[Grundlagen] - Leistungsbetrachtung für Bassisten

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Leistungsbetrachtung für Bassisten

Was kann ich mir leisten…

Gerade Bassisten haben ja gerne etwas mehr davon…Leistung…Watts…je mehr desto besser…
Kein Problem, wir ziehen einfach einen Katalog mit Bass-Verstärkern aus dem Schrank – oder noch besser wir schauen uns die Daten der Geräte im Online-Shop von Musik-Service an.
Worauf wir da als erstes gucken ist klar: wie viel Watt hat das Teil (technisch gesehen muss es heißen: wie viel Leistung liefert der Verstärker). Als zweites noch ein Blick welche Impedanz die Boxen haben sollten und wie sich diese Impedanz auf die Leistung auswirkt – klar an 8Ohm gibt’s etwas weniger Leistung als an 4Ohm (zumindest bei reinen Transistor-Verstärkern und Hybriden).
Darüber gab es im Übrigen schon viele gute Beiträge von EDE.
Die Idee zum nun folgenden „Realitätsschock“ kam mir beim Lesen eines Beitrages in dem es um die Aussagekraft von Sinus-Leistung und „RMS-Leistung“ ging.
Vorweg keine Sorge! Es geht nicht um Berechnungen mit viel Mathematik…wir schauen uns das Ganze auf ganz einfache Art und Weise an.
Deshalb auch der Hinweis für die mehr technisch orientierten Bassisten – es werden einige Zusammenhänge vereinfacht, um das Thema auch für Nicht-Hochschulabsolventen lesbar zu machen. Ich verzichte deshalb auch auf die allgemeine Formel für den Effektivwert, sollte sich jemand dafür mehr im Detail interessieren – einfach melden, ist ja schließlich mein Beruf.


Dynamik?

Es gibt kaum Musiksignale die so dynamisch sind wie ein Bass-Signal. Das heißt zunächst mal, dass wir über sehr große Lautstärkenunterschiede reden. Bei Anschlag mit Finger, Plektrum, Slappen und Poppen entsteht ein sehr hoher Impuls – eine ausgeprägte Lautstärkespitze, die dann natürlich mehr oder weniger schnell abklingt. Dabei ist die Spitze oft um Faktoren höher als der eigentlich klingende Ton.
Zu all dem kommt noch dazu, dass wir in tiefen Lagen spielen und damit generell mehr Leistung benötigen um uns durchzusetzen – das menschliche Ohr ist nun mal nicht so empfänglich für uns.
Um nun diese Dynamik unter die Leute zu bringen haben wir Verstärker und Boxen – im Folgenden reden wir fast ausschließlich über die Verstärker.
Ist es gut wenn ein Gerät 400W liefert? Ist der 350W Typ x von Hartke lauter als der 300W Typ y von Ashdown?
Kann man alles so einfach nicht beantworten…das ist auch der Grund, warum ein Live-Test völlig andere Ergebnisse liefert als ein theoretischer Vergleich über die technischen Daten.
Prinzipiell wären wir nun eigentlich schon fertig!
Ergebnis: Die technischen Daten allein sagen nichts aus – geben nur eine ungefähre Richtung an. Wie sich ein Verstärker verhält kriegt man nur durch Testen raus!
Aber langsam…


Voll effektiv…

Wir wollen ja schon noch etwas Spaß haben! Also nehmen wir eine Lupe und schauen und mal ein ganz einfaches Bass-Riff an:



Nicht besonders spektakulär, zugegeben. Aber interessant für eine nähere Betrachtung.
Das zum Riff gehörende Bass-Signal sieht übrigens so aus:


bass.jpg

Bild1: Bass-Signal Riff

Das ist die im Tonabnehmer induzierte Spannung, die über den Vorverstärker verstärkt, und über die Endstufe auf eine Größe und Impedanz gebracht wurde um unsere Lautsprecher anzutreiben…
Pfui, jetzt wird es doch technisch! Nein…das ist einfach das Signal das am Lautsprecher anliegt. Eigentlich ist es eine Spannung und die ist umso höher je mehr Leistung über unsere Boxen abgesetzt wird.

Also wir nehmen einfach mal an, dass wir an unserem Verstärker eine 4Ohm Box angeschlossen haben. In unserem Diagramm sehen wir, dass wir maximal 40V (das ist die zweite Spitze) auf unsere Lautsprecher geben.
Also kleine Rechnung:

P=U²/R=40V*40V/4Ohm=400W

Soweit kann denke ich jeder folgen.

