strenge Satz ist keine sammlung von Klischees des 17. 18. Jahrhunderts.
Früher in der Renaicance und im Mittelalter, wurden diese Regeln meines wissens nach wirklich festgelegt, ...
in renaissance und mittelalter gab es andere regeln. das früheste überlieferte dokument bzgl. der mehrstimmigkeit in europa ist die sog. musica enchiriadis und anbei die scholica enchiriadis - sind beides musiklehrbücher auf unterschiedlichem niveau und stammen aus dem 9. jhd. - darin dient noch das dasia-notensystem als tonale grundlage und was den "satz" angeht: der reicht von oktav- und quint-organum bis zum sog. artifiziellen quartorganum. erst bei letzterem werden klare regeln formuliert (ganz grob: die zwei stimmen beginnen und enden im einklang, dazwischen läuft die zweite stimme parallen in quarten mit per regel festgelegten ausnahmen).
um 1025 schreibt guido von arezzo den micrologos. er verwendet schon das 7-stufige diatonische oktavsystem - es gibt ein paar regeländerungen und er seine zweitstimme verlläuft in der regel und quinten und quarten unterhalb des chorals.
um ca. 1100 wurden die schriften der sog. 'traktatgruppe m' (mont pellier, mailänder trakt.) verfasst. ab jetzt sind neben den immer noch vorherrschenden quarten und quinten auch mal sexten und terzen als intervall zur hauptstimme möglich.
um die gleiche zeit ungefähr beginnt man die zweitstimme (vox organalis) generell über der erstimme (vox principalis) zu setzen. die klauseln entstehen.
um 1163 bis 1250 ist ungefähr die sog. notre dame epoche einzuordnen (hauptkomponisten: leonin und perotin). die ersten motetten entstehen - die satzregeln werden komplexer, die quarte gilt als dissonant.
irgendwann schreibt philippe de vitri seine isorhythmischen motetten - die musik wird rhytmisch komplexer.
15.jhd.: die tenormotette etabliert sich (dufay), ende des 15. jhd.'s findet die motette ihren höhepunkt an anspruch und komplexität (unter ockegehm), flacht mit palestrina und co. wieder etwas ab (aber wird eingängiger). ab ca. 1600 beginnt eine neue art des komponierens in italien (monteverdi).
bis dahin (1600) bildeten die vier kirchentonarten phrygisch, dorisch, mixolydisch und lydisch die tonale grundlage der musik (wenn man deren 'hypo'-begleiter hinzunimmt sind es acht). ab dem 17. jhd. beginnt man (die neue art des komponierens) im generalbass zu komponieren, zu notieren und auch zu improvisieren. claudio monteverdi mischt in seinem letzten madrigalbuch die alte und die neue kompositionstechnik.
während bach später immernoch die generalbassnotierung verwendet, beginnt rameau bereits funktionsharmonisch zu denken.
und ab ungefähr hier haben wir alles, was wir für diese "satzregeln" brauchen, von welchen man auch heute noch spricht: die 'regeln' des bach-chorals und das funktionsharmonische denken rameaus. beides sind die grundlage in den heutigen lehrbüchern, wenn von "satzregeln" die rede ist - beim "choralsatz" ist i.d.r. der bachchoral gemeint.
es gibt ein kompositionslehrbuch eines gewissen herrn 'fux', welches zur zeit des barock geschrieben wurde. in vorwort dieses buches beschwert sich unser herr fux über diese neue art des komponierens und über die verunglimpfung der guten alten satzregeln (er bezieht sich auf perotin bei den 'guten alten satzregeln'). er regt sich darüber auf welcher unfug zu seiner zeit bereits in die mehrstimmige vokalmusik einzug gehalten hat und lehrt stattdessen die alte perotin-technik (wenn auch nicht 100% exakt). die heute in lehrbüchern üblichen "satzregeln" beziehen sich also schon auf das 17. jhd. (zur zeit von h. schütz und j.s. bach - kein wunder, denn die musik der 'franko-flämischen schule' und früher ist unseren ohren heute schon ziemlich fremd und ungewohnt), das 18. jhd. kann man noch hinzunehmen, wenn man die funktionsharmonik mit einbeziehen möchte, denn in den lehrbüchern wird heut meist beides im kompaktpaket gelehrt. (auch bach lässt sich ja wunderschön funktionsharmonisch ausdeuten, auch wenn er selbst noch generalbass notiert hat.)
also nochmal - diese "satzregeln" in den lehrbuchern sind dazu konzipiert, wie schütz oder bach (eher bach als schütz) und deren zeitgenossen zu klingen und entsprechend werden auch klischees dieser zeit vermittelt (weitest gehend homophoner satz, etc. ...).
klar hat bis ins 17./18. jhd. ne entwicklung stattgefunden, die ihre wurzeln natürlich früher hat, aber in der fahrschule lernt man ja heute auch nich mehr, wie man den motor mittels kurbel an der kühlerhaube anwirft...
spätestens während der romantik werden die satzregeln übrigens vollständig aufgelöst/abgeschafft/...), doch schon in der klassik spielen diese regeln keine wesentliche rolle mehr.
da die heutige popularmusik im wesentlichen immernoch auf der romantik fußt bzw. darin stecken geblieben ist, können uns diese satzregeln in diesem bereich also herzilch egal sein, wenn wir popularmusik machen wollen....