Bei näherer Betrachtung des Signals sehen wir, dass da kleinere Ausschläge und sogar Lücken drin sind!
Das heißt die 400W werden nicht zu jeder Zeit verbraten.

Nun zu unserem Bassriff kommen wir später noch mal…



Wie sag ich’s dem Bassisten?

Nun was schreiben Hersteller in die technischen Daten, wie muss man das interpretieren?
Der erste vernünftige Schritt dazu wäre eine Normung! Leider hält sich kein Schwein daran…nur wenige Hersteller geben genau an, wie sie die Leistung des Verstärkers ermittelt haben.
Die wasserfesteste Angabe war für lange Zeit die Sinusleistung nach einer guten alten Norm – 1kHz Sinus über 10min mit Klirrfaktor <1%, das ist zugegeben für Bassisten nicht sehr Praxisnah, aber leider der einzige wirklich genormte Wert.
„RMS-Leistung“ ist in den meisten Fällen als Angabe zwar gut gemeint, aber leider nicht durchgängig definiert, so dass man fast alles daraus machen könnte…
Im Übrigen ist der Begriff RMS Leistung sowieso nicht korrekt, denn einen Effektivwert der Leistung gibt es nicht – gemeint ist eigentlich die durchschnittliche Leistung hervorgerufen durch den Effektivwert des Signals.
Gut, dass zumindest seriöse Hersteller mit den RMS-Angaben zeigen möchten, wie sich der Verstärker bei mehr Musik-gemäßem Signal verhält – ein Sinus ist nun mal sehr weit von „normaler“ Musik entfernt.
Ein spezielles Signal ein sogenanntes Rosa-Rauschen dient der Ermittlung der Leistung, theoretisch zumindest Andeutungsweise genormt aber leider ebenfalls nicht durchgängig.
Dazu kommt, dass manche Hersteller zwar RMS schreiben aber eigentlich Sinus meinen und beileibe keinen Test mit Rosa-Rauschen gemacht haben.

Soll uns nun aber nicht weiter stören, wir nehmen einfach mal verschiedene Signale – natürlich auch unser bereits bekanntes Bass-Riff und schauen mal was da Leistungsmäßig so passiert. Und kein Problem wir nehmen auch noch das Rosa-Rauschen mit.



Analysier mich…

Zu diesem Spaß eignet sich WaveLab sehr gut. Wir normieren die Signale zunächst, einfach gesagt heißt dies, wir sorgen dafür, dass die maximalen Werte im Signal auf 40V liegen – (die ja dann in unserer Annahme 400W bedeuten würden). Das wird gemacht um die Signale vergleichbar zu machen.
In WaveLab gibt es eine schöne Funktion, die uns den Effektivwert des Signals berechnet – daraus können wir dann einfach die durchschnittliche Leistung berechnen. Warum nehmen wir dazu WaveLab? Nun für einen Sinus könnten wir den Effektivwert noch leicht berechnen, aber bei unserem Bass-Signal ist das so nicht möglich.

Sinus

Als erstes nehmen wir uns das Sinus-Signal vor. Ein Sinus ist das einfachste, grundlegendste Wechselsignal und aus diesem Grund wurde er auch als Eingangsgröße für die Vermessung von Verstärkern herangezogen. Auch heute wird ein Sinus beim Verstärkerbau noch oft eingesetzt und ein Sinusgenerator gehört zur Grundausstattung jedes Audiobastlers.



sinus.jpg

Bild2: Analyse Sinus

Wir sehen einen schicken Sinus, der maximal auf 40V ansteigt, d.h. an diesen Stellen setzen wir 400W um. Wir haben eventuell schon mal gehört, dass bei sinusförmigen Spannungen der Effektivwert einfach berechnet werden kann:

formel1.jpg


Das U mit dem kleinen Dach ist der Scheitelwert des Signals also in unserem Fall die 40V, also wäre der Effektivwert 40V/1,4142= 28,28V.
Schauen wir mal zur Kontrolle was WaveLab berechnet, denn diese Formel gilt nur für Sinus und später haben wir es ja mit ganz anderen Kalibern zu tun.

WaveLab gibt als durchschnittlichen RMS-Pegel -3,02dB an. Weil nun alle Signale auf die 40V normiert wurden, müssen wir den RMS-Pegel noch auf Volt umrechnen. Das ist auch einfach:

formel2.jpg


Die Formel müssen wir noch etwas umstellen, wir haben den Pegel L und die Spannung u1, das sind immer die 40V.

formel3.jpg


Das sieht heftig aus, steht aber nur da um zu zeigen wie es gemacht wird (für diejenigen die es interessiert).

Wie auch immer wenn wir nun die Umrechnung durchführen erhalten wir für den Effektivwert 28,32V – nicht schlecht also, fast identisch mit dem Ergebnis von vorher.

Die durchschnittliche Leistung wäre hier also

P=U²/R=28,32V*28,32V/4Ohm=200,5W (!!)

Also nur die Hälfte des Spitzenwertes!



Rechteck

Nun haben wir alle schon mal was von Rechteckspannung gehört, oder? Klar, ein Bass wird keine Recheckspannung generieren. Aber interessant ist dieses Signal trotzdem, weil es z.B. im Fehlerfall durchaus genau so aus dem Verstärker herauskommen kann. Jeder hat in Erinnerung, dass das für die Lautsprecher böse enden kann – warum werden wir gleich sehen, schauen wir uns mal an was in diesem Fall passiert.


square.jpg

Bild3: Analyse Rechteck

Das Signal sieht schon mal viel dichter aus, d.h. über die Zeit gesehen ist das Signal viel länger auf Vollausschlag. Wir sehen, dass wir ständig die 40V auf den Lautsprechern haben, egal ob +40V oder -40V es werden immer die 400W umgesetzt.

Wavelab berechnet einen durchschnittlichen RMS-Pegel von -0,5dB, das ergibt einen Effektivwert von 37,76V und damit eine durchschnittliche Leistung von 356W.

Es wären rein theoretisch tatsächlich 400W, allerdings ist das hier genutzte Rechteck nicht ganz optimal, man sieht, dass er leichte Rundungen im Verlauf hat und auch nicht ganz den negativen maximalen Wert erreicht.

Es ist denke ich jedem klar, dass hier die maximale Leistung umgesetzt wird – mehr geht nicht, und das ist genau der Grund warum dieses Signal so gefürchtet ist.
Was nicht heißt, dass der Verstärker mit einem Rechtecksignal generell nicht fertig wird. Eine vernünftige Signalgröße verarbeitet jeder Amp – das wäre ja auch noch schöner, denn es gibt ja auch durchaus Bassisten die mit extremen Verzerrern und Overdrives arbeiten und sich damit absichtlich der Recheckform zumindest annähern.



„Rosas Rauschen“ – Pink Noise

Da genau dieses Testsignal für manche RMS-Messungen genutzt wird, wollen wir auch dieses einmal näher betrachten. Über Rosa-Rauschen könnte man allein mehrere Seiten schreiben. Einfach gesagt enthält dieses Signal alle Frequenzen von 20Hz bis 20kHz. Die Stärke der Anteile nimmt mit steigender Frequenz ab und zwar so, das jede Oktave dieselbe „Rauschleistung“ beinhaltet. Eine Oktave aus dem Bereich unseres E-Basses z.B. 55-110Hz enthält gleich viel Leistungsdichte wie ein Bereich eines höher gestimmten Instrumentes z.B. 440-880Hz.
Damit kommt das Rosa Rauschen der Tatsache entgegen, dass tiefe Frequenzen schlechter gehört werden als Hohe.
Allerdings wird für viele Messungen der tiefe Frequenzbereich beschnitten (z.B. reicht die Bandbreite des Rauschens nur von 60Hz-20kHz), deshalb auch der Hinweis auf die Problematik der Messung.
Das benutzte Rauschen ist nicht ganz optimal aber auf jeden Fall ziemlich brauchbar.
Im folgenden Diagramm sieht man sehr schön den mit der Frequenz fallenden Pegel (-3dB übrigens):


pink3d.jpg

Bild4: Frequenzanalyse Rosa Rauschen

Das Rauschen hat wie man sieht nur im oberen kHz-Bereich seine Schwächen – aber das ist für uns weniger relevant.



pink.jpg

Bild5: Analyse Rosa Rauschen

Wir sehen, dass mit dem rosa Rauschen nur ein RMS-Pegel von -12,96dB erzeugt wird, das ist eine Effektivspannung von 8,99V (!) also eine durchschnittliche Leistung von 20,2W[7b] – das Signal ist also noch viel weniger „dicht“ als der zuerst gemessene Sinus.

Gebe ich also bei einem Verstärker mit dieser Messmethode 20W an, so sind recht große Reserven vorhanden, denn die Leistungsspitzen liegen ja offensichtlich bei 400W.



Bass-Signal

Der letzte Schritt nun mit unserem Bass-Signal

basssignal.jpg

Bild6: Analyse Bass-Signal Riff

Der durchschnittliche RMS-Pegel von -14,71dB ist gleichbedeutend mit einem Effektivwert von 7,36V, was wiederum einer durchschnittlichen Leistung von 13,5W entspricht.

Klar differiert dies von Bass-Signal zu Bass-Signal. Einfluss haben darauf Technik, Spielweise, Anschlag etc. Vergleiche mit durchgehenden Basslinien ergeben 1-2dB mehr Pegel (~-12dB), bei Slappen und Poppen geht der Pegel sogar um 4-6dB (~-18dB) zurück – in dieser Spielweise liegt die mit Abstand größte Dynamik.

Wir sind also viel mehr auf das dynamische Verhalten des Verstärkers angewiesen als auf eine fiktive Dauerleistung – die wir sowieso nie benötigen.




Fazit?

Was heißt das nun alles? Was können wir damit anfangen?
Nun wir können folgendes feststellen:

->Wenn jemand einen Verstärker konstruiert und sagt, er habe 200W Sinus-Leistung, dann können wir schon damit rechnen, dass das Gute Stück durchaus Leistungsspitzen von 400W liefert. Klar haben Verstärker in der Regel noch deutlich mehr Reserven – aber mehr müsste er laut Datenblatt eigentlich nicht können.

->Im Vergleich mit unserem Bass-Signal sehen wir, dass die 13,5W, Spitzen mit 400W beinhalten, d.h. Faktor 30 (!) – im Umkehrschluss müsste ein Verstärker der tatsächlich eine durchschnittliche Leistung von 200W haben soll, Spitzen bis zu 6000W (!) liefern können.

->Nun richtig gute Bass-Verstärker können so was annähernd, dafür haben sie überdimensionierte Netzteile, die diese Spitzen liefern können. Im Falle unseres theoretischen Amps müsste das Netzteil Spannung von über 150V liefern können.
In dieser Form macht das natürlich niemand, in der Praxis, werden diese extremen Spitzen komprimiert – auch wenn kein extra Kompressor eingesetzt wird, einfach durch die Trägheit des Netzteils (und andere Schaltungsmaßnahmen).

->Wir sehen auch, dass wenn ein Hersteller RMS-Angaben macht und dies wirklich seriös ermittelt hat (was wir allerdings nicht so ohne weiteres nachweisen können), liegt er damit recht nahe an der Realität. 20W mit 400W Spitzen, das ist schon eher Bass-gemäß und sagt uns etwas mehr über das Verhalten des Verstärkers aus. Leider ist das Verfahren nicht genormt und wenn keine weiteren Angaben gemacht werden ist eine RMS-Angabe leider diffus und wenig aussagekräftig.

Es kommt sehr auf die Schaltung des Verstärkers an: Wie viele Reserven sind mit einkalkuliert, wie verhält sich das Teil bei dynamischen Signalen, wie hochwertig ist das Netzteil etc. und zu letzt natürlich wie messe ich die Leistung und was schreibe ich in meine technischen Daten – ein realistische Angabe oder eine werbewirksame Übertreibung?

->Zumindest bei Verstärkern desselben Herstellers kann man davon ausgehen, dass die Werte auf identische Weise ermittelt wurden. Damit kann man diese Geräte schon relativ gut miteinander vergleichen und gegenüberstellen.

->Hauptpunkt – und auch das Anliegen dieser kleinen Abhandlung ist, dass keine Angabe letztendlich sagt, wie der Verstärker mit Bass klingt. Sicher ein Anhaltspunkt ist es schon, aber ob ein 100W Verstärker tatsächlich leiser ist als einer mit 400W – kann man so einfach nicht sagen. Einfach ein Produkt zu kaufen, weil es laut Datenblatt 200W mehr hat als ein anderes ist sehr unseriös und kann mit einer bösen Überraschung enden.

Also kauft nicht nach Werbeprospekt und Datenblatt, sondern testet die Verstärker höchst persönlich mit Eurer Spielweise.
 
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Wahnsinn, tolle Arbeit. Vielen Dank für die ausführliche Erklärung! :great:
 
Vielen Dank für die extrem gute und verständliche Beschreibung! Schade dass die Bilder und die Bassspur nicht mehr funktionieren. Trotzdem äußerst lesenswert!
 

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